Erstellt am: 29. 5. 2009 - 00:50 Uhr
Der antifaschistische Konsens
Disclaimer: Der folgende, im Verlauf der letzten zwei Tage zwischen Tür und Angel entstandene Text deckt sich zum Teil damit, was Martin Blumenau heute bzw. gestern geschrieben hat. Zum Teil auch nicht.
Falls diese kleine Geschichte seitens der Lesenden nicht mehr als einen gelangweilten Luftausstoß hervorrufen sollte, hat sie paradoxerweise den Punkt getroffen. Hier geht es schließlich um das Normale. Das, was aus purer Gewohnheit nicht mehr der Rede wert scheint.
Vor zwei Wochen war ich in Österreich. Mir waren sie neu, die vieldiskutierten FPÖ-Plakate mit der in ihrer blanken Bigotterie geradezu verblüffenden Abendland in Christenhand-Parole.
Austin Powers im Abendland
Der erste Instinkt des mit sowas konfrontierten, zwischendurch heimgekehrten Auswanderers ist immer ein wehmütiges Befremden - so wie bei Austin Powers, der feststellen muss, dass alles längst nicht mehr so groovy ist wie damals, als er eingefroren wurde.
Das Enttabuisierungsspiel mit Schielen auf den braunen Unterbauch war zur Zeit meiner Abwanderung zwar schon längst in vollem Gange, aber vergleichsweise noch vorsichtiger kodiert, der Anschein politischer Zivilisation fast noch gewahrt.
Dog-whistling
Wenn der erste Eindruck einmal nachgelassen hat, relativiert sich mein Schock über die seither überschrittenen Duldungsgrenzen betreffend antisemitischer oder xenophober Vorstöße aber auch schon wieder (wohlgemerkt keine – per Definition versehentlichen - "Entgleisungen", wie sie in der tagespolitischen Phraseologie gern genannt werden, sondern eben durchaus bedachte Vorstöße, dog-whistling, wie es auf angelsächsisch so treffend heißt). Schließlich haben diese Grenzen, wenn überhaupt, doch immer nur im Habitus des offiziellen Österreich existiert.
Genauso wie der von Martin Graf historisch falsch als Relikt der DDR-Diktion bezeichnete, immerhin staatsvertraglich mit Österreichs Existenzrecht verbundene antifaschistische Grundkonsens (Leuten wie ihm kommt die einfältige Links-wie-Rechts-Totalitarismus-Gleichsetzung seit dem Mauerfall da argumentativ sehr zupass).
"Der Neger färbt ab"
Als ich Mitte der Neunziger als Zivildiener bei einem Wiener Rettungsdienst zum Verlassen meiner sicheren Blase des Bildungsbürgertums gezwungen war, hab ich mich schön gewundert, wie der spontane Konsens im Krankenwagen sich tatsächlich anhörte.
Von der Warnung vor dem abzuholenden "Neger, der abfärbt" bis zu den Psychiatrie-PatientInnen, die, "samma uns ehrlich, alle vergast gehören", herrschte da ein Konversationsklima, das ganz ungeniert und selbstsicher von einer verschwörerisch augenzwinkernden, beiläufigen Nazi-Nostalgie ausging und PatientIn und Sanitäter dabei in ihrem Spaß an der stillen Wut des humorlosen Zivi vereinte.
Doch was red' ich selbstironisch über meine bildungsbürgerliche Blase, so behütet war die doch gar nicht. Immerhin gab es da zum Beispiel schon in meinem kreuznormalen Wiener Gymnasium so Typen wie den, der wie ein SA-Mann mit sauber gewichsten Reitstiefeln und Koppel in die Schule ging. In gewissen "unpolitischen" jugendlichen Subkulturen der Achtziger waren wiederum Kameradschaftsbundaufkleber sehr beliebte Accessoires.
Neue Deutsche Nazi-Welle
Solche Dinge fallen mir ein, wenn ich lese, wie JournalistInnen in meinem Alter sich ernsthaft wundern, warum es in der Jugend plötzlich so viel Rechte gäbe. So als hätten wir das in unserer Generation nicht erlebt. So als wäre uns nicht aufgefallen, dass die Ironie von "Tanz den Mussolini" in den dünkleren Momenten der Wiener Schulparties gänzlich verloren ging.
Ich kenne auch die alten Rechtfertigungsgeschichten von der jugendlich unschuldigen Freude an der Provokation der Alt-68er-LehrerInnen, und ich glaube kein Wort davon. Die Alt-68-er LehrerInnen waren immer in der Minderheit, dafür gab es Kollegen von ihnen, die Schüler erfolgreich "auf die Bude" mitnahmen. Wo blieb da der jugendliche Oppositionsdrang?
Im Gegenteil: Damals wie heute (zum Beispiel beim Softgun-Attentat auf eine BesucherInnengruppe im KZ Ebensee) beruft sich die Provokation des öffentlichen Scheinkonsens implizit auf den unterschwelligen Gegenkonsens, den ich im Krankenwagen so eloquent toben hörte. Mit Entfremdung von der Erwachsenenwelt oder Rebellieren hat das rein gar nichts zu tun. Es ist die pure Affirmation.
Die Schande im Ausland
Und das ist nun mein Problem mit der Martin Graf-Debatte, wie ich sie von der Entfernung aus mitkriege. Zum Beispiel, indem ich auf der ORF-Site die Studiokonfrontation von Graf und Glawischnig sehe, in der ersterer klassisch in die Opferrolle schlüpft, während zweitere sich vor allem auf seine schädigende Wirkung als Repräsentant der Republik einschießt. Die Schande im Ausland. "Ja, schämen Sie sich denn nicht?"
