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Alex Wagner

Zwischen Pflicht und Kür

10. 3. 2017 - 10:33

Immer dieselbe Millennial-Leier

Noemi Schneiders Debütroman "Das wissen wir schon" wird im Klappentext als "fabelhaft ausgelassener Generationenroman" angepriesen. Dabei nimmt sich das Buch selbst nicht allzu ernst.

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"Wir haben alles: Eine gute Ausbildung, Auslandserfahrungen, Diplome, Doktortitel (...) Tageszeitungen, keine Lust, Schnittblumen auf dem Küchentisch, Agavendicksaft im Kühlschrank, eine Stammkneipe um die Ecke, Selbstzweifel (...) Wir haben Lebensfreude-Duschgel, Albträume, Happy-End-Toilettenpapier, Stressfrei-Lotion, kaputte Fernseher, Heimweh nach Zukunft, keinen Grund uns zu beschweren, und nichts zu verlieren außer unserer Angst. Kein Wunder, wir waren überall und kommen nirgends an. Manchmal winken wir heimlich unserem Spiegelbild zu, um sicherzugehen, dass wir da sind. Wir wissen, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt, dass wir zur Freiheit verurteilt sind, dass die Welt nicht besser wird, nur weil sie sich dreht, dass der Kapitalismus an allem schuld ist und dass daraus nichts folgt. Wir leiden leise und lachen laut."

Nerz, Buchcover "Das wissen wir schon" von Noemi Schneider

Hanser Berlin

"Das wissen wir schon" von Noemi Schneider ist bei Hanser Berlin erschienen.

In Noemi Schneiders lakonisch-satirischem Roman geht es um eine junge Fau in der Generationenfalle. Ihre Mutter in Bayern hat alles erreicht, sie selbst aber weiß nicht so recht, wo ihr Platz in der Welt ist. Sie will autonom und erfolgreich sein, ist Dokumentarfilmerin, aber ihre Projekte werden nicht gefördert. Damit die Ich-Erzählerin überleben kann, arbeitet sie in einem verpackungsfreien Supermarkt an der Kassa. Sie belächelt ihre ehemaligen SchulkollegInnen in Bayern mit ihren Familien und ihren Häusern. Sie selbst hat keine Beziehung und Angst, sich niederzulassen und Spießerin zu werden. Und sie ist wütend - wütend darauf, dass alles nicht so klappt, wie sie sich das vorgestellt hat. Zu ihrer kiffenden Mutter hat sie kaum Kontakt. Hin und wieder fährt sie zu ihr aufs Land, nur um zu bemerken, dass die Mutter zwar Flüchtlinge aufnimmt, aber keinen Platz für ihre eigene Tochter hat. Richtig problematisch wird es, als sich ihr Jugendfreund im Gartenhaus der Mutter verbarrikadiert und vom Vorzeigemigranten zum radikalen Salafisten wird, der in den heiligen Krieg ziehen will.

"Meine Mutter und ihre Freundinnen sitzen kiffend im Garten und diskutieren, wie immer. Sie haben Kinder auf die Welt gebracht, abgetrieben, sie haben den Dalai-Lama getroffen, Fidel Castro, Yoko Ono und Jassir Arafat. Sie haben den Feminismus erfunden und Lachyoga, sie haben Universitäten reformiert, Gene entschlüsselt, Tarifverträge erstritten und Atomkraftwerke verhindert. Sie haben sich scheiden lassen und Eine-Welt-Läden eröffnet, sie haben Prinzipien, keinen Fernseher und keine Angst. Im Gegensatz zu mir."

Noemi Schneider

Peter Hassiepen

Noemi Schneider lebt in München und ist 34 Jahre alt, Journalistin für Deutschlandradio Kultur, selbst Filmemacherin und Autorin. Im vergangenen Jahr hat sie bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb, den zweiten Platz belegt. Vor kurzem ist ihr Debütroman "Das wissen wir schon" erschienen. Ihren Filmbackground - sie hat an der Hochschule für Fernsehen und Film in München im Bereich Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik studiert - merkt man auch an ihrem Schreibstil: Verknappt skizziert sie Charaktere und Handlungen, erzählt witzige Begebenheiten, die Dialoge sind hervorragend und innerhalb weniger Zeilen entstehen Bilder im Kopf, so als ob sie ein Filmdrehbuch schreiben würde. In ihren Roman webt Schneider viele kleine Kurzgeschichten und in sich geschlossene Handlungen ein, die Hauptgeschichte gerät dabei gerne mal in den Hintergrund.

Leider sind die pointierten Szenen manchmal so klischeehaft überzeichnet, dass die Handlung unglaubwürdig wird. So arg ein Problem auch sein mag, zehn Seiten später scheint es bereits vergessen zu sein. Dem Buch fehlt es hin und wieder an Substanz - aber auch das könnte ein Phänomen unserer Generation sein. Die großen Fragen des Lebens kann auch Noemi Schneiders Buch nicht beantworten - aber das wollte der Roman auch nie. Was bleibt sind einige gute Lacher und nach dem Lesen ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl: dass das Leben im Kern so sein könnte, wie Noemi Schneider schreibt - wenn man das over the top außer Acht lassen kann.