Erstellt am: 24. 3. 2017 - 14:55 Uhr
Männlich, ledig, leer, sucht
"Todesfalle Haushalt" nennt sich schön fatalistisch der kleine, alberne Evergreen von Jürgen Dose, einem alten Alter Ego des Hamburger Alleskönners Heinz Strunk. Strunk hat die Figur Jürgen Dose weitergetragen, ausformuliert und ihm in seinem neuen Roman ein trauriges Denkmal gesetzt.
"Jürgen" nennt sich das Buch schlicht und richtig, es geht um Jürgen und nicht viel mehr, auch hier ist unserem Jürgen der Alltag wenn schon nicht unbedingt Todesfalle, so doch immerhin Fallstrick und konstante Tortur.
Erst letztes Jahr hat Heinz Strunk mit seinem Roman "Der Goldene Handschuh" den Schritt ins ernste Segment und die Hochliteratur gemacht und so auch gleich einen Bestseller hingelegt, für den Leipziger Buchpreis war das Buch auch nominiert. Mit "Jürgen" geht es wieder ins dezent leichtere Milieu. Traurig ist aber auch dieses Buch. Es ist ein schweres Leben.
"Ich könnte mir gut vorstellen, dass es Menschen gibt, die irgendwann einfach nicht mehr hochkommen und von denen man dann auch nie wieder etwas hört. In der Sprache der Immobilienwirtschaft nennt sich so etwas zufällige Verschlechterung und zufälliger Untergang."
Dennis Dirksen
Im Roman "Jürgen" ist Hauptfigur Jürgen wieder einmal ein typischer Heinz-Strunk-Held. Na gut, Anti-Held. Ein Mann mittleren Alters, der Job ist öde: Jürgen arbeitet als Parkwächter in einem Parkhaus. Er starrt dort Tag ein, Tag aus auf Überwachungsmonitore. Viel geschieht nicht.
Jürgen lebt noch mit seiner Mutter zusammen. Die ist natürlich nach einem Unfall bettlägerig und pflegebedürftig. Von der Gefahr des "Wundliegens" ist die Rede. Damit Mutter nicht so einsam ist, wenn Jürgen in der Arbeit ist, hängt er bei Verlassen der Wohnung den Besteckkasten an den Ventilator – das hört und fühlt sich für Mutter wie Besuch an.
Frauen gibt es sonst keine in Jürgens Leben. Er ist einsam, Sozialkontakte sind nicht seine Stärke, beispielsweise gestalten sie sich bei ihm so: "Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, nutze ich diese um unauffällig mit ihr zu flirten, also so, dass sie es am besten gar nicht merkt."
Die Tristesse wird dadurch geladen, dass Jürgen sich nur selten in ihr suhlt, sondern sich die Ereignislosigkeit schönredet. Er liest Flirtratgeber am laufenden Band, eigentlich, in der Theorie, sei er doch ein ziemlicher Auskenner in Sachen Frauen und Dating, so meint er.
Jürgens bester Freund ist Bernd, es ist sein einziger. Der sitzt im Rollstuhl. Ihre Beziehung bezeichnet Jürgen als "hart, aber herzlich". Bernd ist eher der stumpfe, grobe Typ, Jürgen schon eher ein lieber. Sie brauchen einander, sonst gibt es ja nichts.
Rowohlt
Sie zanken sich, sie sind Brüder im Geiste. Gemeinsam versuchen sie die Frau fürs Leben zu finden. Oder zumindest für kurze Zeit. Speed-Dating, Internet, gemeinsam unternehmen sie eine Busreise nach Polen, um dort nach heiratswilligen Damen Ausschau zu halten. Es muss scheitern, wie alle ihre Unternehmungen.
"In der Regel wird in Kontaktanzeigen gelogen, dass sich die Balken biegen. Gibt jemand an, Anfang dreißig zu sein, heißt das mindestens Mitte dreißig oder vierzig und noch älter. Ein "guter Charakter" bedeutet, dass der oder diejenige hässlich ist. "Jugendlich" heißt verantwortungslos. Wer von sich behauptet, "mit beiden Beinen im Leben zu stehen", muss zuhause alles selber machen."
Viel mehr geschieht nicht an Plot, das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss, manchmal brennt es. "Jürgen" von Heinz Strunk handelt von den Niederlagen, den alltäglichen Katastrophen, einem Leben ohne Auftrag. Wir kennen es.
Das ist wie immer bei Strunk spitz formuliert, da empfindet Jürgen schon mal, eine Frisur sähe aus "wie zwischen Tür und Angel geschnitten". Diesmal erfreut sich der Text bisweilen doch einen Tick zu sehr am Elend seiner Figuren. Punktuell hochkomisch, im Kontext Heinz Strunk aber doch ein bisschen Malen-nach-Zahlen und eine Art okaye B-Seiten-Compilation. "Qualität kommt von Qual", so umreißt Jürgen sein Motto, schön, dass aber doch leise der Optimismus glimmt.
"Einmal, so stelle ich es mir vor, kommt der Punkt, an dem alles, aber wirklich alles verbessert und geregelt ist und das Leben nahezu geräuschlos vor sich hin schnurrt. Dann ist alle Wäsche gewaschen, sind alle Einkäufe erledigt, alle Telefonate geführt und sämtliche Arzt- und Behördengänge absolviert. Und endlich eine Frau an meiner Seite. Zukunftsmusik."