Wer je irgendwas mit Popkultur zu tun gehabt hat, weiß, dass es nichts Besseres gibt, als vom "Establishment" (in diesem Fall dem offiziellen antifaschistischen Konsens) diese Frage gestellt zu kriegen. Eine Lektion, die die Rechte schon lange gelernt hat.
Als einer, der Österreichs Schande im Ausland ständig aus der überwiegend pathologisch austrophoben Perspektive der britischen Presse miterlebt, muss ich zudem sagen, dass a) der Fall Graf, der Fall Ebensee, der spottende Gymnasiast in Auschwitz oder die Hitlergrüße auf Wahlveranstaltungen noch nicht ihren Weg in deren selektive Wahrnehmung gefunden haben und b) mir das in diesem Fall auch ziemlich scheißegal bzw. vielleicht sogar recht wäre.
In einem hat Graf nämlich recht: Er steht – auch mit seinen kalkulierten "Entgleisungen" – für die rund 20 Prozent, die seine Fraktion gewählt haben. Er repräsentiert etwas, das da ist, auch wenn es nach außen hin gar nicht schön ausschaut. Es deshalb auszublenden, weil es eine Schande ist, bestätigt die Pose der auf erwähnten heimlichen Konsens bauenden Pseudorebellion, während es den offiziellen Konsens als Heuchelei erscheinen lässt.
Damit meine ich nun nicht, dass die zumindest formal antifaschistische Mehrheit Grafs "verbale Notwehr" einfach hinnehmen muss. Im Gegenteil:
Wieso geht es eigentlich nicht, dass man einen, der das Wort "antifaschistisch" mit Terrorismus und Ostblockdiktatur assoziiert, auf ganz direkte Weise, beharrlich und präzise darauf festnagelt, wo nun eigentlich konkret sein Problem mit dem Begriff des Antifaschismus liegt?
What part of antifascism do you not understand?
Was schätzt er so am Faschismus, dass er nicht dezidiert dagegen sein will? Die rassistische Komponente? Oder nur den mörderischen Antisemitismus? Die Auslöschung des nichtlebenswerten Lebens? Die Verfolgung entarteter Kunst? Die Homophobie? Die stramme Parteistruktur? Die totalitäre Staatsform? Die industrielle Massenvernichtung? Den Zauber der Montur? Was ist es genau, das es ihm unmöglich macht, sich einem antifaschistischen Konsens anzuschließen?
Interessanterweise hat sich in Großbritannien gerade eine Paralleldebatte entsponnen, die mich frappant an in Österreich erlebte Dinge erinnert. Institutionen wie die Londoner Stadtregierung, die County Councils, das schottische und walisische Parlament, aber auch die Mandatare des EU-Parlaments werden dort, so wie auch in Kontinentaleuropa üblich, nach dem Verhältniswahlrecht gewählt.
Infolgedessen haben sich in diesen Bereichen Parteien wie die rechtspopulistische UK Independence Party, die Green Party und die neofaschistische British National Party (BNP) breit gemacht – im Gegensatz zum Mehrheitswahlrecht bei den Unterhauswahlen, das klare Mehrheiten beschert und (abgesehen von Nationalparteien in Schottland, Wales und Nordirland) nur den drei Großen realistische Chancen auf Mandate lässt.
Rechte Recken bei der königlichen Gartenparty
Vor dem Hintergrund der Rezession, steigender Arbeitslosigkeit und des Spesenskandals, der das politische Establishment dem geballten Volkszorn ausgesetzt hat, haben die bevorstehenden EU-Wahlen nun das große Bangen vor der BNP ausgelöst.
Auch hier gibt es einen Konflikt um christliche Symbolik: Die Erzbischöfe von York und Canterbury haben "in dieser Zeit außergewöhnlicher Turbulenzen in unserem demokratischen System" ihre Gemeinde zum Boykott der BNP aufgerufen, die ihrerseits Abbildungen von Jesus in ihrer Propagandaliteratur verwendet.
Und auch hier gibt es eine Debatte über repräsentative Fragen: Richard Barnbrook, der als gewählter Vertreter der BNP in der Greater London Authority sitzt, wurde seines Amtes wegen zu einer formellen Gartenparty der Queen eingeladen. Als Begleitung wollte er nicht seine Lebensgefährtin, sondern seinen Parteichef, den 1998 wegen rassistischer Verhetzung verurteilten Nick Griffin, mit in den Buckingham Palace nehmen.
Auch hier wurde eine Verhinderung seiner Teilnahme von Seiten des politischen Mainstream sehr abstrakt und daher kontraproduktiv als Frage des Anstands verhandelt. Griffin sagte sein Kommen vorgestern schließlich ab, weil er der Königin "die Peinlichkeit ersparen" wolle.
Sein eigentliches Ziel, sich mit viel Publicity als Opfer darzustellen, ohne dabei irgendwelche Konsequenzen zu erleiden, hat er ohnehin schon erreicht (siehe Martin Graf).
All das wäre immer noch ein Sturm in der Teetasse, wären derzeit nicht auch wieder die Forderungen nach einem Verhältniswahlrecht fürs Unterhaus wieder aufgelebt.
Einer wie Gesundheitsminister Alan Johnson, der als chancenreichster potenzieller Nachfolger Gordon Browns gehandelt wird, sieht darin – bzw. in einer künftigen Koalition mit den Liberaldemokraten – eine Möglichkeit, seine aussichtslos hinter die Konservativen zurückgefallene Partei an der Macht zu halten.
Aber was, wenn die extreme Rechte dann ins Unterhaus vorstoßen würde? Man müsste sich ihr stellen. Müsste. Dass man dies auch wirklich täte, ist leider - siehe Österreich - nicht garantiert.