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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

1. 3. 2017 - 15:34

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 01-03-17.

Gemeinsam was zeichnen. Über meinen Vater.

Mein Vater war kein großer Mann; körperlich. Mein Vater war keine öffentliche Person, obwohl er Goldfinger gerettet hat, was ihm eine Fußnote in der Nachkriegs- / Filmgeschichte sichert. Mein Vater hat um die Schlechtigkeit der Menschen gewusst, aber auch um ihre Fähigkeit, Gerechte zu sein. Mein Vater war Realist und Atheist, hatte aber dieses Urvertrauen ins Leben.

Mein Vater war keiner, der sich in den Vordergrund drängen musste, mein Vater war selten laut, mein Vater hat aber immer deutlich gesprochen, um klar verstanden zu werden; mein Vater hat Geborgenheit und Sicherheit (das ist ein mittlerweile kaputtgemachter Begriff, ich meine es im Sinn der elterlichen Verantwortung, als Papa) gegeben, mein Vater war für Hass ungeeignet, weil er auch die Monster verstehen konnte.

Mein Vater hat einen großen Teil seiner Kindheit verloren. Als er 12 war, musste er untertauchen, er konnte erst mit 15 wieder auftauchen, dazwischen war er illegal, ein U-Boot, das bei Freunden und Bekannten unterkam. Mein Vater war nicht verschwunden wie Anne Frank, er war immer wieder auch mitten im Trubel der Stadt versteckt, in Wien, mit einem HJ-Kapperl getarnt, mit seiner Mutter unterwegs zwischen immer wechselnden Unterschlüpfen, um die Gerechten nicht zu gefährden. In dieser Zeit ist mein Vater eins geworden mit der Stadt und ihren Wegen; dieses Gefühl hat er mir vererbt.

Mein Vater hat vieles aus dieser Zeit, seiner Kindheit und Jugend mitgenommen: die Achtsamkeit, die Umsicht, die Genauigkeit, und vor allem das schnelle Einschätzen von Situationen und das unaufgeregte, folgenbedenkende Reagieren. Wissen, wann Konfrontation gut tut und wann Rückzug not tut. Das Installieren von Routinen, um sich zu stabilisieren in einer unsicheren Umgebung. Und das Wissen, dass es dem Einzelnen obliegt, sich zu interessieren, wenn keine bildenden Institutionen da sind. Auch einiges davon hat er mir vererbt.

Mein Vater stammte aus komplizierten, dysfunktionalen Familien-Verhältnissen. Wohl auch deshalb lag ihm viel daran, selber eine möglichst gut funktionierende Kernfamilie zu gründen. Was wiederum sein großer gemeinsamer Nenner mit meiner Mutter war.

Nur soviel: der Vater meines Vaters war ein rastloser, viel abwesender Freigeist, Zeichner, Grafiker, Eintänzer / Gigolo, Kokaindealer, später, in der Nazizeit bis in seinen Tod, auch ein Fluchthelfer - der Innenminister würde ihn Schlepper nennen - ein permanent Widerständiger. Er trat aus Protest gegen die Rolle der katholischen Kirche im diktatorischen Ständestaat aus, sein Sohn, mein Vater, blieb deshalb ohne Bekenntnis, o.B., sein Leben lang. Weil ihm aber daran lag, dass wir, seine Kinder, das Wesen der Religion lernen sollten, wurden wir evangelisch getauft, quasi als Kompromiss mit meiner unstreng katholischen Mutter.

Die Mutter meines Vaters war das Gegenstück zum Vater meines Vaters: sehr klein, sehr sanft, kulturinteressiert, meine kleine Oma eben, Spross einer jüdischen, a-religiösen Mittelschicht-Familie, die nach dem Anschluss in alle Richtungen zerfiel: Emigration, Konzentrationslager, Untergrund.

Einer, der meinem Vater und seiner Mutter in dieser Bedrängnis half, nicht mit Unterschlupf, aber immerhin mit Lebensmittelmarken, war ein junger, dünner deutscher Volkstheater-Schauspieler namens Gert Fröbe. Viele Jahre später, als Fröbe feist wurde und Auric Goldfinger, der berühmteste Bond-Bösewicht der Geschichte war, und sich danach in einem Interview um Kopf und Kragen redete (Naturally - oder: Of Course; die Quellen sind uneins - I was a Nazi) und alle Fröbe-Filme inklusive Goldfinger in Israel sofort auf den Index kamen, und seine Karriere und die Reputation der Filmstudios in Gefahr waren, wurde das wichtig. Mein Vater bestätigte die Hilfeleistung und wusch Fröbe so als Gerechten rein und bewahrte Goldfinger für die Nachwelt.

