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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

21. 7. 2009 - 20:31

Journal '09: 21.7.

2009 - Das Jahr, in dem Österreich kippt, Teil 9. Weisheiten aus alten Tatorten, leider unerhört.

Gestern abend, also in der heutigen Ausgabe, bespricht der Kurier den sonntäglichen Tatort (Print kommt bei Abendveranstaltungen immer mindestens 18 Stunden zu spät, auch ein Grund, warum Junge keine Zeitungen mehr lesen): das hätte man nicht unbedingt wiederholen müssen, steht dort, "Jeanette Biedermann als Popsternchen mit Neonazi-Vergangenheit. Ja, wir haben's begriffen, diese Typen sind schrecklich böse und hässlich auch noch und wir sollen bei denen nicht mitmachen, vielen Dank.", steht da.

Irgendwie kam mir das komisch vor, ich konnte mich dunkel an den bewussten Tatort erinnern und so platt hatte ich den (inhaltlich, nicht musikalisch...) nicht in Erinnerung.

Weil sich mein neuer besten Freund, der Festplattinger, den Tatort zufällig gemerkt hatte, hab ich reingeschaut, bin hängengeblieben (Vorspulen bei den grindigen Musikszenen inklusive) und war verwundert.
Denn die Neonazis in dem 2007 von RadioBremen gedrehtem Tatort "Schwelbrand" sind keineswegs hässlich: die neuen Leader des politischen Arm sehen sogar recht schnuckig aus, und so ganz böse sind sie auch nicht. Einer, der neue Nachwuchsstar nämlich, ist ein V-Mann, also ein Guter. Oder zumindest ein Nicht-ganz-böser.

Eine Kritik an der moralinsauren Portraitierung der (nord)deutschen Mainstream-Popszene, die sich im Gemeinschafts-Gsangl absurderweise über Michael Jacksons "They don't care about us" definieren, wäre mehr als angebracht, das ist echt gruselig.

Schwelbrand

Die Neonazi-Themathik aber ist recht differenziert gezeichnet, wird, nachvollziehbar, auf die persönliche Ebene runtergebrochen, zeigt Ein- und Ausstiegsszenarios, markiert verschiedenen Typologien, differenziert zwischen den Schlägern, den Hetzern und den Ideologen und lässt sich auch auf die sehr spezifisch bundesdeutsche Problematik der V-Männer, der die NDP durchsetzenden Spitzel ein.

Hier sind Vorwürfe also eigentlich unangebracht.
Denke ich mir, noch ehe sich dann die Kommissarin von einem Experten updaten lässt, was den aktuellen Stand (Deutschland, 2007 wohlgemerkt) betrifft.
Und das, was Regisseur und Drehbuchautor Thorsten Näter dem an Text in den Mund legt, klingt dann verdammt clever zusammengefasst.
Es geht drum, wen die rechtsextremen Ideologen womit ansprechen. Und es geht so:

"Die Intellektuellen mit Angst vor der Zukunft.
Die Geschäftsleute die Angst um ihren Besitzstand haben. Und die ewig Unzufriedenen, die bereit sind alles aus dem Weg zu räumen. Und die Jugend, mit Themen, die bislang von den Linken besetzt waren.
Sie geben sich sozial, sie betonen eine nationale Identität und sie fordern ein Ende der (historischen) Schuld.
Es ist ein Schwelbrand.
Es ist wie ein ewig existenter Virus, der solange ungefährlich war, solange das Immunsystem nicht geschwächt ist."

Das geschwächte Immunsystem

Diese kleine Rede bezieht sich auf die politisch schwach vertretene extreme Rechte in Deutschland, die NDP und ihre Vorfeld-Organisationen. Und sie findet in einer politischen Landschaft statt, in der es eine populistische Linke gibt, die viel gefrustetes Ost-Potential abgreift.

Betrifft ja nicht uns, betrifft "die anderen".

Da lässt es sich leicht abwinken.
Da lässt sich leicht sagen, dass es sich hier um ein langweiliges politisches Rührstück handelt, dessen Moral man schon auswendig kennen würde.

Und natürlich läßt sich die Nazi-Keule in jede Richtung schwingen. Bloß: wer deshalb übersieht, dass es hier gar nicht (nicht mehr) um schieres Neonazitum, sondern um ganz andere, bereits in der Mitte des Gesellschaft angekommene und großflächig akzeptiere Intentionen hält, weil da eine als "böse" identifizierte Punzierung drauf ist, der ist arm dran.

Wenn man nicht imstande ist, den hier prototypisch aufgeschlüsselten Sicker-Kurs dieser Strategie aufs eigene Sein, das eigene Land, die eigene Situation umzulegen, dann ist der Abgang in eine entsprechende politische Zukunft, eine von vergleichbaren Kräften installierte Security-Demokratie nicht nur unvermeidlich, sondern erfährt somit auch ein gerüttelt Maß an Unterstützung. Unterstützung durch Wegdrängen.

Es ist schlimm genug, den Spiegel in einem überwuzelten und durchaus zu weinerlich angelegtem Tatort vorgehalten zu bekommen und festzustellen, dass die Zeichen auch da schon deutlich an der Wand standen.
Es ist aber noch viel schlimmer, diese simple Erkenntnis gar nicht erst an sich ranzulassen - selbst wenn es "nur" eine simple Fernseh-Kritik ist, die sich ja durchaus das Recht herausnehmen darf geschmäcklerisch zu sein.

Immerhin kann ich den Planungs-Verantwortlichen des Öffentlich-Rechtlichen hüben wie drüben keine Vorwurf machen. Es ist besser sich eine geschmäcklerische "Fad!"-Schelte abzuholen als wegzuschauen und zu verdrängen.