Erstellt am: 15. 8. 2009 - 09:37 Uhr
Das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut
40 Jahre Woodstock auf fm4.orf.at
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Es ist mir jetzt eigentlich ein bisschen peinlich, hier darüber zu schreiben. Aber ich habe tatsächlich in eine fast schon ungesunde Anzahl von so genannten "Jugendbewegungen" reingeschnuppert, mal tiefergehend, oft eher oberflächlich. So ziemlich am Anfang dieser vielen Flirts mit unausgegorenen Ideologien, unterschiedlichsten Modevorstellungen, mit diversen Frisurvarianten und Hosenweiten, als ich noch als naives Landei durch die Gegend schwirrte, hatte ich auch eine kurze, aber heftige Affäre mit dem Modell "Hippie".
Komplettistisch, wie ich als Bub noch an die Sachen heranging, saugte ich mir sämtliche greifbaren Basics rein. Und dazu gehörte auch eine abgenudelte VHS-Kassette mit einem Film, den die echten Hippies - ich war letztlich nur ein wandelndes postmodernes Zitat - als Heiligtum verehrten.
"Woodstock - 3 Days Of Peace & Music zeigte in einer stundenlangen Abfolge von Livesequenzen und Publikumsinterviews das legendärste Festival der Musikgeschichte und brachte auch einen bestimmten historischen Moment auf den Punkt. Immer wieder spulte ich mich als kleines Fake-Schmuddelkind durch das grobkörnige Material, versuchte einen Hauch von jener revolutionären Energie zu erhaschen, die 1969 die amerikanische (Gegenkultur-)Nation erfasst hatte.
Richtig gefallen, das musste ich mir irgendwann eingestehen, hat mir das alles nicht.
Okay, gegen den Vietnamkrieg zu sein, fühlte sich als potentieller Bundesheer-Verweigerer super an, die Free-Love-Geschichte ebenso, zumal der erste Verkehr noch in der Ferne lag. Das Schlafen im Schlamm aber, die kruden Botschaften, die von Haaren völlig zugewachsenen Mädchen und Jungs, alles keine großen Bringer.
Vor allem die Musik ließ mich kalt, auch wenn es mir damals nie eingestanden hätte. Endloser Bluesrock, gefühlte stundenlange Gitarrensoli, eine folkige Laschheit, die brutal unsexy wirkte. Kein Wunder, dass ich mich etwas später, mit New-Wave-Frisur, Punkplattensammlung, strenger Lederkrawatte und einem Ticket nach Wien in der Tasche, extrem von meiner pubertären Woodstock-Verirrung distanzierte.
Warner Bros
"Woodstock - 3 Days Of Peace & Music", dachte ich mir gestern, als ich Michael Wadleighs Streifen via DVD wiedergesehen habe, dieses im Director's Cut 219 Minuten lange Filmdokument, ist eben kein Streifen, der für sich alleine steht.
Es ist ein Film, der in jeder Dekade anders wahrgenommen wurde, dessen Beurteilung auch abhängig ist vom Alter des Zusehers, von dessen sozialer Zugehörigkeit und Lebenseinstellung. Echte Zeugen der Vergangenheit werden wohl immer in einen schwärmerischen Nostalgie-Automatismus verfallen. Und viele junge Gegenwartsmenschen dürften nur verständnislos den Kopf schütteln und sich langweilen.
Während ich dieses Epos als Pseudo-Revoluzzer verzweifelt lieben wollte, als strenger Postpunk verachtete, als nihilistischer Grunger belächelte, hinterließ mich das gestrige erneute Sichten mit gemischten Gefühlen.
Irgendwie war da wieder ein Respekt da, vor dem schieren Ereignis, vor allem vor der Aura, die der "Woodstock"-Film 1970 verstrahlt haben musste, als er in weiten Teilen der westlichen Welt in die Kinos kam.
Ich kann mir gut vorstellen, dass in diesem Jahr, als jegliche Subkultur noch kaum oder nur negativ in den Mainstream-Medienkanälen wahrgenommen wurde, dieser von Warner Brothers produzierte Film auf viele Jugendliche wie ein Blick in eine andere Welt wirkte. Erst recht in Österreich.
In dieser Prä-Videoclip-Epoche, als es hierzulande gerade mal ein paar Rockstars in die Wiener Stadthalle schafften, elektrisierten die Cinemascope-Auftritte von Stars wie Santana oder The Who wahrscheinlich ungemein. Und möglicherweise konnte die provinzielle heimische Sexualmoral anno 70 auch nicht mit den Versprechungen der Woodstock-Nacktbade-Szenarien konkurrieren.
Warner Bros
Diese von Michael Wadleigh, zusammen mit seinem Regieassistenten, dem großen Martin Scorsese, filmisch perfekt verpackte Leinwand-Utopie trieb sicherlich unzählige Kids raus aus den Fängen der Pfadfinder und katholischen Jungscharlager, in Richtung befreite Camping-Ausflüge, lustige Zigaretten, Antibabypille, ungesund lauten Rock.
Und das, dachte ich mir gestern mittendrin, ist eine Leistung, die man der über dreistündigen Anti-Establishment-Hymne nicht absprechen kann.
Auf der anderen Seite haben sich die vielen negativen Aspekte des Films - und des tatsächlichen Festivals - nicht verflüchtigt. Das betrifft vor allem auch die künstlerischen Facetten des Spektakels.
Mit den Augen von 2009 betrachtet, erweist sich "Woodstock - 3 Days Of Peace & Music" als Ansammlung etlicher ausgesucht öder Protagonisten der späten Sechziger. Der grässliche Joe Cocker gröhlt, Crosby, Stills & Nash (ohne Neil Young) paralysieren so wie John Sebastian mit Lagerfeuer-Fadesse, Joan Baez erinnert an Jazzmessen in der Pfarrkirche, die zuvor lässigen The Who befinden sich gerade in der behäbigen Rockdinosaurier-Phase (und schneiden trotzdem noch besser ab als andere), es wird verinnerlicht geflötet und gedudelt und das Griffbrett gequält.
Die dunklen Gegenstimmen der Sixties, die dekadenten Velvet Underground, die räudigen The Stooges, Blue Cheer, die Seeds oder 13th Floor Elevators, die lasziv-todessehnsüchtigen Doors, sie alle glänzen ebenso durch Abwesenheit wie die zynischen Ikonen von den Rolling Stones oder der Vordenker Bob Dylan.
Unten im Gatsch, in den improvisierten Zelten und verregneten Notlagern spielen sich, so kommt das heute rüber, viele kleine und große Tragödien ab, die sich auf den verklärten Gesichtern spiegeln. Eine Vorahnung ist spürbar, dass die bunten Ballone mit den aufgemalten Friedenszeichen demnächst zerplatzen werden. Und dass die großen Protagonisten wie Jimi Hendrix oder Janis Joplin schon bald der Tod einholen wird.
Wenn Hendrix seinen metallischen Gitarrenlärm zum Ausklang spielt, kreist die Kamera über Tonnen von Dreck, Müllhalden, Spuren der Verwüstung.
Fazit: "Woodstock" zeigt keinen konservierten Traum, sondern den Anfang vom Ende, bleibt aber ein einmaliges Stück Dokumentarkino.
- Woodstock - Drei Tage voller Love, Peace & Happiness ist am Sonntag, 16. August um 23.35 in ORF2 zu sehen.
Warner Bros