Erstellt am: 28. 5. 2009 - 18:23 Uhr
Journal '09: 28.5.
Siehe dazu auch Der antifaschistische Konsens von Robert Rotifer.
The line must be drawn here!, sagt Captain Picard in Star Trek: First Contact, als ihm klar wird, dass das ewige Zurückweichen gegen den alles verschlingenden Feind, die Assimilations-Genies Borg nichts nutzt. Picard weiß, wovon er redet: Er war kurzzeitig als Gefangener selber im Borg-Kollektiv, Teile seines Bewusstseins empfangen noch ferne Echos alter Befehlsketten - er ist eine zutiefst verstörte, gespaltene Figur und nimmt sein Schicksal als derjenige, der die fortschreitende Unterjochung aufhalten muss, demütig und voller Wut an.
Die Grenze, die aktuell überschritten wird, ist das offene Kokettieren mit dem Antisemitismus.
Das geht, weil der Konsens der gesellschaftlichen Ächtung, die dieses Thema begleitete, zunehmend aufgeweicht wird. Weil er, der Konsens, keine seriöse Basis hatte, verordnet war und dann halt auch so umgesetzt wurde: nach Vorschrift.
Offenes Kokettieren mit Antisemitismus
In so ein wabbriges Vakuum ist leicht reinstoßen.
Noch dazu mit Hilfe einer Generation, der man einzureden versucht, sich über eine Rebellion von politisch unkorrekten Verhaltensweisen zu definieren. Als ob Antisemitismus, Xenophobie oder Schwulenhass in diesem Land (und seinen Vorgänger-Ausprägungen) etwas wäre, was eine Mehrheitsgesellschaft (die genau das eh lässig findet) ernsthaft provozieren würde.
Als ob das jemals anders gewesen wäre - eine berechenbarere, strukturkonservativere Provokation, vor allem eine erwünschtere Provokation ist nicht vorstellbar.
Jeder junge Mensch, der da drauf reinfällt ist ein nützlicher Idiot, den sich Lenin nicht schöner hätte ausmalen können.
Mit diesem Wissen arbeiten populistische Strategen; und zwar sehr sorgfältig, immer im Bewusstsein, eine reine Win-Win-Situation entstehen zu lassen. Wo man verlieren könnte (egal was) kneift man sofort und reut öffentlicht) - wo es zu gewinnen gibt, wird ausgekostet.
Judenhass als Schein-Provokation
Die Muzicant-Sprüche des Problempräsideten Graf, die frei erfundene EU-Gefahr durch Israel, das Runterspielen der Ebensee-Vorfälle als Lausbubereien und anderes moralisches Gefahrengut mehr passieren aktuell wegen einer anstehenden Wahl, die die FPÖ siegreich zu bestreiten gedenkt (um danach mehr Druck aufzubauen, was z.B. Wien und den Bund betrifft).
Diese, den latenten Antisemitismus Österreichs mehr als befruchtende Aussaat, trifft zielgerichtet auf gleich drei Gruppen.
Zum einen das nationale Klientel, das z.B. in Bayern von der CSU aufgefangen wird, dem die ÖVP hierzulande aber zu vage, zu provinziell und zu wenig strukturkonservativ ist.
Zum zweiten auf ein großes Segment der Jungen, die sich - von ihren schlechten Aussichten und dem gesellschaftlichen Auf-der-Stelle-Treten gefrustet sind und hier einen (in ihrem ärmlichen Kurzzeitgedächtnis) provokanten Standpunkt einnehmen kann.
Zum dritten das nicht unbeträchtliche Segment der jungen Migranten-Kids, die zweite Generation mit Staatsbürgerschaft.
Judenhass als Folklore
Die sind aus ganz unterschiedlichen Gründen für Antisemitismus mehr als nur anfällig.
Bei ersteren, den Nationalen, gehört es zur Folklore. Das hat man von den Älteren geerbt, vom FP-Vorgänger der VdU, dem 1949 gegründeten Sammelbecken der alten Nazis, die man als geläutert betrachetete (die sich allerdings in ihrer Mehrheit bloß clever maskierten, um den neuen Mächtigen zu gefallen), die es wiederum von ihren Vätern, den NS-Parteigängern und Bonzen haben. Der Judenwitz hat in diesen Kreisen Stammtisch-Tradition.
In diesem Zusammenhang ist die FP-PR-Broschüre Der blaue Planet eine nähere Betrachtung wert: ein Comic-Stilmix aus Action und Manga, in dem etwa alle Andersdenkenden als Tiere dargestellt werden.
Bei zweiteren, den jungen Hoffnungslosen (deren Provokationen im weitaus geringeren Fall öffentlich ausfallen, die meisten begnügen sich mit ihrer Rolle bei Wahlen und Gesprächen im Freundeskreis), ist der Antisemitismus ausschließlich die Fortsetzung dessen, was sich im echten Leben abspielt: Die Schwächeren werden getreten, das happy slapping wird moralisch weitergeführt. Die Wurschtigkeit jemandem wie "dem Juden", einem derart entfernten und fremden Sündenbock, gegenüber prädestiniert diese Gruppe dazu, herhalten zu müssen. Für Frust-Entladungen aller Art.
Die dritte Gruppe hat nicht einmal den theoretisch existenten gesellschaftlichen Konsens des "Darf-nie-mehr-wieder-geschehen"-Nachkriegsösterreichs mitbekommen, sondern stammt aus Gesellschaften, in denen der Antisemitismus eine offen gelebte Selbstverständlichkeit ist.
