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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

26. 8. 2009 - 16:49

Journal '09: 26.8.

So etwas wie einen "Exil-Juden" gibt es nicht. Über ein krasses Versagen der österreichischen Medien, die sich wieder einmal einen populistischen Trick in ihren Wortschatz reden ließen, ohne ihn zu hinterfragen.

Diese Geschichte, die ich vorgestern noch vermeiden wollte, ehe ein Twist sie auf eine neue Ebene hievte, ist Teil der unregelmäßigen, aber leider notwendigen Serie 2009, das Jahr, in dem Österreich kippt.

Nun ist Hanno Loewy also weder Amerikaner, noch im Exil.
Vom Wahlkampf-Spruch, der vom Vorarlberger FP-Chef strategisch so gesetzt wurde, damit das abendliche TV-Sommergespräch mit FP-Oberchef Strache ein heißes Thema haben sollte, bleibt also nur ein Stück Wahrheitsgehalt über: Loewy ist Jude. Das ist es, was überbleiben soll: Jude.

Auch das ist eine wichtige Botschaft.
Denn es kann nicht sein, sagen Egger, und Strache echot das, dass "so einer" sich in innerösterreichische Angelegenheiten einmischt.
Mit "so einer" ist offiziell der Nicht-Österreicher gemeint, aber zwischen den Zeilen "zwinkerzwinker" geht es wieder nur darum, ihn auszustellen: den Juden.

So weit, so wenig interessant. Es geht in erster Linie darum, ein bislang wenig beachtetes lokales Potential zu aktivieren - für die Vorarlberger Landtagswahl am 20. September.

Dass der Sager in seinem Kern antisemitisch ist, ist auch unbestritten. Es formieren sich bereits Facebook-Protestgruppen, die SPÖ sieht die Zeit gekommen, ihre Abgrenzungs-Politik jetzt zu positionieren - alles geht den erwartbaren Gang.

Pejorationen und Umdeutungen

Was mich heute unrund macht, ist etwas ganz anderes.
Nämlich die wie selbstverständlich von allen zur Kenntnis genommene plötzliche Sprach- und Umdeutungshoheit. FP-Chef Strache hatt diesen Cross gestern abend aufgenommen und wahrscheinlich gescort.

Ich meine da nicht sein hervorragendes Image-Setting über den Begriff der "Bürger-Wahrheit", einer Art Real-Ausweitung der Volks-Herrschaft via Krone-Leserbrief, sondern die Idee einer sehr schlichten, auf Bauchgefühl fußenden Plebiszit-Mehrheit, die herkömmliche politische Entscheidungsprozesse ablösen soll.

Ich meine auch nicht seine Selbstdarstellung als "Alarmanlage" der Republik - die interessante Parallelen zu anderen, eigentlich unabhängig von der FPÖ entwickelten Thesen aufweist. Die Security-Demokratie steht wie gesagt ante portas.

Ich meine damit ebensowenig seine sehr bewusste Erwähnung der Republik "Deutsch-Österreich" als Anknüpfungspunkt für das Österreich-Verständnis der FPÖ - man beachte auf der hier auch zu sehenden Karte vor allem die Gebietsansprüche, die diese kurzlebige Nachkriegs-Totgeburt hatte, ehe die Verträge von St.Germain 1919 das heutige Österreich definierten.

Ich meine damit auch nicht die immer genau am Rand des Sagbaren abgeführten Pejorationen und bereits erfolgten Umdeutungen.

Das Konstrukt des "Exil-Juden"

Ich meine den völlig neu eingeführten und umgedeuteten Begriff des "amerikanischen Exil-Juden".

Bislang war das, der "Exil-Jude" ein Begriff, den z.B. Uri Avnery in seinem Traktat Wenn ein Esel einen anderen Esel Langohr schimpft so erklärt: "Ein äußerst verächtlicher israelischer Terminus für einen Juden im Ausland, einen professioneller Schnorrer, der es für eine große Ehre hält, ihn zu unterstützen."

Denn: nach beiden Definitionen dessen, was "ein Jude" ist, ist der Begriff des "Exil-Juden" eben nur von Israel aus anwendbar. In der religiösen Tradition, in der man sich auf das historische Volk der Israeliten bezieht, ebenso wie in der weltlichen Realität, die sich in einer Bestimmung des Staates Israel ("Jeder Jude ist berechtigt, in das Land einzuwandern.") niederschlägt.

Die Sache mit der Vertreibung und dem babylonischen Exil hat eine völlig andere Begrifflichkeit: die der Diaspora.

Es gibt also, von Österreich aus gesehen, so etwas wie einen "Exil-Juden" nicht. Auch keinen amerikanischen Exil-Juden. Ein Frankfurter, der in Hohenems jobbt, ist das alles nicht. Er ist Deutscher. Nicht Deutsch-Österreicher mit Bekenntnis zur deutschen Nation wie Strache, das ist nur was Ähnliches.

Bruno Kreisky war kein Exil-Jude

Der Begriff ist also fehl am Platz und falsch eingesetzt.
Strache hat dafür dann auch noch - auch sehr bewusst und geplant - Bruno Kreisky reingezogen, den er oft bemüht, wenn er sozialpolitisch argumentiert (als ob sich die 70er mit dem Heute so einfach vergleichen lassen würden).

