Erstellt am: 28. 2. 2017 - 15:41 Uhr
"Kurdistan ist mein Paradies"
Paradies ist Ansichtssache
Kurdwin Ayub führt mit ihrem ausgezeichneten und sehr familiären Kinodebüt "Paradies! Paradies!" nach Kurdistan.
Die 26-jährige Filmemacherin und Performance-Künstlerin Kurdwin Ayub ist in Kurdistan, einem autonomen Gebiet im Norden Iraks, geboren. 1991 musste sie mit ihren Eltern aus dem Irak fliehen, sie haben sich in Wien niedergelassen. Kurdwin studiert an der Akademie der Bildenden Künste.
"Paradies! Paradies!" ist ihre erste Dokumentation in Spielfilmlänge und handelt davon, wie sie mit ihrem Vater Omar zurück in ihre "Heimat" fährt - und sich dort aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse wie eine Fremde fühlt. Ihr Papa will sich im Norden Iraks eine Wohnung kaufen, weil er Heimweh hat.
Kurdwin hat die Doku mit einer Handkamera selbst gefilmt - im Youtube-Stil. Bei der Diagonale 2016 wurde "Paradies! Paradies" mit dem Preis für die "Beste Bildgestaltung" ausgezeichnet. Am 1. März feiert die Dokumentation Kinopremiere im Filmcasino Wien.
Regisseurin Kurdwin Ayub im Interview
Wie war es für dich, wieder nach Kurdistan zurückzukehren, in die Heimat deines Vaters?
Kurdwin Ayub als Gast in der FM4 Morning Show - für 7 Tage im FM4 Player anhören.
Eigentlich war es ein sehr schönes Gefühl, weil ich da meine Familie wieder getroffen habe. Dieses Temperament und alles ist anders als im ganzen Westen. Als ich früher nach Kurdistan geflogen bin, war es eher ein "Ich möchte wieder zurück nach Österreich, da ist mein Zuhause" - und jetzt weiß ich es nicht mehr. Als ich dort war, habe ich mir gedacht: "Ah, jetzt muss ich wieder zurück nach Österreich, wo sich die ganzen Künstler ansaufen."
Das war also nicht das erste Mal, dass du in Kurdistan warst?
Genau, ich bin öfter dort gewesen.
Ihr seid Nahe ans IS-Gebiet gekommen. Man sieht euch in dem Film auch mit Soldaten posieren. Was war die skurrilste oder die unangenehmste Situation, die ihr auf eurer Reise erlebt habt?
Es gab zwei Situationen. Eine war folgende: Wir sind mit den Soldaten in einem Haus gesessen und haben eine Bombe gehört - und dann haben sich alle Soldaten zugegrinst. Sie haben gesagt: "Die Amerikaner haben jetzt einen Schlag für uns gemacht". Das war sehr skurril und der Boden hat gewackelt. Es war irgendwie komisch, weil wir nicht Angst hatten, sondern uns gefragt haben, ob das jetzt ein Rambo-Film ist oder nicht. Weil alles im Stillstand ist und die Soldaten dort viel warten und posieren. Das war sehr interessant.
Jan Hestmann / Radio FM4
Wirkt das dann eigentlich wie die Realität? Wenn du sagst, da sitzen die Soldaten und grinsen einander zu - hast du das dann wirklich so wahrgenommen, dass das jetzt echt passiert ist, oder ist das wieder wie in einem Film?
Es ist wie in einem Film - vielleicht ist das auch ein Schutzmechanismus. Erst im Nachhinein wird einem bewusst, was da alles passiert ist. Dort war es eher ein: "Okay, ich schau in ein Display, das Display ist mein Schutz, ich schau durch und ich seh alles wie im Film." Es war auch sehr skurril, was dort alles passiert ist und was ich dort gefilmt habe. Deshalb ist es auch sehr wichtig, sich das anzuschauen, weil alle nur die Nachrichten kennen und den Krieg in den News mitverfolgen, aber niemand weiß, wie es dort wirklich abläuft, der ganz normale Alltag.
Kurdistan im Nordirak - das ist für deinen Vater das Paradies, wie er im Film immer wieder sagt. Du selber bist in Wien aufgewachsen. Hast du dich trotzdem im Nordirak wie Zuhause gefühlt und könntest du dir vorstellen, dort zu leben?
Lustigerweise könnte ich mir das tatsächlich vorstellen - für ein, zwei Jahre, wenn das mit dem Film hier nichts wird, dass ich dort dann irgendwas mache. Es ist auf jeden Fall aufregend. Es ist ein ganz anderes Lebensgefühl, Aufbruch und auch Nicht-Aufbruch. Als wäre man mittendrin.
In Kurdistan hast du auch andere Kleidung tragen müssen, warst bedeckter gekleidet. Deine Tätowierung durfte man nicht sehen. Hat das alles funktioniert? War dein Outfit dezent genug?
Anfangs schon, aber dann habe ich mir gedacht, es ist alles egal. Jetzt gehe ich so, wie ich will. Weil ich irgendwie auch ein Zeichen setzen wollte - das klingt jetzt kitschig. Aber ich dachte, wenn eine freier ist, vielleicht schließen sich dann auch andere an.
Und wie waren die Reaktionen darauf?
Ich wurde ziemlich viel angeglotzt und von vielen Onkeln belehrt. Aber es war mir egal, ich hab gedacht, ich muss ohnehin keinen von denen dort heiraten.
FM4 präsentiert:
Premiere "Paradies! Paradies!" am 1. März 2017 im Filmcasino Wien
In Anwesenheit der Regisseurin Kurdwin Ayub
War das für die Umgebung irgendwie komisch oder außergewöhnlich, dass du dort als Kamerafrau aufgetreten bist und gesagt hast, du machst jetzt diesen Film und dokumentierst alles?
Seitdem ich 17 Jahre alt bin, bin ich dort mit der Kamera unterwegs. Die sind das also gewohnt. Aber im Laufe der Zeit wurde das den Leuten dort ziemlich peinlich. Ich wurde halt nicht ernst genommen. Junge Frau mit einer Kamera - es hat so ausgesehen, als hätte ich reiche Eltern, die mir zum Geburstag eine Kamera gekauft hätten, damit ich für Zuhause etwas Aufregendes habe. Was der positive Nebeneffekt war, dass die Leute alles gemacht haben vor der Kamera, weil sie nicht gewusst haben, dass das alles mal ins Kino kommt.
Also hast du ihnen das nie erzählt?
Doch, ich hab denen alles erzählt.
Wie haben sie darauf reagiert, als sie herausgefunden haben, dass sie im Kino zu sehen sind?
Sie haben gefragt, ob es Geld einbringe. Mein Vater hat gelogen: "Ja, 200.000!" Dabei war allein mein Anteil davon abzüglich der Steuern nicht gerade berauschend - wie das beim Filmemachen eben so üblich ist.
Takacs Filmproduktion
Hat dein Vater am Ende dann eine Wohnung in Kurdistan gekauft?
Er hat sogar zwei.
Nicht schlecht. Du machst viele Kurzfilme, du bist immer Kamerafrau und Hauptdarstellerin in einem. Ist das dann immer die echte Kurdwin Ayub, oder legst du dir eigene Persönlichkeiten für die verschiedenen Filme zu?
Eigentlich stimmt das, ich lege mir verschiedene Persönlichkeiten zu - aber bei "Paradies! Paradies!" bins eher ich. Für die anderen Kurzfilme war es immer eine andere Figur, eher eine überspitzte Version meiner selbst.
Kurdwin, vielen Dank für das Gespräch!