Erstellt am: 24. 1. 2009 - 19:18 Uhr
We're lucky, so lucky lucky!
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Alles rund ums FM4 Geburtstagsfest
Schon bei meiner Ankunft verdichten sich Gefühle, die sich den ganzen Tag aufgebaut hatten. Martin Blumenau hat es in seinem heutigen Journal gut getroffen. Es ist das Gefühl, sich mitverantwortlich zu fühlen, wie jeder gute Gastgeber sich sorgt, die geladene Gesellschaft möge auf der Dinnerparty einen denkwürdigen Abend verbringen.
Flo Wieser
Nach einem fast schon frühlingshaft anmutenden Nachmittag stehe ich ein paar Stunden später in der dunklen, mit Trockeneis vernebelten, halb gefüllten Arena und wundere mich über die Einflugschneise zum Schwechater Flughafen, auf der sich ein Flugzeug nach dem anderen unmittelbar hinter dem schön angeleuchteten Arena Schornstein auffädelt.
Dann wäre da noch der süße Punschduft, der mir von hinten in die Nase steigt und mich kurz in die Adventszeit versetzt. Aber nur für ein paar Sekunden, denn schon drängt sich an mir ein Typ vorbei, der trotz der Kälte mit einer Drei-Viertel-Hose bekleidet seine weißen Tennissocken mit rot-blauen Kringeln am oberen Ende zur Schau stellt. Alle scheinen gespannt und voll freudiger Erwartung an den heutigen Abend, als endlich um Punkt achtzehn Uhr Clara Luzia die Bühne betreten.
Die emotionale Startrampe
Alle Augen sind auf die schwarze Haube, die eng anliegende dunkle Jacke, die Gitarre und die fingerfreien Handschuhe gerichtet. Clara Luzia beginnen ihr Set zart und zurückhaltend mit zerbrechlichem Timbre.
Flo Wieser
Jedes Wort zeichnet sich im Weiß ihres gefrierenden Atems gegen die Dunkelheit ab. Würde man die Formulierung "großes Gefühlskino" ins Spiel bringen wollen, so wäre dieses Konzert eindeutig ein französischer Streifen mit emotionalem Tiefgang bei gelichzeitiger lebendiger Leichtigkeit. Denn auch wenn Clara bei Liebesbekundungen aus dem Publikum durch Schreie oder mitgesungene Textpassagen lächelnd ihre Bandkollegen anblickt und danach etwas schüchtern zu Boden blickt, kann der Gastposaunist sogar sie zum Tanzen bringen.
Flo Wieser
Ein perfekter und stimmungsvoller Anfang, leise und intensiv zugleich. Genau die richtige Rampe für die Wildheiten, die schon vorprogrammiert sind.
We freeze together
Als ich etwas verspätet aus dem Backstage Bereich vor die Bühne eile, knallen schon die schnellen Bassdrum-Schläge in die Masse; mittlerweile hat sich der Open Air Bereich sichtlich gut gefüllt. Die Londoner, oder besser Exil-Berliner The Rakes befeuern mit ihrem Sound mein ohnehin schon durch die oben beschriebene freudige Spannung hochaktives neurales Netz. Hab' ich nicht gerade da die Jungs von Deichkind in hochzeitsartiger Tanzschlange in ihren Neo-Müllsäcken durchs Publikum hüpfen sehen? Vielleicht waren es auch nur Elektro-Spaßvögel, die auf ihre Technohelden warten.
Wie die Blitzlichter von der Bühne schießen Assoziationen durch meinen Kopf. Rakes-Sänger Alan Donohoe spielt nämlich bei neuen Stücken erheblich mit seinem Stimmumfang, sodass nicht nur sein hohes, theatralisch gepresstes Singen zur Geltung kommt, auch Interpol-artige Passagen schlängeln sich durch das an sich extrem schnelle und tanzbare Live-Set.
Flo Wieser
Auch die Strokes-Synapsen werden bei dem neuen Material durch einen Sechzehntel-Bass, grob-groovige Dance-Beats und Single-Note Gitarrenmelodien über die Hemmschwelle aktiviert. Immer wieder wirkt das drahtige Herumwirbeln von Alan, der mit seinen roten Handschuhen wie ein Pantomime den Sound seiner Band auf der Bühne nachzeichnet, wie Jarvis Cocker auf Speed, was mich wiederum an den Pulp Vergleich von Eva Umbauer erinnert.
Flo Wieser
Nach diesem rohen, rockigen und nicht minder spannenden Gig darf man auf das neue Rakes Album also wirklich gespannt sein. Das war die zweite Base. Bei der nächsten Stufe wird noch eins draufgesetzt.
