Erstellt am: 15. 8. 2009 - 06:10 Uhr
40 Jahre Woodstock
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40 Jahre Woodstock auf fm4.orf.at
- 40 Jahre Woodstock: Yasgur's Farm: Der 15. August 1969
- Das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut: Ein Dokumentarfilm, der Geschichte schrieb
- Zwischen Gegenkultur und Kommerz: Ein Gespräch mit Woodstock-Erfinder und Co-Organisator Michael Lang
- Hippie Traces: Der Sommer in NYC
Warum glauben Sie, dass viele Kritiker - und selbst Leute, die damals dabei waren - Woodstock in der Nachbetrachtung für überschätzt halten?
Also ich kann das nicht nachvollziehen. Ich habe die letzten Wochen sehr viele Interviews gegeben und die Reaktionen waren durchwegs positiv. Allein, dass Sie zum Beispiel hierhergekommen sind, zeigt doch, dass Woodstock sehr wohl eine große Sache war. Klar, es gibt immer etwas zu kritisieren und es mag im Eigeninteresse einiger Medien liegen, gegen Woodstock Stellung zu beziehen. Aber die meisten Berichte zum Jubiläum sind doch gut ausgefallen.
Aufgrund der Menschenmassen kam es bald zu zahlreichen Versorgungsengpässen, gab es einen Moment, an dem sie dachten, dass das Festival im Chaos untergehen könnte?
- Teil 1 des Interviews mit Michael Lang auf derstandard.at
Ehrlich? Nein! Das lag daran, weil sich schon Tage vor dem offiziellen Beginn unter den Leuten am Gelände eine Stimmung der Solidarität aufgebaut hat, die durch nichts zu erschüttern war. Im Gegenteil: das ist gewachsen und gewachsen. Das war ja das Besondere an Woodstock, dass dieses soziale Experiment tatsächlich geklappt hat. Bereits am Donnerstag waren 80.000 Menschen vor Ort, zwei Tage bevor überhaupt der erste Ton gespielt wurde. Ich habe mich das ganze Festival über sicher und geborgen gefühlt.
Aus heutiger Sicht grenzt es dennoch an ein Wunder, dass das Festival nicht im Chaos versunken ist. Geplant für 200.000 Menschen ist eine halbe Million aufgetaucht. Schon am ersten Tag ging die Verpflegung aus. Die sanitären Zustände waren katastrophal. Haben Sie nicht einfach auch nur Glück gehabt, dass es so friedlich geblieben ist?
Nochmal: ich glaube, dass das sehr wohl den guten Vorbereitungen zu verdanken war. Wir alle zählten uns damals zur Gegenkultur. Mit Woodstock wollten wir das demonstrieren. Unter den Kids herrschte die Meinung, dass Musik frei sein sollte. Wir stellten uns darauf ein. Wir haben bereits im Vorfeld viele Tickets verschenkt, nicht erst, als die Zäune gefallen sind. Wir haben Free-Camping angeboten. Als dann die Nahrungsmittel der Verkaufsstände knapp wurden, haben wir die Leute gratis versorgt und Hilfe von den Farmern bekommen. Wir haben versucht, alle möglichen Aggressionspunkte zu neutralisieren. Wir hatten zum Beispiel unsere eigene Festival-Polizei, verkleidet als Friedensarmee ohne Waffen. Wir haben die Aktivisten der Hog-Farm eingeladen, die gewohnt waren, mit wenig zu überleben und so den Großstadtkids zeigen konnten, wie man das macht. Auf diese Weise sollten diese Kids zu einer Erfahrung gelangen, die ihnen demonstriert, wozu sie fähig sind. Strategie war es, von Anfang an alle Besucher aktiv ins Geschehen einzubinden. Ohne dieses gemeinschaftliche Gefühl hätte das nie funktioniert.
Woodstock erscheint der Nachwelt als eine riesige, friedliche Familie. Doch es gab auch Gruppen innerhalb der Gegenkultur, die Ihnen zunächst feindlich gesonnen waren. Legendär ist zum Beispiel die Drohung der Yippies (Youth International Party) unter Abbie Hoffman, Woodstock mit schlechtem LSD zu überfluten, falls Sie nicht einen bestimmten Dollarbetrag aufs Konto der Prankster-Anarchos überweisen. Stimmt das?
