Erstellt am: 12. 3. 2009 - 12:33 Uhr
Das Imperium der Vampire
Das Vampir-Special auf FM4
Der neunzehnjährige Roma lebt mit seiner Mutter in einer kleinen, heruntergekommenen Wohnung in Moskau. Er ist ein sensibler, allerdings nicht ganz aufgeweckter Junge. Dass er sich in der untersten Gesellschaftsschicht herumschlagen muss, quält ihn und er hat Angst, seiner Mutter davon zu erzählen. Die wiederum schließt aus seinem Verhalten, er habe Drogenprobleme. Statt sich mit ihr im immer wieder zu streiten, treibt sich Roma lieber in den dunklen Straßen Moskaus herum. Bei einem seiner Streifzüge erblickt er eine Botschaft:
"Nutzen Sie die Chance zum Eintritt in die Elite!
22.06. 18:40 - 18:55 Uhr
Garantiert einmalig!"
Die Nachricht ist mit grüner Kreide auf den Boden gemalt. Ein Pfeil zeigt in eine dunkle Toreinfahrt. Roma folgt ihm und gelangt über einen düsteren Innenhof zu einer Tür, die in eine große Wohnung führt. Er stößt sie auf und sieht eine schwarze Gestalt vor sich. Dann verliert er das Bewusstsein.
Als er wieder erwacht, ist Roma an eine Sprossenwand gefesselt. Ihm gegenüber, sitzt eine hagere Gestalt in einen schwarzen Mantel gehüllt mit einer Maske. Ein Perverser? Ein Irrer?
Weder noch. Es ist ein Vampir, der ihn als seinen Nachfolger bestimmt hat. Nach einem blutigen Initiationsritus richtet sich der Vampir selbst und unser auf den göttlichen Namen Rama umgetaufte Held findet sich in einer Parallelwelt wieder, die all seine bisherigen Vorstellungen auf den Kopf stellt.
Der russische Autor Viktor Pelewin , geb. 1962 in Moskau, gibt keine Interviews und unternimmt keine Lesereisen. Über seine Person ist nicht viel bekannt, immerhin, dass er Elektrotechnik studiert hat. Zu seinen großen Erfolgen gehören Bücher wie "Generation P" oder "Das Heilige Buch der Werwölfe".
Vampirologie
In Viktor Pelewins Universum muss jeder Vampir zwei Künste perfekt beherrschen: Glamour und Diskurs. Sie verleihen dem Vampir Macht, die Menschen so zu manipulieren, dass diese immer mehr Geld produzieren. Als untergeordnete Spezies sind sie demnach von den Vampiren gezüchtet worden, um aus ihren materiellen Träumen und Wünschen ein Lebenselixier zu destillieren. Eine vertauschte Weltenordnung, wenn man so will. Vom blutsaugenden Parasit zum Schicksalslenker der Menschheit.
Darüber hinaus räumt Pelewin mit alten Horrorklischees gründlich auf. So ist das zentrale Organ jedes Vampirs nicht das Herz, durch das ein Pfahl getrieben werden muss, sondern die Zunge. Sie ist ein eigenes Wesen, das von einem Wirt in den nächsten übergeht und das gesammelte Wissen in sich trägt.
Auch der Biss findet nicht als orgiastisches Blutbad statt, sondern lediglich ein kleiner Tropfen wird durch eine Art elektrische Entladung in den Eckzähnen unmerklich aus dem Opfer extrahiert. Dieser einzelne Tropfen reicht aus, um die Seele des gebissenen Menschen zu ergründen. Seine Ängste, seine Geheimnisse und seine Scham werden innerhalb eines Augenblicks zugänglich. Die daraus resultierende Macht hilft dem Vampir, Kontrolle über die Menschen auszuüben.
"Das fünfte Imperium" von Viktor Pelewin ist im Jänner 2009 im Luchterhand Literaturverlag München erschienen. Aus dem Russischen übersetzt von Andreas Tretner.
Sammlung Luchterhand
Das fünfte Imperium
Wie in einem Drogenrausch wandeln wir mit Roma/Rama durch eine Welt, die von Vampiren beherrscht wird. Wie Kühe werden Menschen darin gezüchtet und gemolken, während sich die dunklen Fürsten selbst mit Liebschaften, kämpferischen Machtspielen und Duellen ihre Zeit vertreiben, um davon abzulenken, dass auch sie einer höheren Macht unterstehen.
In seinen surrealistischen Entwürfen liefert sich der russische Gegenwartsschriftsteller Viktor Pelewin nicht nur einen ironischen Schlagabtausch mit der Literatur und Politik seines Landes, sondern spiegelt auf einer metaphorischen Ebene unsere turbokapitalistische, westliche Welt mit zynischem Witz wider. Sowohl auf struktureller Ebene, als auch durch die Worte seines Helden Roma/Rama wird mit popkulturellen Zitaten gespielt, wie der Spiegelwelt von Matrix oder den Navigatoren aus Dune, der Wüstenplanet. So finden sich auch im fünften Imperium berauschende, existenzphilosophiche Dialoge, die jedoch immer wieder zu einer subtilen Konklusion kommen. Geld regiert nicht nur die Welt der Menschen, sondern auch die der Vampire.
Insofern ist "Das fünfte Imperium" kein klassischer Vampirroman. Vielmehr ist es eine bissige Satire, ein wilder Ritt durch das Horror, Fantasy und Science Fiction Genre und eine Achterbahnfahrt durch die assoziative Gedankenwelt eines klugen, russischen Autors.