Strache wörtlich, zum Thema Einmischungen von "Nicht-Österreichern" in innerösterreichische Angelegenheiten: "Das hat auch Bruno Kreisky immer zurückgewiesen, und Bruno Kreisky war auch Exil-Jude und war stolzer Österreicher, und er hat das auch zurecht zurückgewiesen."

Diese Aussage ist falsch.
Bruno Kreisky war genauso wenig wie abertausende andere Österreicher, die vom Nazi-Terror enteignet und vertrieben wurden, die rechtzeitig flüchten konnten, um so ihrer flächendeckenden Ermordung zu entgehen, ein "Exil-Jude", sondern Exil-Österreicher.

Exil ist ein politischer und kein religiöser Begriff.
Eine Religion, eine Einstellung kann kein Exil haben.
Und ein jüdischen Staatsvolk gab es damals noch nicht - es gibt es im übrigen heute wiederum nicht mehr: Israel ist mittlerweile weit mehr als ein monotheistischer Staat, einem radikalen Zionismus zum Trotz.

Es gibt keine Exil-Juden

Der Begriff "Exil-Jude", sagt Strache wörtlich, "ist kein Schimpfwort, sondern eine sachliche Feststellung."
Eine Feststellung, die allerdings genau nichts bedeutet.
Weil es so etwas wie einen Exil-Juden nicht gibt.
Es gibt auch keine Exil-Katholiken. Nicht einmal Lefebvre wäre einer.

Der Dalai Lama etwa ist kein Exil-Buddhist, sondern ein Exil-Tibeter.

Der Begriff "Exil" bedingt eine Nation. Eine Religion, also innerer Spiritualismus, kennt keine Grenze.
Selbstverständlich werden immer wieder Menschen aus religiösen Gründen ins Exil vertrieben, es kann allerdings nur ein geografisches sein.
Es gibt kein religiöses Exil.

Im Sommergespräch meinte Strache auch: "Wir haben sehr viele Juden bei uns in unserer Partei, als Funktionäre, Mitarbeiter und auch als Mandatare, die sehr stolz darauf sind, jüdischen Glaubens zu sein."
Etwas, was die FP-Fans im Neonazi-Netzwerk Thiazi wohl nicht begeistern wird.

Daraus folgt also, dass die Sager der FP-Granden Egger und Strache den Begriff des "Juden" nicht religiös definieren, sondern anders.
Als Volk?
Oder gar als "Rasse"?
Und wie ist Straches Bekenntnis "Es ist vollkommen gleichgültig, was jemand für eine religöse Einstellung hat." einzuordnen? Sagt er das als "Rapper, als Künstler mit dem Recht auf Überzeichnung" oder als Mandatar?

Der Dalai-Lama ist kein Exil-Buddhist, sondern Exil-Tibeter

Klar, das mediale Echo transportiert viel Aufgeregtheit und Empörung und Widerspruch.
Und klar, Journalismus versteht sich, zumal in Österreich, fast ausschließlich als Zitate-, Meinungs-Wiedergeber und selten als Auseinanderdrösler, Analysierer und Aufheller - dafür holt man sich maximal einen Experten und meidet es, meist aus Angst vor Geldgebern, der eigenen Courage oder davor, dass man sich ja auch irren kann, wenn man etwas behauptet, Dinge in ihrem Kern zu durchleuchten.

Selbst die wehrhaftesten Kommentatoren übernehmen deshalb die falsche Begrifflichkeit, mit der die FPÖ ein Bild prägt, sei es absichtlich oder aus Versehen.
Ein Feindbild, einen Einmischer von außen, Ostküste, Jude, Bad Banker und Spekulant, Waldheim-Watchlistsetzer usw., alte Klischees mit einem neuen Begriff zusammengefasst.

Kluge Demagogen können aufgrund der strukturellen Harmlosigkeit der heimischen Medien mit einer kritik- und klaglosen Übernahme eines gesetzten Schlagworts rechnen.
Strache hat etwa im Sommergespräch die spezielle "Plakat-Sprache" seiner Bewegung hervorgehoben: Was dort via Daham statt Islam oder Abendland/Christenhand funktioniert, kommuniziert und in den Sprachgebrauch übergeht, gilt auch für auffällige Sager aller Art.

Die Medien als Copy/Paste-Anstalt ohne eigenen Gedanken

Mit der eilfertigen und unüberprüften Übernahme von mit neuen Gefühligkeiten aufgepimpten Begriffen macht sich die österreichische Mediengesellschaft mitschuldig an deren Verbreitung; in diesem Fall mitschuldig an der Einführung des Neo-Schimpfworts "Exil-Jude", eines Konstrukts, das nicht zufällig an den Mythos von Ashaver, den Ewigen Juden und seine NS-Verarbeitung erinnert.

Im übrigen harren auch die Begriffe der "Bürger-Wahrheit" und der "Alarmanlage der Nation" noch einer intensiven Beschäftigung; im Mainstream.

Und beteiligt sich damit auch an dem, was Hanno Loewy das Ausleben von Vertreibungsfantasien nennt.

Es ist nicht der Populismus, der Böses anstellt.
Denn der ist ein Fähnchen im Wind, schwenkt aufgrund seines systemimmanenten Hinterhechelns immer auf die Linie der potentiellen Mehrheit.
Es sind die, die's zulassen.
Und in diesem heutigen Beispiel sind es die einen völlig verkehrten Begriff brav abnickenden und somit kanonisierenden Medien - der Wiki-Eintrag für "Exil-Jude" kommt sicher demnächst.