Erstellt am: 28. 7. 2009 - 16:30 Uhr
Journal '09: 28.7.
2009 - Das Jahr, in dem Österreich kippt.
Was bisher geschah:
Teil 1, Es ist vorbei. Der Weg zur Security-Demokratie ist fix vorgezeichnet..
Widerspruch von Tom Schaffer.
Teil 3, Die Verachtung der Jungen und der Aktivisten.
Teil 4, Einwurf über die Diskrepanz zwischen Politikblase und sozialer Realität.
Teil 5, Etwas zur Ausrede der machtlosen Politik.
Teil 6, Anmerkungen zur Post-Demokratie nach Žižek.
Teil 7, Wie gefährdet ist unsere Demokratie, fragt Robert Misik.
Teil 8, Einwurf von Horst Prillinger: "Willkommen in der Postdemokratie?"
Teil 9, Weisheiten aus alten Tatorten, leider unerhört
Teil 10, Der Experte und die De-Nationalisierung.
Peter Filzmaier ist Experte. Und zwar der Prototyp des Experten, den die Kollegen aus der FM4-Experten-WG zurecht aufs Korn nehmen. Und zwar nicht, weil er ein böser oder schlechter Kerl wäre, sondern weil diese Struktur des Expertismus, die sich in die Medien eingeschlichen hat, gar nicht mehr möglich macht.
Es sind zwei Parameter, die Peter Filzmaier und die anderen immer zwangsläufig zu der verwaschen-übervorsichtigen Bestätigung angemaßter Vermutungen bringen: zum einen der Druck des Mainstreams, der unter dem Titel "Den Menschen nicht zuviel zumuten, vor allem nicht eigenständige Denkleistung" ganz automatisch Scheren im Kopf erzeugt; zum anderen die Zeitknappheit, die in einem Rahmen, in dem gerade einmal ein Gedanke halbwegs erläuert werden könnte, zumindest fünf Antworten auf drei Fragen einfordert.
Das ist auch der Unterschied zum Musterknaben vergangener Experten-Zeiten, Hugo Portisch. Der hatte minutenlang Zeit für einen Punkt, den er dann drastisch-plastisch und nachvollziehbar erklärt hat. Den Filzmaiers wird nur ein Bruchteil dieser Zeit zugestanden, vom sinnlosen "Das müssen wir jetzt auch noch schnell unterbringen, wenn wir Sie schon dahaben!"-Irrtum, einem der Kreuzübel aktuellen Journalismus' gar nicht erst zu sprechen.
Der Experte als Interview-Gast ist also in einer recht ausweglosen Lose/Lose-Situation.
Sein einziger (inhaltlicher) Benefit ist die aus diesen Auftritten, in denen man sich bemüht, gleichzeitig staatstragend und clever zu wirken, resultierende Zuschreibung von Kompetenz, die dann auch anderswo verwendet werden kann.
Die wahren Probleme der Demokratie
Bei Filzmaier, dem Leiter der Abteilung Politische Kommunikation an der Uni Krems, sind das Publikationen; auch Gast-Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften (sowas wie ein Experten-Blog wird wohl erst in ein paar Jahren in Mode kommen...)
Dort ist wenigstens ein bisschen Platz, dort gibt der Autor den Gedanken vor.
Filzmaier zb schreibt eine wöchentliche Analyse zum politischen Geschehen. Ich hab sie am Montag in den OÖN gelesen, und in der TT fand sie sich auch - es handelt sich also um eine syndoicated column, einem Teil des Austauschprogramms der regionalen Tageszeitungen.
Die wenden sich ja traditionell an ältere Eingesessene, also auch nicht unbedingt an ein Segment, dem wagemutiges Denken vertraut ist. Das kommt Filzmaiers leicht konservativer Art einerseits entgegen, perpetuiert aber das oben angesprochene Problem der Zumutbarkeiten, Stichwort "eigenständige Denkleistung".
Zieht man also all die hier jetzt erwähnten Filter und Behinderungen in Betracht, ist der Content von Filzmaiers Montags-Kolumne vergleichsweise erstaunlich radikal.
Und deshalb interessant.
Sie beginnt mit einem Satz, der in Wahrheit der österreichischen Mainstream-Ansicht ins Gesicht spuckt.
Filzmaier klagt an, dass "Österreich die Qualität seiner Demokratie gern anhand von Wahlergebnissen definiert."
Wider den Resultatsfetischismus
Gut, dass es einer aus der (scheinbaren) Nomenklatura einmal anspricht: der Resultats-Fetischismus ist tatsächlich wenig wert. Wichtig ist nicht der Ergebnis des letzten Spiels (das spätestens dann, wenn das nächste ansteht, eh genau gar nichts mehr wert ist), sondern die Entwicklung der Spieler - um da in einem Fußball-Motiv drinzubleiben.
Um diese Entwicklung sorgt sich Filzmaier zwar auch - aus allerdings anderen Gründen als zb ich - allerdings nützt er die These auch um die Horrifizierung der zuletzt erfolgreichen "bösen Rechten", wie er sie nennt, zu beeinspruchen.
