Erstellt am: 24. 10. 2009 - 19:24 Uhr
Die Leute wollen, dass Bass massiert
Da stehen wir also wieder da, vor einem Meer an Möglichkeiten, nur mit dem kleinen Teelöffel in der Hand. Der Freitag ist der erste Tag beim Elevate Festival, an dem alle drei Bühnen, Dom 1, Dom 2, Uhrturm Kasematte, bespielt werden. An allen Ecken und Ende brodelt Hörenswertes, gleichzeitig. Der Donnerstag war mit kleinem, verglichen mit dem Mittwoch nicht ganz so aufregendem Programm, trotzdem für einen quasi Aufwärm-, Fenster- und Überbrückungstag relativ amtlich besetzt.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Das von Berlin aus operierende Trio Jahcoozi schraubt schon lange am bunten World-Beat, in dem alle möglichen Soundpartikel aus dieser und jener Ecke des Globus(ses) feist zusammenkommen können. Sasha Perera, die aus London stammende Sängerin mit Wurzeln in Sri Lanka, Robot (sic! hihi) Koch, echter Berliner, und Oren Gerlitz, ursprünglich Tel Aviv, an Klangarchitektur, Bass und Beatschnitzerei verkitten da Dub und Ragga, Pop, HipHop, knuspernde Elektronik, Digital Dancehall und ganz viel Flitter zu einem Lametta behangenen Partyentwurf.
Heute, da an jeder Ecke Switch und Diplo, M.I.A., Santi oder Ebony Bones lauern, muss man bei solch transglobaler Popverknetung glücklicherweise nicht mehr vor Überraschung vom Pferd fallen, 2003, als Jahcoozi ihre sehr gute EP "Fish" veröffentlicht haben, war die ganze Weltmusikangelegenheit noch von einem gewissen Neuigkeitscharakter begleitet. Auf ihren beiden Alben haben Jahcoozi dann die ganz großen Versprechen nie einlösen können, wie eine leicht erschlaffte Geste kommt ihr Sound da daher, live jedoch sind Jahcoozi umwerfend, ein grell raschelndes Seidenpapier. Partyhut und Konfetti inbegriffen.
Perera ist eine vollkommen herausragende Frontfrau, tanzend, singend, die Trompete blasend, mit dem Publikum schäkernd. Eine Jacke mit Schulterpolstern, die in jedem seriösen Coffee-Table-Buch über die 80er Jahre als Anschauungsmaterial abgebildet werden, tut ihr Übriges zu einer ausgelassenen Abendunterhaltung. Die Band spielt einige neue Stücke vom demnächst bei BPitch Control erscheinenden Album, freilich auch die Hits wie "BLN" oder "Getyoshitout", "Black Barbie" wird mit einem dicken Gitarrensample von Megadeth partytauglich Richtung ganz frühe Beastie Boys umgedeutet. Jahcoozi sind ein Blumenstrauß, in dem Gladiolen, Rosen, Narzissen, Tulpen und Osterglocken drin sind. Aber auch Stiefmütterchen.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Der niederländische DJ Martyn, der ja ursrpünglich vom Drum'n'Bass kommt, mittlerweile aber schon höchst erfolgreich am Dubstep tüftelt, ist für nicht wenige Menschen am Donnerstag Abend der eigentlich Grund zur
Anreise gewesen. Zu Recht. In einem ziemlich großartigen Set begegnen einander bei Martyn mühelos schwirrender Dubstep und stark Detroit-angefixter Tech-House, muskulös und sensibel, leichtfüßig und druckvoll. Ein Gleichgewicht des Wohlklangs, ausbalanciert von den Händen eines Porzellanfigurenbemalers.
plh
Philipp L'heritier
Samstag ist Selbstmord, aber vorher ist Freitag, da ist Reizüberflutung. Nachdem der Grazer DJ Simon/off den gar nicht mal so vollen Dom im Berg aufgewärmt hat, darf ein sehr guter junger Wonderboy aus Wien erlebt werden: Paul Mohavedi alias The Clonious verhakt in seiner Musik Jazz, HipHop-Beats und funky stolpernde Elektronika zu einem filigranen Soundgerüst, mit dem er es sich gut in der schönen "Wonky"-Schublade mit Flying Lotus, Rustie oder Hudson Mohawke bequem macht. Und natürlich mit Freund und Kollegen Dorian Concept, den kann man ja nie genug den Menschen ans Herz legen.