Der Deichkind Massenworkout
Sie haben uns nicht zu viel versprochen und wir haben uns nicht zu wenig erwartet. Wer schon bei einem Deichkind-Konzert war, weiß, daß die Electric Super Dance Band mit Ursprung Hamburg es versteht, eine richtige Show zu machen. Während in der großen Halle von FM3000 der Papst angekündigt wurde, gab es Open Air einige Wellen musikalischer Erweckungen.
Zu Beginn steht fast schon programmatisch der Pyramiden-Workout, während nicht der wirtschaftliche Pleitegeier, sondern eher der Partyvogel über die Bühne flattert. Neonfarben treffen auf Müllsack Overalls, in denen akrobatische Sprünge und Raver-Posen am Trampolin vorgeführt werden. Während in digitaler Form die Technozukunft und New-Rave-Beats beschworen werden, tummelt sich auf der Bühne eine Ruder-Schwimmer-Szenerie, die eher an gute alte Schultheateraufführungen erinnert. Das obligate Schlauchboot-Crowdsurfing darf ebenso wenig fehlen wie die Glitzer-Glimmer-Leuchtlämpchenhüte, mit denen Kraftwerk auf stoische Art zitiert werden.
Flo Wieser
Die Masse so zum Springen, Abgehen und Tanzen zu bringen, das kann nicht jede Band. Es liegt nicht zuletzt daran, dass Deichkind mit "Arbeit nervt" wohl genau den Nerv der Zeit getroffen haben, in der sich immer mehr Menschen einer korsettartigen Geldbeschaffungsmaschinerie unterordnen müssen. Aber bei solch einer exzessiven, elektronischen Party kümmert das ohnehin niemanden.
Flo Wieser
Die Torteneinlage von Deichkind hat da auch alles übertroffen, was ich bisher auf einem FM4 Geburtstagsfest erlebt habe. Nicht nur das Springen bei "Remmi Demmi" auf der rutschigen, getorteten Bühne sondern auch noch "gesektet und gefedert".
Flo Wieser
Bei Franz Ferdinand werden die Federn da wohl eher in Gentleman-Manier fliegen.
Wir haben uns zwischendurch natürlich auch immer mal wieder umgehört, ob's eh allen gut geht. Ein paar Reaktionen und Glückwünsche, Impressionen von Deichkind, der Tortenzeremonie und Franz Ferdinand gibt's im folgenden Video.
They took us out
Nach dem Deichkind-Wahnsinn die gefüllte Arena zu befrieden, ist keine leichte Aufgabe. Da hilft es schon etwas, wenn man über guten Popgeschmack erhaben ist, wie unsere Lieblinge von der Art School. Meine Assoziationsmaschine, die sich bei der Hamburger Neon-Federnshow ausgeschaltet hat, kam auch bei Franz Ferdinand nicht mehr auf Touren. Robert Rotifer, das wandelnde Brit-Rocklexikon, könnte uns an dieser Stelle jedes einzelne Bass- und Gitarrenzitat der Schotten etymologisch nachweisen, mir hingegen blieben keine Referenznamen hängen. Ein Beweis dafür, dass Franz Ferdinand in einer eigenen Liga spielen, egal ob es um Sound oder Ästhetik geht.
Flo Wieser
Ihr erdiger und straighter New Wave Rock klingt für mich wie ein Blick in einen hippen Londoner Club durch eine schicke Designerbrille. Selbst wenn diese Analogie etwas hinkt, so trifft sie doch die musikalische Attitüde der Band.
Zwischen ihren Hits "Take Me Out", "The Dark Of The Matinée", "Michael" und "Do You Want To" streuten Franz Ferdinand neue Songs ein, die nicht ganz so geradlinig erschienen und mit mehr analogen Synthie-Sounds angereichert wurden. Im Prinzip klingen sie genau nach dem alten, aufgelassenen Theater, in dem sie aufgenommen wurden, und ihre Struktur lässt sich gut mit jener des schmucken Teppichs vergleichen, auf dem das Schlagzeug und die Verstärker aufgebaut waren, während die Mikrophone den neuen Sound aufnahmen.
Flo Wieser
Alle Fotos von Flo Wieser
Vielleicht täuschen auch die Neuheit und das ungewohnte Hörerlebnis eines Open Air Live Sounds mich in meiner akustischen Wahrnehmung. Worin ich mich aber sicher nicht täusche ist, dass diese Band – egal ob auf einem Geburtstag eines Radiosenders oder auf den großen Rockbühnen dieser Welt – zurecht zu den Rettern des (wieder einmal) tot geglaubten Rock’n’Roll der britischen Inseln gezählt werden.
Ein würdiger und erhabener Abschluss des FM4 Winteropenairs.