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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

12. 3. 2009 - 16:57

Blutgruppendynamik

Der Vampir ist weiß, schwarz, weiblich, männlich, groß, klein, dünn, dick, homo, hetero, ernst, lustig, lüstern, bieder, sexy und fad. Eine Reise durch die vielen Gesichter des Blutsaugers in der (Pop-)Kultur.

Ein schwarzer Umhang, spitze Eckzähne und blasse Haut: so kennt man den Vampir in der Popkultur, so hat er sich im kollektiven Bewusstsein festgebissen. Aber die beunruhigenden und aufregenden Geschichten von Blutsaugern begleiten und ängstigen den Menschen schon seit vielen Jahrhunderten. Denn der Vampir ist ein Meister der Verwandlung: Ob als Monstrum im Volksglauben, als aristokratischer Erotomane in der Gothic-Literatur des 19. Jahrhunderts oder als junge Frau im Latex-Ganzkörperanzug und mit Pistolen in den Händen aus Hollywood-Filmen der jüngeren Vergangenheit. Der Vampir ist aus der Alltags- und Popkultur des 21. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken. Knoblauch und Kruzifix sind eingepackt: auf zu einer Forschungsreise zum Thema Vampirismus.

Erstes Blut

Wir schreiben das Jahr 1732. Serbien ist von den Habsburgern okkupiert und im kleinen Dorf Medvedga geht die Angst um. Mehrere Menschen sterben unter rätselhaften Umständen, nachdem sie in der Nacht zuvor einen Mann namens Arnold Paole gesehen haben. Den Arnold Paole, der vor einiger Zeit tot von seinem Heuwagen gefallen ist; der während seines Militärdiensts im türkischen Serbien von einem Untoten heimgesucht worden ist. Arnold Paole ist einer von jenen folkloristischen Vampiren, zu denen Aufzeichnungen angefertigt worden sind. Der Stabsarzt Johann Flückinger schreibt in seinem Journal:

Um nun dieses Ubel einzustellen, haben sie diesen nach seinem Tode ausgegraben, und gefunden, daß er gantz vollkommen und unverweset sey, auch ihm das frische Bluht zu den Augen, Nasen und Ohren herausgeflossen, das Hembd, Ubertuch und Tücher gantz bluhtig gewesen, die alten Nägel an Händen und Füssen samt der Haut abgefallen, und dargegen andere neue gewachsen seyn. Weil sie nun daraus ersehen, daß er ein würcklicher Vampir sey, so haben sie demselben nach ihrer Gewohnheit einen Pfahl durchs Hertz geschlagen, worbey er nen wohlvernehmliches Geächzen gethan, und ein häuffiges Geblühte von sich gelassen.

Vom Bauernschreck zum Aristokraten

Der dem Mythos zugrunde liegende Vampir entstammt der Folklore: vor allem in südosteuropäischen Ländern, aber etwa auch in Afrika und China, erzählt man sich vom Blut saugenden Monstrum, das Unheil bringt über die Menschheit. Die Rede ist von ganzen Epidemien: in Istrien und Ostpreußen und Russland.

In Ungarn soll die Aristokratin Erzsebet Báthory mindestens 650 Jungfrauen getötet und in ihrem Blut gebadet haben. Das Bild, das Image des Vampyr war ein barbarisches, unmenschliches: Erst viel später, nämlich im 19. Jahrhundert, nimmt der Vampir eine andere, eine zivilisierte Gestalt an: 1819 veröffentlicht der englische Schriftsteller John Polidori seine Kurzgeschichte The Vampyre:

Es ereignete sich, daß, mitten unter den Zerstreuungen eines Winters zu London, in den verschiedenen Gesellschaften der tonangebenden Vornehmen ein Edelmann erschien, der sich mehr durch seine Sonderbarkeiten, als durch seinen Rang auszeichnete. Er blickte auf die laute Fröhlichkeit um ihn her mit einer Miene, als könne er nicht an derselben teilnehmen. Nur das leichte Lachen der Schönen schien seine Aufmerksamkeit zu erregen, allein, es schien auch, als wenn ein Blick aus seinem Auge es plötzlich hemme und Furcht in die vorher heitere und unbefangene Brust der Fröhlichen streue.

