Erstellt am: 19. 3. 2017 - 13:23 Uhr
Digitale Hetzjagden
"Es war überwältigend – im negativen Sinne", meint die Cafébetreiberin Eva, wenn sie auf den Shitstorm von letztem Jahr zurückblickt. Es war nach dem ersten Wahldurchgang der Bundespräsidentenwahl, Norbert Hofer erreichte 35 Prozent der Stimmen. Tags darauf hatte Eva eine Tafel vor ihr Café gestellt, auf dem zu lesen war: "Wenn du bei diesen 35 Prozent dabei bist, geh doch BITTE einfach weiter." Als eine Gratiszeitung einen Bericht darüber schreibt, bricht ein Shitstorm gegen die Lokalbetreiberin los.
Screenshot Facebook
Ebenfalls im Zusammenhang mit der Bundespräsidentenwahl postete vergangenen November der Wiener Designer Karl Michael ein Video (siehe unten) auf Facebook. Darin plädiert er für eine menschliche Politik und fordert zum Wählen auf, ohne jedoch einen Kandidaten zu nennen. Lediglich ein Sticker im unteren Bildrand weist auf seine Sympathie für Alexander Van der Bellen hin. Das Video wurde von Tausenden UserInnen gesehen und geteilt. In den Kommentarzeilen waren schließlich zahlreiche zutiefst gehässige Kommentare, Todes- und Vergewaltigungswünsche zu lesen.
Heinrich Böll Stiftung/Stephan Röhl
Der Politologe Thomas Schmidinger wird des öfteren zu Diskussionen eingeladen und äußert sich auch sonst gerne im Netz zu politischen Themen. Dadurch wird er immer wieder zur Zielscheibe von Trollen und Hatepostern.
Erst kürzlich postete der FPÖ-nahe Blog unzensuriert.at ein sieben Jahre altes Bild Schmidingers, das ihn mit Stinkefinger beim Gedenkstein an der Unfallstelle Jörg Haiders zeigt. Ein gefundenes Fressen für Trolle. "Das kann man auch anders zum Ausdruck bringen als mit so einer Geste, aber ich halte es für legitim, das zu tun, und insofern gibt es auch nichts, was ich zu bereuen habe", sagt Schmidinger.
Während des Hass-Sturms
Als Person, die gelegentlich öffentlich auftritt, ist Thomas Schmidinger gewissermaßen geübt im Umgang mit Trollen und Hasspostern "Es ist etwas, womit man rechnen muss, wenn man in der Öffentlichkeit auftritt", meint der Politologe, "aber ich würde lügen, wenn ich sage: 'Das macht gar nichts mit mir.'" Dennoch geht er gelassen mit Drohmails und dergleichen um.
Privatpersonen wie Eva oder Karl, die plötzlich zur Zielscheibe werden, sind in so einer Situation allerdings meist überfordert und durch den extrem aggressiven Ton der Hater oft massiv eingeschüchtert. So fühlte sich Cafébetreiberin Eva durch viele Postings direkt bedroht. "Ich bin in der Woche nicht mehr U-Bahn gefahren und auf der Straße immer halb vermummt gegangen", schildert sie die Shitstorm-Woche. Abgesehen von einem Zechpreller, der die Toilette in ihrem Lokal verstopft hatte, ist Eva glücklicherweise nichts passiert.
Auch bei Modedesigner Karl wurden die Drohungen zum Glück nicht in die Tat umgesetzt. Der junge Designer war aber schockiert, dass Facebook-Seiten von rechtspopulistischen Parteien sein Video geteilt hatten und so den digitalen Flächenbrand gegen seine Person befeuerten. Die aggressiven Kommentierenden nennt Karl Copy-Paste-Hater, denn viele der beleidigenden Sätze, die unter sein Video gepostet wurden, würde man unter anderen Inhalten eins zu eins wiederfinden.
Diese Copy-Paste-Hater waren es laut Karl auch, die es letzten Endes schafften, dass Karls Facebook-Profil vorübergehend gesperrt wurde. Eigentlich paradox, aber ein besonders herber Schlag für den jungen Unternehmer, da Facebook für ihn und sein Label eine wichtige Kommunikationsplattform ist. Den Grund für die Sperre hat Karl erst viel später erfahren. "Die Hater haben massiv ein Bild von einer David-Statue gemeldet, auf dem ein nackter Hintern zu sehen war", erklärt er. Wohlgemerkt: der Hintern der Statue.
Ignorieren oder darauf eingehen?
Karl und Eva meldeten die Shitstorms relativ bald bei der Polizei. Dem Designer riet man, sein Geschäftslokal für einige Tage zu schließen, "was ich aber nicht gemacht habe", sagt er. Zwei Tage lang bekam er Polizeischutz – anders als Eva: Sie wurde wieder nach Hause geschickt, ohne Schutzangebot. Ihr Lokal ließ sie wie Karl geöffnet.
Der Designer wählte jedoch auch Ignoranz als Strategie: "In dem Moment, wo ich jemanden angezeigt hätte, hätte ich mich ja nur gerechtfertigt", erklärt er. Er wollte sich weder vor jemandem rechtfertigen, noch "diese Hater zu Märtyrern machen", denn: "In dem Moment, in dem sie haten und keine Antwort bekommen, stehen sie immer als die Dummen da."
Eva hingegen ignorierte die Welle an Hasskommentaren nicht, und konnte die Kommentarflut letztlich auch nicht mehr alleine stemmen. Sie bekam schließlich Unterstützung von Freunden. Zumindest online ging sie auf Tauchstation: Sie entschloss sich, ihre Facebook-Seite für drei Monate vom Netz zu nehmen und beauftragte jemanden, der die wüsten Kommentare für sie dokumentierte.
Aus verschiedenen Gründen kam sie erst ein halbes Jahr nach dem Shitstorm dazu, sich näher mit Details auseinanderzusetzen. Als sie die heftigsten Äußerungen anzeigen will, heißt es: "Der Straftatbestand Gefährliche Drohung kann nicht mehr wirklich geltend gemacht werden", erzählt die Cafébetreiberin. Wenn man ein halbes Jahr wartet, könne es ja nicht so gefährlich sein, soll man ihr geantwortet haben.
Kein Patentrezept gegen Shitstorms
Falter-Journalist Florian Klenk machte es vor: Er suchte den Dialog mit einem seiner Hater und wollte wissen, was ihn dazu angetrieben hatte, Klenk den Tod zu wünschen. Diesen Weg würden Karl und Eva nicht wählen wollen. "Da sehe ich keinen Sinn dahinter", stellt Eva klar. "Warum sollte ich mit Menschen reden, die mich für etwas Minderwertiges halten? Sollte ich fragen: 'Warum bist du so garstig zu mir?' Nein." Auch Karl hält wenig von dieser Idee: "Das wäre ein Geschenk, das die nicht verdienen", betont der Designer.
Politologe Thomas Schmidinger konfrontiert zumindest im nicht-virtuellen Raum - abseits von Facebook und Co. - seine Kritiker. Den Dialog zu suchen, würde aber "nur mit Personen, die nicht hochgradig ideologisiert sind und eine dumpfe Unzufriedenheit an den Tag legen", funktionieren, meint er. Vermutlich trifft genau diese Beschreibung auf eine Vielzahl der Hassposter zu. Doch es ist schlichtweg unmöglich, mit all diesen Hatern den Dialog zu suchen. Gleichzeitig bringt es vermutlich insgesamt wenig, nur Einzelne von ihnen zu konfrontieren.