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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

17. 3. 2016 - 16:49

A History of Violence

Wundersam faulende Sprachkunst, kaputte Biografien in braungelblichen Farbtönen: "Der goldene Handschuh" von Heinz Strunk.

Das Leben ist eine Verkettung von Unglück und Versagen, ein mattes Straucheln ohne Zweck. Irgendwann ist es vorbei. Immer wieder sind auch in seinen bisherigen Werken schon die Motive von Verzweiflung, Isolation und ständig scharf lauerndem Absturz präsent gewesen, in seinem aktuellen Roman jedoch steigt der Hamburger Autor, Musiker und vornehmlich als Humorist bekannte Heinz Strunk ungeahnt tief in ernstes, bitteres Terrain hinab.

"Der goldene Handschuh" taucht im Eiter und in der Jauche des menschlichen Daseins. Das Buch basiert auf wahren Begebenheiten, ist gleichermaßen genau recherchiert wie großzügig fiktional ausgekleidet und literarisch opulent aufgeladen.

"Der goldene Handschuh" erzählt die Geschichte des Hamburger Frauenmörders Fritz Honka, der in den Siebzigerjahren mindestens vier Frauen ermordet hat. Honka, Spitzname Fiete, scheint schon von Geburt an auf eine Existenz auf der äußersten Außenseiterspur vorimprägniert gewesen zu sein: Kaum ein Elternhaus, ebenso wenig Ausbildung oder Bildung, eine Jugend voll Pein und Qual und Missbrauch, später dann ein schwerer Verkehrsunfall, der den kleingewachsenen Mann unschön derformiert hat: Kaputte Nase, ein Schielen, das drei Räume gleichzeitig überwachen kann.

Heinz Strunk

Dennis Dirksen

Heinz Strunk

So schlägt sich Fritz Honka mit Hilfs- und Gelegenheitsjobs durch, wenn überhaupt, vornehmlich widmet er sich ausgiebig dem Alkohol - Fanta-Korn, gemischt 50:50, das ist sein Getränk, alle anderen eigentlich auch.

"Der goldene Handschuh" hat seinen Titel von der - real existierenden, auch heute noch - Hamburger Absturzkneipe "Zum Goldenen Handschuh", ein endgültiger Trinkladen, immer - immer! - geöffnet, an der Reeperbahn, in dem sich die von der Welt da draußen unwiderruflich Ausgesiebten sammeln. Die Selbstzerstörer, die Trinker im Endstadium, die Kaputten, die Zahnlosen und die Verglühten.

"Den Nebenmann nennen sie hier Leiche [...]. Seine Augen sind geschlossen, man weiß nie genau, ob er was mitkriegt oder nicht. Er schläft mehr als er wach ist, seine Schenkel sind wundgerieben vom In-Die-Hose-Pissen. Manchmal rüttelt ihn der Kellner, ob noch Leben in ihm ist."

Gewalt, Verbrechen, Ranz, ein steifer Dauer-Pegel jenseits der zwei Promille. Heinz Strunk inszeniert den "Handschuh" als gärende Vorhölle und Warteraum zum Nichts. Hier hat Honka seine Opfer gefunden: Ebenfalls Verblasste und Ausgemergelte, Halb-Obdachlose oder Gelegenheitsprostituierte.

"Der Goldene Handschuh" nimmt den Kriminalfall Fritz Honka und die Mordtaten jedoch nur als Klammer, um feinstofflich tastend ein Milieu zu zeichnen, ein Leben, das Leben, zu erzählen. Lustig ist das diesmal also nur selten, dennoch birst der Roman, wie von Strunk gewohnt, vor bildhafter, praller Fabulierkunst, die in den Wunden nicht bohrt, sondern stochert. Langsam, ganz langsam.