Well-mannered monsters

In der Gothic-Literatur des 19. Jahrhunderts ist der Vampir ein Aristokrat. Gut aussehend, well-mannered und gefährlich. Bei Polidori heißt er Lord Ruthven, bei Bram Stoker Count Dracula. 1897 erscheint der wegweisende Schauerroman des Briten: darin verlässt der Blutsauger sein Schloss in den Karpaten und reist nach London. Dracula befindet sich inmitten neuer Technologien, neuer Apparate, neuer Eindrücke. Es ist ein Einschnitt in der Populärkultur: der ewige Schrecken ist in der Moderne angekommen.

Bram Stoker erwähnt in Dracula nicht, dass es im London kurz vor der Jahrhundertwende bereits erste Filmvorführungen gegeben hat. Es dauert trotzdem nicht lange, bis der Vampir und das Kino zusammen finden. Der Franzose Georges Meliés inszeniert schon 1896 in The Haunted Castle den ersten Film-Blutsauger: eine Fledermaus fliegt in ein Schloss und verwandelt sich in einen Mann. Der Schrecken findet erst durch ein silbernes Kruzifix ein Ende.

Der erste Schatten ist geworfen, der erste abendfüllende Vampir lässt noch auf sich warten: und dann erhebt er sich in Deutschland. 1922 dreht Friedrich Wilhelm Murnau den Nosferatu: wilde Gerüchte ranken sich um die Dreharbeiten des expressiven Horrorfilms. Max Schreck, der Darsteller des vampirischen Grafen Orlok soll auch in Wirklichkeit ein Blutsauger gewesen sein. Murnau filmt den glatzköpfigen Mann mit den Fangzähnen oft nur als Schatten; seine Spinnenfinger greifen nach dem nächsten Opfer. Der Vampir: eine Silhouette; ein Abdruck; so flüchtig wie das Kino selbst.

Willkommen in Hollywood, Graf Dracula!

1931 inszeniert Tod Browning die erste US-Adaption von Bram Stokers Roman. Bela Lugosi glänzt in der Titelrolle, inmitten von Studiokulissen. Ein Riesenerfolg, der bis in die Vierziger Jahre hinein endlos variiert und kopiert wird. Auch die zweite Dracula-Renaissance im 20. Jahrhundert belässt den Blutgrafen im Fantasiereich: 1958 dreht Terence Fisher für die Hammer Studios seine bunte Bodennebelversion der Vampirgeschichte, macht Dracula (Christopher Lee) endgültig zum Popkulturgut.

Es ist ein Buch, das den Vampirmythos auf neue Beine stellt: 1954 veröffentlicht Richard Matheson seinen Horrorroman I Am Legend. Eine Krankheit, das Nebenprodukt eines Experiments während des Kalten Kriegs, verwandelt die gesamte Menschheit bis auf einen Mann in Vampire. Der kämpft um sein Überleben, eigentlich ist er aber der Eindringling, derjenige der nicht zur neuen Vampirgesellschaft passt. „I Am Legend“ wird zum Schlüsselroman für die Gegenkulturen 60er und 70er-Jahre: der Horror ist in der Mitte der amerikanischen Gesellschaft angekommen.

Und der Vampir in der Popkultur steht vor seiner bisher radikalsten Mutation. In einem kulturellen Klima, in dem die Blutbäder von Vietnam und der Massenmord des Manson-Clans im Fernsehen übertragen werden, muss sich der Vampir anpassen. William Cains Blacula erzählt etwa von einem afroamerikanischen Blutsauger in Los Angeles – unter starker Bezugnahme auf die Geschichte der Sklaverei. Und George A. Romero zeigt seinen Vampir Martin im gleichnamigen Film als unverstandenen Jugendlichen, als Außenseiter – aus der Fantasie wird eine Psychopathologie wird ein trauriger Held.

Eine Generationsfrage

In den Siebzigern ist der Vampir Wirklichkeit, in den Achtzigern drängen ihn die Reaganomics und der Oberflächenwahn in die fantastischen Kulissen zurück. Eskapismus ist angesagt. Die Schriftstellerin Anne Rice feiert mit ihren romantischen Vampirchroniken Welterfolge und im Kino bezieht man sich wieder auf die Schauergotik des klassischen Hollywood. Ein Trend, der bis heute anhält: zwar turnen die Blades und Underworldler durch düstere Städte, wirklich wirklich werden wollen sie aber nicht.

Draculas Kinder sind mutiert: vom Folklore-Ungeheuer über den Stummfilm-Schreck hin zum neokonservativen Liebespaar Edward und Bella. Jede Generation erhält den Vampir, den sie verdient.