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Rafael Reisenhofer Osnabrück

Lebt und studiert in Osnabrück

16. 7. 2009 - 12:33

Pullin' Away

Ich wandere aus. Nicht wegen HC Strache und trotzdem wohlüberlegt. Eine Homestory.

Oscar Wilde hat nachfolgenden Sachverhalt - wie praktisch alle anerkannten Weisheiten des Lebens - sicherlich schon einmal weitaus pointierter formuliert. Ich aber sage es plump und frei heraus: Das Leben ist nicht planbar! Und: Wer ans Schicksal glaubt ist langweilig, denn ich glaube an die Provokation.

Nicht nur ich war Reif und ohne Plan.

Vor etwa drei Jahren begann das Ende meiner Schulzeit absehbar zu werden und Erwartungen machten sich breit. Ich besaß nur eine vage Vorstellung, wie es weitergehen würde, aber die Aussichten waren berauschend. Alles war möglich, nichts entschieden, verpasst oder verbaut. Ich war Zukunft und am Sprung, frei von Ängsten, in einem Zustand ungetrübten Potentials. Fast widerwillig fing ich an, konkrete Varianten auszuloten.

Planung?

Keinesfalls wollte ich einen unmittelbaren Einstieg ins Berufsleben. Mir graute davor, täglich um 7:00 aus dem Bett zu müssen, in das selbe Büro zu stolpern, mit den immer gleichen Kollegen, den immer gleichen Konflikten, Strukturen und Hierarchien, die es vermögen, sich von eigentlicher Nichtigkeit nach und nach zu bestimmenden Lebensinhalten auszuwachsen. Überhaupt schien mir ein geregelt gutes Einkommen die einengende Gewissheit täglichen Schaffens mit reduzierter Perspektive auf Weiterbildung und Ausbruch niemals aufzuwägen. Derart empfänglich den Verheißungen der Universität gab ich mich dem ersten großen Rätsel selbstbestimmten Lebens hin: Wo gibt es die besten Parties, und was soll ich dort studieren? Vieles deutete auf Wien, der Rest blieb vorerst ungeklärt.

Abseits der Zukunftsmusik litt ich damals ohne große Hoffnung auf Gegenseitigkeit vor allem an den Frauen. Nicht an allen, zugegeben, aber in ausreichender Qualität, mich zum Zweck emotionaler Abstumpfung unverhältnismäßig intensiv möglichst spektakulärem Technikspielzeug zuzuwenden. Als Teil einer unterrichtsbedingt zusammengewürfelten Projektgruppe war es mir in einem verwegenen Marketing-Stunt gelungen, Gelder zum Ankauf eines Roboterfußballsystems aufzutreiben, dessen Programmierung mich fürderhin durch einsame Abende im lauschigen Luftschutzkeller der Schule geleiten würde. Dort, umfangen vom stets tröstlichen Rauschen einer monströsen Belüftungsanlage präzisierten sich zum ersten Mal die Modalitäten meiner fachlichen Zukunft, während Feinmechanik im dreistelligen Eurobereich unerbittlich am Ball vorbei gegen die Bande knallte: "Irgendwas mit Künstlicher Intelligenz."

Ein aufgeschlagenes Comic-Heft. Zu sehen ist ein Roboter, der auf einem Berg sitzend scheinbar zusammenhanglose Antowrten auf unbekannte Fragen gibt.

Rafael Reisenhofer

Tom Gauld's kluger Roboter gibt Antworten. Auch im MusemsQuartier.

Vorsehung?

Jetzt ist "Irgendwas mit Künstlicher Intelligenz" dummerweise kein in Österreich sonderlich verbreiteter Studiengang, selbst, wenn man gönnerhaft auf "irgendwas" und "mit" verzichten würde. Dem Zivildienst sei Dank ein aufgeschobenes Problem, immerhin, aber auch keines, das sich im Lauf eines Jahres von selbst zu lösen vermochte. Neun in den Mühlen eines Krankenhausbetriebes verbrachte Monate später sah ich mich in meinen Ressentiments gegenüber der grausamen Welt des Broterwerbs zwar mehr als bestätigt, anderweitig jedoch nach wie vor weitgehend ratlos. So wandte ich mich an jene, die es besser wissen mussten. Ein mir schon durch vergangene Aktivitäten bekannter Professor der Informatik riet mir in Folge, den Fokus auf entsprechende Masterstudiengänge seines Fachgebiets zu legen. Ein passionierter Erbauer von Robotern sah mich als angehenden Elektrotechniker. Hätte ich einen Volkswirt gefragt - der Modus dürfte mittlerweile klar sein.
Schließlich beschloss ich, dass Grundlagen geil sind und inskribierte Technische Mathematik. Vorläufig, sozusagen, denn irgendwie, so meinte ich, würde sich die Künstliche Intelligenz schon noch ergeben.

Provokation!

Dass dies tatsächlich bald geschah, ist vor allem dem nervigen Drang geschuldet, die traurige Geschichte meiner unpassenden Ambition in Gesellschaft stets Rosenkranz-artig herunter zu beten. So auch in den letzten Zügen einer denkwürdigen finnischen Nacht, welche ausführlich Niederschlag in einer hier veröffentlichen Story fand. Und hätte ich nicht solcherart User amijesus kennengelernt, der mit einem ähnlichen Schicksal bedacht nach Matura und Dienst am Staat wahre Cojones bewies, und ohne Zögern die Flucht nach Deutschland antrat, der Lockruf Osnabrücks wäre für mich ungehört geblieben.

Ab Herbst studiere ich in Deutschland Cognitive Science. Mit Mathematik, Philosophie, Psychologie, Informatik, Neurobiologie, Künstlicher Intelligenz und ganz viel Scharf. Der Strache ist dann auch weiter weg. Alles in allem eher ungeplant, ein bisschen zufällig und doch irgendwie provoziert.