Diese Geplänkel, samt Wahlkampf im Vorfeld und Analysen danach hätten mit den "echten Herausforderungen wenig zu tun."
Und zwei davon spricht er beispielhaft an.
Zum einen das "Zeitalter der elektronischen Demokratie". Keine politische Kraft mache sich da tiefer gehende Gedanken.
Auch nicht was die Verrechtlichung betrifft. Da redet Filzmaier, für mich durchaus überraschend, nicht einer dumpfen Überregulierung das Wort, die sowas wie die Piratenpartei entstehen lässt.
Nicht, dass er die als Rute im Fenster erwähnt hätte - dafür ist das Publikum selbstverständlich das Falsche.
Sein zweiter Punkt ist die Überalterung, das Verleugnen der demographischen Problemspirale - und da ist sein Lese-Publikum genau das richtige.
Der Verlust des Bezugspunkts
Dann kommt Filzmaier zu einem als PS getarntem Fazit, das er in dieser Deutlichkeit nie in einem Experten-Talk äußern würde.
Er spricht die aktuellen österreichischen Identifikationsprobleme an. Die Menschen würden sich entwder als Weltbürger oder Europäer fühlen, oder "aufgrund von Regionalisierung und Lokalismus primär als Bürger eines Bundeslandes oder einer Gemeinde. In beiden Fällen kommt es zur De-Nationalisierung, der Staat gilt nichts mehr und die gesamtösterreichische Demokratie ist kein Bezugspunkt mehr."
Ich weiß, es gibt eine Menge Menschen, die jetzt eine "Na und? Eh super!"-Denkblase absondern.
Nein, gar nicht super. Im Gegenteil.
Mir haben drei Tage außerhalb meiner engeren Heimat, drei Tage in NÖ und OÖ, mit ein bisschen Reinschnuppern nach Salzburg gereicht, um (wieder einmal) sofort zu erkennen, dass der Regionalismus zwar ein sozial sicherer Hort sein kann, aber in punkto Demokratie oder Kultur eine geradezu schmerzhaft verengte Sichtweise annimmt; eine die nachhaltige Gefahren nach sich zieht, die schlagartig in angewandten Isolationismus, Revanchismus, Lokalpatriotismus samt zugehöriger Stammtischpolitik ausarten kann, gegen den Dogville ein Lapperl ist.
Erst das überregionale Konstrukt des Staates (um den bei manchen inkrimierten Begriff der Nation zu vermeiden) macht aus einem Einwohner einen Bürger, einen Citoyen, erst der abstrakte Begriff des Staats transformiert plumpes Clan-Denken in eine wahrhaft partizipatorische Demokratie.
Die Gefahr der De-Nationalisierung
Die von Filzmaier angesprochene De-Nationalisierung ist also kein Juchu! im Kohr'schen Sinne, sondern eine veritable Gefahr.
Denn aus den geistig immer nur von der Hand in den Mund lebenden Regional-Gesellschaften, und die meisten der österreichischen Bundesländer agieren, was ihr Leitbild, ihr Mission Statement betrifft, leider immer noch in Herrenbauern-Tradition (und: ich nehme Wien da eigentlich nicht aus...). Die Definitionsmacht in die Länder, die Bezirke oder die Gemeinden zu verlagern - das ist eine schöne Vision aus der Anfangszeit der Umwelt-/Friedensbewegung, hat aber versagt.
Nun ist davon, juristisch und praktisch, eh nicht die Rede. Gefühlt aber schon. Und zwar weil die Zentral-Macht, der Staat, der Bund immer mehr Bereiche an Europa/Brüssel bzw die globalen Ökonomie-Mächte abgeben muss.
Daraus schlagen lokale Fürsten Kapital und entziehen der Nation dann also auch an der anderen Flanke ihre Substanz.
Das ergibt in Zeiten eines diffusen, irgendwie österreichischen Gefühls die Exekutiv-Macht doch an einen starken Mann auszulagern ein hochexplosives Gemisch.
Wenn der Staat, der wir alle sind (was einer minimalanfordernden Denkleistung bedarf, als Quasi-Eintrittskarte) nichts mehr gilt und eine überregionale Demokratie als überflüssiger Luxus zutodegeredet wird dann ist "Im Vergleich dazu die Banalität eines Wahlergebnisses vernachlässigbar." wie Filzmaier in seinem Schlusssatz sagt.
Stimmt.
Denn die drohende Gefahr der österreichischen Variante der Postdemokratie, der Security-Demokratie, sitzt nicht bloß in irgendwelchen Wahlergebnissen oder ist bei einzelnen Parteien daheim - sie gedeiht in einem sorglos angelegten Gesamt-Biotop zunehmender politischer Lustlosigkeit und Abkopplung von der Außenwelt, dessen gefährliche Bestandteile wir täglich füttern als ob sie nur lustige Zierfische wären.