In Fröbes Biografie, in den Nachrufen wird die Episode mit reichlich alternativen Fakten reportiert. In der Autobiographie bekam mein Vater einen anderen Namen (Blumental), in den Medienberichten wurde er zum Juden gemacht, Fröbe zum Unterschlupfgeber und gar quasi exklusiven Lebensretter. Wenn mein Vater diese alte Geschichte erzählte, dann schilderte er einen unendlich naiven Mann, der sich anbot, seine Mutter zu den Nazi-Behörden zu begleiten, weil sie sich doch besser stellen sollte. Dass dies die Deportation, das Todesurteil bedeuten würde, war Fröbe nur schwer verständlich zu machen. Der 13-Jährige hingegen verstand das sehr wohl; in aller unaufgeregten Klarheit. Und er empfand Mitleid für den Erwachsenen, der es halt nicht besser wusste.

Mein Vater wusste von der bestialischen Mord-Maschine, vom Grauen der Unmenschlichkeit und er wusste von der Naivität der Mitmenschen, die nichts oder wenig hinterfragen. Und er wusste von der Größe der Mitmenschen, auf die man sich verlassen konnte. Er wurde von der Geschichte zur politischen Klarsicht gedrängt, wo er Kind und Teenager hätte sein können, sein sollen. Und er hat überlebt, auch deshalb.

Nach dem Krieg ergriff er einen grafischen Beruf im Druckereigewerbe, nichts Künstlerisches, nicht weil er nicht gut genug war, aber einerseits sprachen die fehlende (gestohlene) Schulbildung und die ökonomischen Zwänge dagegen; zum anderen hatte sein noch viel talentierterer, genialischer, aber getriebener Vater ihn zu stark gedrängt und ihm durch Drill die Freude am Künstlerischen, vor allem am Zeichnen verleidet.

Mein Vater war ein guter Zeichner (da habe ich nichts geerbt, leider) und er verfügte über eine gestochen scharfe Handschrift, die wie gedruckt daherkam. Seine Schrift erkenne ich unter Tausenden. Ich erinnere mich, wie ich zusammengezuckt bin, als ich eh nur für eine halbe Sekunde seine Unterschrift im TV gesehen habe einfach, weil ihr Wiedererkennungswert für mich so hoch war.

Ich bin in den 70ern aufgewachsen, in den Kreisky-Jahren, als sich der Wohlstand langsam auch in die Arbeiterschicht vorarbeitete, als Arbeiterkindern die Wege in Gymnasien oder die Uni erleichtert wurden. Meinem Vater war Bildung wichtig, nicht eine konkrete Ausbildung. Die Väter meiner Schulfreunde drängten sie dazu, ihre Berufe und Praxen zu übernehmen, mein Vater drängte mich zu nichts. Er strich den Wert des Wissens und der Wissenschaft hervor, in deutlichen Worten, um klar verstanden zu werden. Als ich überlegt hatte, mich vom Religions-Unterricht beim fundamentalistischen Lehrer abzumelden (konnte man damals erstmals, galt als Akt der Rebellion), überzeugte er, der Atheist, der lebenslange o.B.ler, mich in einem langen Gespräch davon, es nicht zu tun. Es wäre besser da gut Bescheid zu wissen, von Innen heraus, um zu verstehen.

Meinem Vater war die Ratio wichtig, seine Herangehensweise an Herausforderungen war akribisch, manchmal pedantisch genau. Seine Neugier war wissenschaftlicher Natur, die wilden Emotionen seines Vaters, die sicher auch in ihm angelegt waren (die habe ich auch geerbt, in Teilen), wurden von seinen frühen Lebenserfahrungen strikt kontrolliert. Meine Emotionalität, noch mehr die meiner Schwester, ist stärker durch das Wesen meiner Mutter gespeist.

Meine Schwester hatte gestern Abend einen Auftritt, Musik mit Lesung, sprachspielerisch. Mein Vater schätzte Sprachspiele; Musik sowieso. Zuletzt interessanterweise Hard'n'Heavy, AC/DC waren seine jüngste Entdeckung, er sprach die Band lustvoll falsch auf Deutsch aus. Ein Jahr nach dem Tod meiner Mutter hatte er Tom Waits entdeckt, dessen rohe Schwere und Trauer ihn fesselte.

Mein Vorschulkind war gestern Mittag in seiner wöchentlichen Musikschulstunde, einer spielerischen Angelegenheit mit Musik- und Geräuscherzeugung und Tanzen. Mein Vater hat sich jede Woche erkundigt, wie es so in der Musikschule war. Lustvolles Lernen, das gefiel ihm.

Mein Vater ist gestern morgen gestorben, gegen 6 Uhr früh war er kurz wach, dann ist er eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Neben seinem Bett steht ein Foto von meinem Sohn; der hat ein Sandkisten-Sieb am Kopf und lacht.

Ich bin gegen 6 Uhr auch aufgewacht, mein kleiner Sohn (der manchmal nächtens ins Eltern-Bett kommt) hatte einen unruhigen Schlaf, ich bin also ins leere Kinderbett übersiedelt und habe dort weitergeschlafen. Ich bin wieder aufgewacht.

Ich werde das Foto aufstellen, auf dem mein Vater und mein Sohn gemeinsam was zeichnen.