Woodstock Filmfestival
Das gehört tatsächlich ins Reich der Woodstock-Legenden und ist absurd. Die Yippies drohten uns zwar, weil wir ihrer Ansicht nach die Gegenkultur ausverkauften, aber sie wollten niemanden vergiften. Ich hielt ihnen entgegen, dass die Organisation eines Festivals nun mal Geld kosten würde und man diesbezüglich etwas realistischer sein muss. Niemand kann uns vorwerfen, dass wir die Kids abgezockt hätten. Anstatt die Yippies zu verbannen, habe ich sie ins Festivalgeschehen integriert. Als die Dimension allmälich die Kapazitäten zu sprengen drohte, haben sie sich als äußerst hilfreich erwiesen und Flugblätter mit "Survival Guides" verteilt. Hoffman hat sogar die Organisation des Lazarett-Zeltes übernommen und einen hervorragenden Job gemacht. Wir haben mit dem "Movement City" einen Platz für politische Artikulation am Festivalgelände eingerichtet. Er wurde bereits am ersten Tag wieder aufgegeben, weil sich niemand dafür interessierte; ich denke auch deswegen, weil wir alle an diesem Wochenende die Gegenkultur vorgelebt haben. Woodstock war Bewusstseinsbildung durch Aktion und Involvierung. Ich dachte, dass wir das größte politische Zeichen dadurch setzten konnten, dass das Festival funktioniert und friedlich über die Bühne geht.
Drogen galten als fixer Bestandteil der Gegenkultur. Haben Sie versucht, am Gelände die Zirkulation zu kontrollieren?
Das funktioniert bei dieser Masse an Menschen gar nicht. Es war auch kein großes Problem, weil die Drogen damals wesentlich harmloser waren als heute. Marihuana und LSD sind sanfte, spirituelle Drogen. Harten Stoff, wie etwa Heroin, haben wir übrigens nicht toleriert. Einschlägige Dealer wurden von uns, so wir ihrer habhaft werden konnten, vom Gelände entfernt. Aber wie gesagt, umfassende Kontrolle war unmöglich. Auch hier bewährten sich die Leute von der Hog Farm, die in Kalifornien bereits Erfahrungen mit den Acid Tests von Ken Kesey gesammelt hatten und wussten, wie man Personen behandelt, die auf einem schlechten Trip waren. "Off duty cops" haben wir als Sicherheitsdienst angeheuert. Die Festivalbesucher sollten ein cooles Wochenende haben.
Henry Diltz
Wie war es für Sie? Konnten Sie überhaupt einen Augenblick davon genießen?
Ich habe jede Minute davon geliebt (Lang lächelt seelig bis über beide Ohren).
Welcher Moment war für Sie der schönste?
Als Richie Havens als erster Act des Festivals die Bühne betrat und zu spielen begann.
Wie schwer fällt es Ihnen, nicht selbst dem Mythos Woodstock aufzusitzen? Neigt der Mensch im Rückblick nicht allgemein zur Verklärung?
Michael Lang "Road To Woodstock", Ecco-Verlag, 2009
Ich bin mir der Gefahr durchaus bewusst. Deshalb habe ich ein Buch darüber geschrieben. Es sind meine Memoiren. Ich habe darin versucht, die Ereignisse von der Planung bis zum letzten Song minutiös festzuhalten. Das war notwendig, da ich vom damaligen Führungsteam wohl der einzige bin, der die volle Tragweite der Ereignisse begriffen hat.
Woodstock gilt heute nich nur als "3 days of love and piece", so der Untertitel, sondern auch als Initiationsereignis der Vermarktung der Hippie-Kultur. Die Plattenfirmen legten danach erst so richtig los. Allein Michael Wadleighs oscarpremierter Konzertfilm "Woodstock" aus dem Jahr 1970 spielte über 100 Millionen Dollar ein.