Das ist in Serbien, Kroatien, der Slowakei nicht anders als z.B. in Ungarn oder anderswo im ehemaligen Osten.
Wenn die FPÖ nun, noch dazu jugendgerecht (siehe den nebenstehenden Comic), Muster auspackt, die man womöglich aus der Herkunft-Gesellschaft, den Familien kennt, löst das einen simplen Reflex aus: nach unten treten, seine eigene Unbill an vermeintlich noch Schwächere delegieren.
So hat es auch anlässlich der großen Weltwirtschaftskrise Ende der 20er funktioniert.
Judenhass als antrainierter Instinkt
Damit niemand glaubt, ich würde da im luftleeren Raum vor mich hinspinnen: Ich hab unlängst mit einer Freundin mit Migrationshintergrund herumdiskutiert. Sie kommt aus einer politisch bewussten (und deshalb verfolgten) Familie aus einem widerständischen Milieu aus einem Land, in dem Verfolgung Andersgesinnter an der Tagesordnung ist. Sie war auch in Österreich sofort politisch aktiv, galt als Nachwuchs-Hoffnung für eine sinnhafte Vertretung der 2. Generation. Daraus wurde nichts, auch weil sie plötzlich begann intern über eine Person aus dem Parteiadel herumzukoffern, die es aufgrund ihrer "jüdischen Herkunft" schneller zu was bringen würde. Etwas, was sie dann auch mir gegenüber wiederholt hat. Abgesehen davon, dass die angesprochene Familie gar nicht jüdisch ist, stellt dieses blitzartige Hervorziehen von antisemitischen Mustern nur klar, dass diese Vorurteile tief abgespeichert sind, Instinkten gleich, die seit Generationen vererbt worden sind.
Jude = Macht = Verschwörung = hält sich für was Besseres = Ausbeuter = geheime Weltherrschaft = automatischer Feind = das Fremde UND Böse schlechthin.
Wer das anspricht, wer hier andockt, hat dieses Segment schon für sich gewonnen.
Über diese hoffnungslos tief verankerten Denk-Strukturen kommt man, als cleverer Populist, direkt an den Emotions-Haushalt von Abertausenden Neo-Österreichern ran, schneller und unverrückbarer als mit sinnhaften, rationalen Argumenten, die an die moralische Verantwortung einer Zivilgesellschaft appelliert.
Meine gute Freundin ist nun politisch viel zu bewusst, um auf ihre eigenen Instinkte reinzufallen - trotzdem ist das erschreckend.
Für eine von ihrer Sucht nach abstrusen Verschwörungs-Theorien mit Blindfleckigkeit überzogene Generation politischer Nacktbader (die erwähnte zweite Gruppe, meist junge Männer) gilt dasselbe.
Zunehmend ausgehöhlte Zivilgesellschaft
Die ebenfalls angesprochene Zivilgesellschaft ist in diesem Land aufgrund vertriebener und nicht zurückgeholter Flucht-Intelligenz im 3. Reich, aufgrund übervorsichtiger Nachsicht mit Tätern und Blockwarten und aufgrund einer nur in Spurenelementen auftretenden politischen Bildung samt daraus resultierender Misere eines bewusst so agierenden Verdrängungs-Systems sowieso schon mehr als nur schwach.
Diese Zivilgesellschaft der kleinen Teilerfolge, der Verteidigung von intellektueller und gesellschaftlicher Vielfalt erfährt von den politisch mächtigen Suppenköchen (Politik, Wirtschaft) seit Jahrzehnten genau gar keine Unterstützung, im Gegenteil, man montiert sie ab, wo man kann - schließlich ist sie ja auch dem System gegenüber kritisch.
Ein Teil dieser Schwäche ist es natürlich auch zu glauben, dass alle so denken, so fühlen, so sozialisiert sind wie die Träger dieser Zivilgesellschaft (meist über 40-jährige, gut ausgebildete, polyglotte Menschen) - anstatt einen ehrlichen Blick in die Verzweiflungs-Szenarios der Jungen oder in die völlig anderen Denkwelten der Immigranten zu riskieren.
Erfolgreiche Sündenbocksucher
Ein anderer Teil dieser Schwäche ist die Reaktion auf das Territorium der Vorurteils-Verbundenheit, des Tretens nach Unten, des Auslagerns von Problemen an die Vielversprecher, die im Sündenbock-Suchen vorpreschenden Populisten, wo nichts ernsthaft entgegengesetzt wird; zumindest kein glaubhafter realitätsnaher Ansatz, der die tatsächlich existierenden Probleme ernstnimmt.
Das würde nämlich Aktivität bedeuten, anstatt immer nur reaktiv hinterherzuhampeln.
Wer die Themen und Meinungs-Führerschaft den Kokettierern des Grauens überlässt und bloß dagegen ist (samt aller braven Unterschriftenlisten), der verliert.
Es gibt zu wenig Picards.
Es gibt zuwenige, die sich in dem Bereich, um den sie kämpfen, bewegen und auskennen.
Gut, die Kunstfigur des Kapitäns war - um es dramaturgisch aufzufetten - noch dazu auch früher einmal Teil des Borg-Systems (das auch immer nur in Win-Win-Situationen auftaucht; hart-auf-hart, das ist das ihre nicht...) - jemanden mit einer solchen Biografie hat Österreich nicht.
Das kann aber keine Ausrede sein, den Problemzonen nicht nur passiv, sondern auch aktiv entgegenzutreten. Selbst wenn es keine Win-Win-Ausgangslage geben sollte.