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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

22. 2. 2017 - 11:41

Paradies ist Ansichtssache

Kurdwin Ayub führt mit ihrem ausgezeichneten und sehr familiären Kinodebüt "Paradies! Paradies!" nach Kurdistan.

"Die schießen dir nicht in den Kopf?" - "Nein, die schießen dir ins Gehirn."

Kurdwin Ayub unterhält sich mit ihrem jugendlichen Cousin über den sogenannten Islamischen Staat. Sie sitzen in einer Wohnung in Erbil in Kurdistan. Kurdistan sei ein "nicht genau begrenztes Gebiet in Vorderasien" hat jemand auf die Wikipedia-Seite geschrieben. Nach Kurdwin Ayubs Dokulangfilm-Debüt "Paradies! Paradies!" beginnt man sich für Kurdistan zu interessieren.

Kurdwin Ayub sitzt vor einem Spiegel und hält eine Videokamera, um sie sind kleine Kinder und der Cousin schaut auch ins Bild

Takacs Filmproduktion

Kurdwin Ayub führt die Kamera für ihren Film selbst und staubt damit auch gleich den Preis für die beste Bildgestaltung bei der Diagonale 2016 ab.
Kurdwin Ayub in Graz

Jan Hestmann / Radio FM4

Kurdwin Ayub auf der Diagonale 2016 in Graz, wo sie zuvor schon mit ihren Kurzfilmen öfter zu Gast war.

Dabei beginnt "Paradies! Paradies!" für Unwissende so harmlos und leicht. Wie in einigen ihrer Kurzfilme tritt Kurdwin Ayub vor die Kamera. Sie präsentiert Blusen und "gute Jäckchen", zu denen sie unterwegs Jeans tragen wird müssen. Leider sind die meisten ihrer Blusen durchsichtig und im Irak gilt: für Tätowierungen kommt man in die Hölle. An den smarten Witz der 26jährigen Filmemacherin und Performance-Künstlerin Ayub Kurdwin kommt so schnell keiner heran, denkt man, aber dann tritt ihr Vater ins Bild.

Die Ayubs reisen in das Land, aus dem sie 1991 geflohen sind, aber von "Irak" spricht niemand. Kurdistan ist das Land der Sehnsucht geworden. Also sucht der Vater seinen Pass und begibt sich mit der Tochter auf die Reise. Die Mission ihres Aufbruchs: Wohnungssuche in Erbil. Als Arzt arbeitet Omar Ayub in Wien, aber bei jedem Besuch bei seinen Brüdern besichtigt er Immobilien. Hochgezogene Siedlungsbauten stehen leer, Vater und Tochter fürchten kurz, in einem Lift stecken zu bleiben. Der Vater preist sein Geburtsland für das Obst, für den Sonnenschein, auch wenn es regnet, "aber hier regnet es sehr selten."

Hohe Siedlungsbauten in Erbil

Takacs Filmproduktion

Erbil, Autonome Region Kurdistan

"Wenn mein Vater und ich vor der Kamera sind, inszenieren wir uns gerne. Auch gern lustig", hat Kurdwin Ayub nach der Premiere bei der Diagonale in Graz erklärt. Vor der Vorführung forderte sie das Publikum auf, sich trauen zu lachen. Im Helly-Kitty-Kinderzimmer bei den Verwandten in Erbil machen Buben und Mädchen "Disco". Entzückend und lustig sind die Szenen. Mittendrin spielen die Kinder eine Erschießung nach, dann tanzen sie weiter. Die Zerrissenheit der Familien zwischen hier und Ländern des Exils, das für manche Mitglieder schon lange Heimat ist, ist Thema ohne großes Aufheben.

Ein Mädchen steht in einem Kinderzimmer, in dem ganz viele Hello-Kitty-Sachen sind, auch die Bettwäsche

Takacs Filmproduktion

"Paradies! Paradies" ist der lustigste Film der vorjährigen Diagonale gewesen, bis einem die Tragik der Komik klar wird. Dann ist es ein ziemlich super Film, der noch mehr Fragen aufwirft und nebenbei ein kluges Statement zum Informationsgehalt von Bildern setzt. Kurdwin Ayub hat die Doku mit Handkamera selbst gefilmt und wurde dafür bei der Diagonale 2016 mit dem Preis für die Beste Bildgestaltung ausgezeichnet. Manche Regieanweisung kam vom Papa.

Herr Kurdwin probiert eine Tarnjacke an und posiert mit Peshmerga

Takacs Filmproduktion

Ausflug zu Peschmerga-Kämpfern

Plötzlich und unvorhergesehen probiert der Vater Tarnjacken an und ist umringt von Peschmerga. Mit Blick auf das Land kommt schließlich ein Wassertank in Sichtweite, dort sei der sogenannte IS stationiert. Jene Menschen also, die einem nicht ins Gesicht, sondern ins Gehirn schießen. Die Begegnung mit der Peschmerga, der Armee der KurdInnen im Nordirak, ist mehr als bizarr. MitteleuropäerInnen haben keinen Begriff von kriegerischen Auseinandersetzungen und die Peschmerga-KämpferInnen sind die ersten an einer unklaren Frontlinie zum sogenannten Islamischen Staat.

Wie sehr Heimat ein fiktives Konstrukt ist, macht die Dokumentation deutlich. Zugleich erzählt der Glaube des Vaters an diese kargen Landstriche vom Wunsch vieler KurdInnen nach einem Staat, den es nicht gibt. Und schließlich sind da eine Tante und ein Cousin, der Deutsch spricht und sich zurück nach Deutschland sehnt. Drei Stunden 45 Minuten dauert der Direktflug von Wien nach Erbil. Wie hochpolitisch dieser Kinobesuch ist, wird einem in den Stunden nach dem Abspann bewusst.

Verlosung beendet

Wir haben 20*2 Tickets für die Premiere von "Paradies Paradies" am 1. März 2017 um 20:15 im Filmcasino Wien verlost - unter jenen, die wussten, welcher deutsche Autor Ende des 19. Jahrhunderts Kurdistan beschrieben hat, ohne je einen Fuß in die Gegend gesetzt zu haben.

Die richtige Antwort: Karl May

Die GewinnerInnen wurden per Email verständigt.