Live legt The Clonious seine Klangwelten freilich etwas partytauglicher aus als auf Platte, er arbeitet verstärkt mit Vocal-Samples, drängt Richtung R'n'B, und macht die große Tube Funk auf. Ein Track ist nach grober Pi-Mal-Daumen-Schätzung fast auschließlich aus James-Brown-Schnipseln zusammengebaut. Sehr schön ist das. The Clonious: Coltrane, James Brown und J Dilla, Sun Ra und Prefuse 73. In ungefähr. Ein Altar des Kopfnickens. Das sehr empfehlenswerte Album "Between the Dots" von The Clonious ist gerade via Ubiquity Records erschienen. Man soll es auschecken.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Dem in Deutschland lebenden japanischstämmigem Sänger Damo Suzuki wird wohl auf Lebzeiten der Ruf vorauseilen, in den 70er-Jahren "nur" der "Sänger" der Kölner-Krautrock-Definition CAN gewesen zu sein, einer der, sagen wie mal, 20 wichtigsten Bands EVER, eine Band, die ja eher für ihre instrumentalen Exkursionen berühmt geworden ist. Für den Gesang weniger.
Man soll den Beitrag von Damo Suzuki zum Gesamtkunstwerk CAN aber nicht unterschätzen, man muss sich nur einmal "Mushroom" vom Album "Tago Mago" anhören, das wäre ohne Suzukis Geseiere nur halb so schön, oder "Spoon" von "Ege Bamyasi", das war ja damals sogar in den Charts. Die 70er müssen verwirrende Zeiten gewesen sein.
Seit einigen Jahren tourt Damo Suzuki mit seinem "Network" durch die Welt und spielt improvisierte Konzerte mit lokalen Musikern, die er meist erst wenige Stunden vor dem ersten gemeinsamen Auftritt trifft. In Graz spielt Suzuki, wenn vertrauenswürdige Quellen nicht lügen, mit Teilen der Bands The Striggels und Reflector (nicht 100% verifizierbar), und - es ist eine Erscheinung. Die Band klopft einen ziemlichen Noise aus ihren Instrumenten, das biegt sich schon manchmal Richtung Doom-Metal, an anderen Stellen wird vom Drummer eine Art Neu!-Beat nachgestellt. Darüber legt Suzuki sein waberndes Genuschel und Gekeife, er windet sich und windet sich, ein Joe Cocker des Krautrock, eine Entgleisung, eine Erleuchtung.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Eine Art Geheimtipp ist Dave Aju aus San Francisco. Der Mann hat im vergangenen Jahr ein sehr gutes Album beim französischen Label Circus Company veröffentlicht, erste Instanz für Schabernack und völlig verpeilten House. Auf "Open Wide" hat Dave Aju alle Sounds mit dem eigenen Mund generiert: Den Bass, die Beats, die Snare, die Hi-Hat, die Melodien, alles selber eingesungen. Nachbearbeitet, manipuliert, zusammengeschnitten, geschichtet zu einem albernen Hit von einem House-Album. Live präsentiert Dave Aju seine Stücke auf dem zweiten Floor, leicht umarrangiert, anders zusammengebaut. Dave Aju singt und tanzt hinter seinen Geräten. Und integriert "Sandwiches" von den Detroit Grand Pubahs in sein Set. Dave Aju, ein Höhepunkt.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Auf dem Mainfloor regiert das Label Hyperdub, über dessen Verdienste Natalie Brunner schon berichtet hat. Merkwürdigerweise ist es gar nicht unerträglich voll und gar so recht will der Funken beim Auftritt von Mastermind Kode9 und Spaceape nicht überspringen.
Man hätte es nicht geahnt: In seinem DJ-Set legt Kode9 das schon vorgestern hier abgefeierte Stück "Hyph Mngo" von Joy Orbison auf. Es ist ein Wahnsinn. Das aber nur so nebenbei. Musikstile und Menschen reichen einander die Hände, es geht weiter.
Philipp L'heritier
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