Niemand, nicht mal wir selbst, ahnten vor Woodstock, wie viele wir eigentlich waren. Das wurde nun sichtbar und die Kulturindustrie stellte sich sofort auf die Konsumbedürfnisse dieser speziellen Zielgruppe ein. Das sind die Kräfte des freien Marktes, die bis jetzt noch vor keiner Jugendkultur Halt gemacht haben. Und wissen Sie was? Ich hab damit überhaupt kein Problem. Kunst und Kommerz schließen sich meiner Meinung nicht aus. Wenn Kultur allerdings aus rein kommerziellen Gründen betrieben wird, dann merkt man das ohnehin.
Sie haben es ja selbst vorgemacht: Die Woodstock Chronik will es, dass mit den Einnahmen des Festivals ursprünglich ein Tonstudio finanziert werden sollte, das Sie mit ihrem Partner Artie Kornfeld in Woodstock betreiben wollten.
Das ist nur die halbe Wahrheit. Das Studio war Teil eines größeren Projekts. Es stimmt, ich wollte für Musiker und Bands eine Aufnahmeumgebung kreieren, die es ihnen erlauben würde, abseits der Großstadt relativ stressfrei Alben zu produzieren. Zum anderen fanden in den Jahren vor Woodstock überall in der Wildnis so genannte "Sound Outs" statt. Das waren kleinere, herrliche Outdoor Konzerte auf Farmen und Feldern. Ich versuchte mich dann 1968 mit dem Miami Pop Konzert, bei dem auch Jimi Hendrix aufgetreten ist, an einer größeren Umsetzung dieses Prinzips. Woodstock als Projekt sollte beide Komponenten vereinen. Deshalb stand das auch so im Vetrag, den wir mit unseren Finanziers Joel Rosenman und John Robert geschlossen hatten.
Wie ist das Verhältnis zu Ihren damaligen Partnern?
Wir verstehen uns prächtig! Mit Artie telefoniere ich mehrmals die Woche und Joel und ich sind bis heute Geschäftspartner.
Tatsächlich? Ihr Zerwürfnis mit den ehemaligen Partnern ist doch weithin bekannt. Die Produzenten Rosenman und Robert waren ja durch die spontane Freigabe des Festivals im Anschluss daran pleite. Auch über ein Konzert zum 40-jährigen Jubiläum konnten Sie sich nicht einigen.
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Zu Unstimmigkeiten nach Woodstock kam es vor allem deswegen, weil wir damals zu unreif waren, den finanziellen Erfolg zu erkennen. Das Geld war erstmals futsch, das stimmt, aber wir hatten fantastisches Filmmaterial zur Verfügung und wir wären sehr schnell wieder auf die Beine gekommen. Dann mischte sich allerdings Johns Familie ein. Der Großteil der Investition stammte von ihm und seine Leute mochten uns nicht. So zerbrach die Geschäftsbeziehung und die Filmrechte wurden an Warner Brothers verhökert. Wir waren einfach noch etwas zu grün hinter den Ohren.
Wie ging es für Sie nach Woodstock weiter?
Ich zog mich erstmals zurück, weil ich wusste, dass das Ding so groß war, dass alles andere dagegen mickrig erscheinen musste. Später gründete ich eine Plattenfirma, verantaltete Konzerte und trat als Konsulent und Filmproduzent in Erscheinung. Das mache ich alles auch heute noch (Lang co-produzierte z.B. Woodstock 94 und das desaströse, weil gewalttätige Woodstock 99, Anm. des Autors).
Haben sie Ang Lees Film "Taking Woodstock" schon gesehen oder gar daran mitgearbeitet? Er kommt bald in die Kinos.
Nur in beratender Funktion. Wir haben den Film anlässlich einer karitativen Veranstaltung in Woodstock gezeigt. Er ist zwar nicht unbedingt historisch akkurat, aber Ang Lee fängt die unschuldige Stimmung von damals sehr gut ein. Es ist die Geschichte jenes Jungen, der mich angerufen hat und uns schlussendlich nach Bethel brachte und wie in Folge Woodstock sein und unser aller Leben verändert hat. Es ist eine kleine Geschichte über eine ganz große.