Erstellt am: 27. 3. 2017 - 06:20 Uhr
Seidene, dunkle Indietronica
Wie aus der tiefen Weite einer entfernten Galaxie erklingt der leicht wabernde Soundteppich am Anfang von "The Blame Game", der neuen Single des österreichischen Duos HVOB. Dann schweben plötzlich einzelne Gitarrenakkorde durch den schier endlos scheinenden Soundraum. Dazu gesellt sich die Stimme des Londoner Musikers Winston Marshall, eindringlich, mit viel Gefühl und Bestimmtheit. Erst langsam entwickeln satte Beats ein Dancefloor-Feeling, das mit der fragilen Stimme von Anna Müller gleich wieder gebrochen wird.
Wie funkelnde Sterne flirren Gitarrenfeedback-Schleifen durch die sich treibend entwickelnde Nummer, die dann mit einem surrend-brummenden Gitarrensample endgültig das Tanzbein zucken lässt. Was für eine Eröffnung für das neue Album "Silk", mit dem HVOB ihr musikalisches Universum gehörig erweitern.
Von der Spam-Mail zum Album
Angefangen hat alles vor ungefähr eineinhalb Jahren, als Anna Müller und Paul Wallner von HVOB gerade zum wiederholten Male den Globus mit einer ausgiebigen Tour umrundeten. Ein Email von einem gewissen Winston Marshall landete im Eingangspostfach. Als Anna und Paul nachforschten, dass es sich hier um den Gitarristen und Banjospieler der Mumford & Sons handeln sollte, wanderte dieser "unwirkliche" virtuelle Brief in den Spam-Ordner. Erst als das Management von Mumford & Sons offiziell die beiden ÖsterreicherInnen wegen einer Kooperation anfragte, war klar, dass da wirklich etwas Großes auf die elektronischen MusikerInnen wartete.
©Lukas Gansterer
"Es hat schon einmal ein halbes Jahr gedauert, bis wir einen gemeinsamen Termin organisieren konnten," erinnert sich Paul. Schließlich hatten sowohl HVOB als auch Mumford & Sons einen vollen Tourplan. Schließlich ist Winston zwischen zwei Shows nach Wien geflogen und im Studio entstanden die Grundzüge von "The Blame Game". Von da an tauschten sich die drei via Internet über musikalische Ideen aus, sodass Ende letzten Jahres bei einer erneuten Session statt einem plötzlich vier Songs entstanden. So war die Idee für ein ganzes Album geboren, quasi aus dem Nichts heraus. Im Gegensatz zu dem ausgeklügelten Kunst-Multimedia-Projekt zum letzten Album "Trialog" war das neue Werk "Silk" ein Schnellschuss, der vor gerade einmal drei Monaten fertigproduziert worden ist.
©Lukas Gansterer
Zwischen Skizzen und epischen Dancetracks
Die Östereichkonzerte von HVOB:
- 11 April: Salzburg, Rockhouse mit Winston Marshall
- 21 April: Arena, Wien mit Winston Marshall
- 12 August: Checkfest - Das HVOB Arena Open Air
Anhören tut man diese kurze Produktionszeit den sieben Stücken von "Silk" überhaupt nicht. Auch wenn das zweite Stück "Glimmer" gerade mal eineinhalb Minuten dauert, repräsentiert es doch in stimmungsvoller Weise die Gitarren-Soundwelt von Winston Marshall. Verhallte Akkordzerlegungen, sehnsüchtige Melodien und angezerrtes Feedback setzen sich hier skizzenartig zu einem schönen Klangmosaik zusammen und verbinden so das erste Stück "The Blame Game" mit dem zweiten epochalen Track "Torrid Soul". Dieses startet sehr reduziert als Ballade mit einem schnell dahintröpfelnden Klavierthema, über das Winston seine Geschichte erzählt. Wie im Dialog bricht Anna mit ihren assoziativen Texten den Erzählfluss. So bricht auch die Nummer in der Mitte mit der atmosphärischen Stimmung und wandelt sich zu einem ausgedehnten, anmutig pulsierendem Tanzboden-Track mit bedrohlich wummernden Bässen.
Auch das darauffolgende Stück "Disguise" lebt von dem wechselnden Gesang und dem Zusammenführen von HVOBs Clubwelt mit der Gitarrenwelt von Winston Marshall. Es ist ein Song über den Wunsch nach Veränderung, danach, einen Schritt weiter ins Unbekannte zu wagen und gleichzeitig doch davor Angst zu haben.
HVOB
Die reduzierten Klavierakkorde und kleinen Melodien komplettieren den dichten Hintergrundsound der Nummer, in der einzelne Synthie- und Gitarrentöne wie ein Echolot die Tiefe des Klangkosmos erforschen. Das zweite, eineinhalbminütige Verbindungsstück "Astra" spiegelt die Soundwelt von Anna Müller wieder, die uns durch eine vielschichtig pulsierende Synthie-Klangwolke hindurchführt. Die perfekte Überleitung zu "Deus", der technoiden Nummer von "Silk". Ein siebenminütiges Beat-Monster, das trotz der starken Dynamik nie an Schwung und Dringlichkeit verliert. Ein hypnotischer Sog zieht uns in den dunklen Club, in dessen schwarzem Raum immer wieder Gitarrenlicks hell aufblitzen.
Beendet wird das dritte Album von HVOB und Winston Marshall mit der vielleicht schönsten Nummer. "Hands Away" ist ein roher Pop-Elektro-Diamant, der einmal mehr von dem dialogischen Zusammenspiel von Anna und Winston lebt. Die sehnsüchtigen Melodien erzeugen eine melancholische Tiefe, die glitzernden Gitarrenakkordzerlegungen dazu berühren und entführen uns in eine Traumwelt, aus der wir nach fünf Minuten mit fiependem Gitarrensound wieder in unsere Realität ausgespuckt werden.
Das Album "Silk" von HVOB und Winston Marshall umhüllt einen mit wärmenden Klangwelten. Es ist der perfekte Soundtrack für nächtliche Wanderungen unter einem Sternenhimmel, für langsame Fahrten durch einen nebelverhangenen Blätterwald und gleichzeitig funktioniert es auf den verträumten Tanzflächen diverser Clubs wie auch auf großen Open-Air-Bühnen. Und dieser Spagat ist an sich schon eine große Kunst.