"Verfaulte Vorhänge, die von den Wänden tropfen, verschmierter Spiegel, über den sich eine Kette winziger Blutflecken zieht. Linoleumboden, im Wohnzimmer ein Teppich, der mal weiß gewesen sein könnte, mit den Jahren haben sich Sperma, umgekippte Getränke, Zigarettenaschen, tröpfelnder Urin und wer weiß was noch zu einem kranken Farbton verdichtet."

Strunk fühlt sich in Gedankenwelt von Fritz Honka ein, schildert dessen Versuche, dann doch so etwas wie ein normales Leben zu führen. Honka ergattert einen Job als Nachtwächter, probiert sich an alkoholfreien Freizeitaktivitäten, die ihm bislang fremd gewesen sind: Eine Hafenrundfahrt, während der er sich abmüht, die Witzchen und Sprüche und Anekdoten des hanseatisch gut gelaunten Tourguides zu memorieren, um sie später in eigene Gespräche einflechten zu können. Fehlanzeige. Ein Zoobesuch, der Honka zeigt, dass leben Niederlage heißt. Immer wieder wird Honka vom Suff eingeholt, immer ungehemmter lässt er seinen Allmachts- und Herrschaftsfantasien Raum, seiner Sehnsucht, Frauen Gewalt anzutun, sie - so heißt es wörtlich - zu versklaven.

Der goldene Handschuh

Rowohlt

"Der goldene Handschuh" von Heinz Strunk ist bei Rowohlt erschienen.

"Die Frau, die reinkommt, zittert vor Kälte und ist ziemlich klein. Wie dreckiger Rasierschaum ergießt sich graues, dünnes Haar über die Rückseite ihres eulenartigen Schädels. Die Kopfhaut ist an mehreren Stellen kahl. Sie steht da wie abgeschaltet, den Blick ins Leere gerichtet, vereist und ausdruckslos. Sie könnte fünfzig sein oder siebzig."

In der Beschreibung von Körper und Körperlichkeit und körperlichem Verfall liegt eine von Strunks großen Stärken, dabei ist "Der goldene Handschuh" mehr als eine bloße Ansammlung prächtiger Sätze. Wir haben es hier auch nicht mit einer exploitativen Abschöpfung einer "Schicht" oder dem unhübschen Wort "Sozialporno" zu tun. Strunk schaut nicht aus Belustigungs- und Selbstvergewisserungszwecken hinunter auf die Zerstörten und immer schon Verurteiltgewesenen.

Neben der Haupthandlung schneidet Strunk immer wieder hinüber in andere Zonen: Hinein ins Leben einer großbürgerlichen Hamburger Reederfamilie, in der es ebenfalls bröckelt und Menschen, es sind Männer, unschöne Dinge tun. In ihnen spiegeln sich Charakterzüge, Verhaltensmuster, Gedanken, Vorstellungen Fritz Honkas. Auch in der gut polierten und wohl erzogenen Gesellschaft: Der Wunsch nach Unterdrückung der Frau, Brutalität, Überlegungen in Sachen Außenseitertum, Exzess, Zwecklosigkeit.

Auch geilt "Der goldene Handschuh" sich nicht am Topos des hollywoodschen Serienkillers auf. Während die Parameter Schorf, Juckreiz und Urin im Buch breit und plastisch ausgewälzt werden, tauchen die Mordtaten selbst nur knapp und kurz am Rande auf. Fast schon könnte man meinen, sie seien Fritz Honka eben bloß so passiert, aus einem Streit heraus, im komanahen Rauschzustand. "Der goldene Handschuh" hat keine Erlösung parat und keine Antwort, weil es keine gibt. Irgendwann ist das Buch dann aus. Das Leben geht weiter, schmerzvoll und zäh.

"Fiete geht zur Toilette und wäscht sich minutenlang die Hände. Auch das letzte Fitzelchen Seife bewegt er so lange zwischen den Fingern, bis nichts mehr übrig ist. Er stellt sich vor, sich selbst so lange zwischen seinen Fingern zu reiben, bis auch er verschwunden ist."