Erstellt am: 4. 7. 2009 - 09:00 Uhr
Reif und ohne Plan
Untrügerisch mehren sich die Zeichen, dass es dem Semester an den Kragen geht. Anstatt tags zuvor ungelöster mathematischer Probleme plagen mich beim ersten Blinzeln in den neuen Mittag gehäuft anderweitig induzierte Kopfschmerzen. Ebenso signifikant: Das vermehrte Auftreten spontaner Grüppchenbildung in den Gemeinschaftsküchen meiner Wohnstätte zum Zweck der verbrüdernden Vernichtung legaler Rauschmittel und der leider nicht strafbaren, aber ebenso beziehungsfördernden Intonation so genannter Evergreens. Überdies durfte ich heute zumindest telefonisch mit meiner Mutter unser liebgewonnenes "Ich sag dir eine Liste 20 aktueller Filme und du sagst mir, welche davon ich mit einer Hauptschulklasse im Kino ansehen kann" - Ritual vollführen. Für besonders interessierte: Brüno - nein; Monsters vs. Aliens - ja.
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Nun könnte man hinterfragen, wieso ein Anstieg des Bildungslevels derart mit dem Bedürfnis korreliert, seine kognitiven wie körperlichen Fähigkeiten durch übermäßige Alkoholeinwirkung auf ein postnatales Mindestmaß zu reduzieren - oder sich naiv mit der Feststellung begnügen, dass ein Semesterende unabhängig vom bereits zurückgelegten Bildungsweg universelle Entspannung sowie einiges an Druckabfall zu bieten hat. Schließlich gehört diese kurze Periode, in welcher sich der in Auflösung befindliche Lehrbetrieb langsam Richtung Ferien verabschiedet, ohne dass selbige dem Kalender nach bereits begonnen hätten, gleich neben Weihnachtstraumata vertreibenden Silvesternächten und spätsommerlichen Grillabenden in den Gärten reicher Eltern zu den absoluten Rosinen eines jeden Jahres. Denn ist man erst offiziell im Urlaub, rückt dessen Ende mit jeder Mußestunde unvermeidlich näher.
Bedeutet nun für den Großteil der SchülerInnen und Studierenden dieser Tunnel am Ende des Lichts schlicht die leichte Variation ohnehin schon bekannter Mühsal, steht hier für jene Zeitgenossen, deren staatlich besiegelte Reife gerade unmittelbare Vergangenheit beziehungsweise nahe Zukunft ist, oft ein ziemlich großes Fragezeichen.
Die, die's immer schon wussten...
Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel und treten zum Beispiel dann auf, wenn man als notorischer Besserwisser schon im Kleinkindalter davon fabulierte, später einmal Spezialist für relationale Datenmodelle oder Hedge-Fonds-Manager werden zu wollen und folgerichtig reichlich Zeit hatte, den Karriereweg vom ersten Zinsgewinn am Pausenhof bis zum immerwährenden Reichtum verheißenden Abschluss an der London Business School penibel zu planen. An dieser Stelle übrigens zwei Daumen nach oben und fetter Respekt an all jene, die standhaft geblieben, und heute tatsächlich Lokomotivführer, Krankenschwester, Kindergärtnerin oder Feuerwehrmann sind. Diejenigen, deren Eltern den Benefit einer eigenen Arztpraxis besitzen hier mit überschwänglichem Beifall zu bedenken, muss nicht sein, viel Glück für den Aufnahmetest an der Paracelsus Universität in Salzburg wünsche ich aber trotzdem.
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Können?
Wurde einem ein solcher Determinismus nicht in Wiege gelegt - und davon ist auszugehen - muss man sich etwas überlegen. Zwar würden aufgeklärte Eltern von heute den Plan des umsorgten Sprösslings, sich als solistischer Ausdruckstänzer betätigen zu wollen nur mehr selten mit einem rüden "Jetz moch hoit amoi wos gscheit's!" unterminieren, aber nicht jede spannende Idee ist zwingend eine durchführbare. Will man Mediziner werden, muss man sich erst mal testen lassen. Opernsänger, Burgschauspieler, großer Macher im internationalen Business als Abgänger der FH Joanneum - sowieso! Alternativen bei mangelnder Begabung bietet zwar der freie Markt, aber auch, wenn gute Bildung erfreulicherweise weitestgehend käuflich ist, haben sollte man das entsprechende Kleingeld schon auch. Als ebenso Brieftaschen abhängig könnte sich die unpatriotische, jedoch durchaus nicht undenkbare Erkenntnis erweisen, dass sich der persönlichen Wunsch-Studiengang in einem Radius von 400 Kilometern um die Sölktaler Alpen bisher noch nicht herumgesprochen hat, beziehungsweise ausländische Institute schlicht mit besseren Perspektiven aufwarten können, denn ihre heimischen Pendants.
Dass ein gut konditionierter wie perspektivenreicher Soforteinstieg ins Berufsleben mit "nicht mehr" als einem allgemeinen höheren Schulabschluss derzeit gewisse Schwierigkeiten bereiten dürfte muss, denke ich, nicht näher ausgeführt werden.
Wollen?
Bei aller Begrenztheit der Möglichkeiten gilt es dennoch festzuhalten: Mit einer Matura im Rücken ist schon so einiges drinnen. Aber was genau davon will man? Ist man nicht mit dem Glück einer jegliche Alternativen vom Tisch fegenden Inselbegabung beziehungsweise Skalen sprengenden Begeisterung für ein bestimmtes Fachgebiet gesegnet, so findet sich alsbald eine Handvoll Varianten der Zukunftsgestaltung, gleichberechtigt vielversprechend und interessant.
Ein mir schon länger bekannter Professor der Technischen Universität Wien meinte übrigens kürzlich, er wäre überrascht, wie sehr sich Studierende - im Gegensatz zu früher - bereits bei Aufnahme des Studiums darum bemühten, sich zu spezialisieren. Natürlich bleibt beim Fehlen einer großen Zukunftsvision, welche sicherlich nicht zum Standardrepertoire aller Erstsemester gehören muss, nicht viel mehr, denn berechnendes Kalkül. Und wer heute nicht schon früh damit beginnt, sich möglichst exklusive und spezialisierte Qualifikationen anzueignen, droht beim großen Ellenbogenstoßen am Arbeitsmarkt schnell ins Hintertreffen zu geraten.
Machen? Ich!
Anna Haslehner
Hat man dennoch nach ewigen Diskussionen, Beratungen und inneren Monologen einen Plan entwickelt, der passt, so bleibt immer noch die Durchsetzung. Und um zum Abschluss ein bisschen persönlich zu werden: Nach gut drei Jahren des Philosophierens war ich Mitte April endlich soweit zu wissen, wo ich hingehöre. Jedoch stand und steht zwischen mir und dem Studium der Cognitive Science in Osnabrück mit Wien eine Stadt, in der ich sehr gerne lebe, ein bereits begonnenes Studium, welches eigentlich passt und Freunde, die ich nie und nimmer zurücklassen wollte. Gehen werde ich natürlich trotzdem. Aber dazu bald an dieser Stelle mehr. Schließlich hab ich derzeit ohnehin nicht sehr viel Besseres zu tun (siehe oben).