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Simon Welebil

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3. 12. 2016 - 13:00

Recht auf Risiko?

Darf man sich selbst riskieren, um Sehnsüchte zu befriedigen? Ja, meint die Bergführerin und Spitzenalpinistin Lisi Steurer, auch gegen ein starkes gesamtgesellschaftliches Sicherheitsbedürfnis.

Unsere gesellschaftliche Wahrnehmung von Sicherheit und Gefahr scheint durcheinander geraten zu sein. Während auf der einen Seite sogenannte Helikopter-Eltern ihre Kinder am Spielplatz keine Sekunde aus den Augen lassen und vor jedem Stolpern bewahren wollen, boomen auf der anderen Seite etwa Extremsportfilme, in denen scheinbar alle Vorsichtsmaßnahmen in den Wind geschlagen werden.

ein freerider beim abfahren

risk´n´fun

Der Alpenverein hat schon 1998 darauf hingewiesen, dass der öffentliche Diskurs über Risiko widersprüchlich ist, dass einerseits hochriskantes Verhalten heroisiert wird, andererseits aber Risiko als "passive Gefährdung" negativ bewertet wird. Als Reaktion darauf, hat er ein Risiko-Manifest herausgegeben, in dem er die positiven Seiten des Risikos hervorheben und die Eigenverantwortung des Einzelnen betonen wollte.

Wenn man sich heute die Postings ansieht, die etwa unter jedem Artikel über einen Lawinenunfall erscheinen, muss man zu dem Schluss kommen, dass dieses Risiko-Manifest nicht besonders gefruchtet hat. Regelmäßig werden Aktionen nicht nur pauschal als unverantwortlich abgetan, man sollte sie sogar verbieten und die Akteure verklagen.

Lisi Steurer im Gespräch

Simon Welebil / FM4

Die Bergführerin und Spitzenalpinistin Lisi Steurer hat letzte Woche auf einem Symposium des Alpenvereins den Aufruf aus dem Risiko-Manifest wiederholt und ein "Recht auf Risiko" eingefordert. "Als Menschen und als Gesellschaft habe wir ein Recht, uns riskieren zu dürfen. Wir haben das Recht drauf, uns zu erfahren und unsere Grenzen auszuloten", meint sie. Das müsse gesellschaftlich akzeptiert werden. Und wenn man seine Grenzen auslotet, müsse es auch okay sein, wenn man einmal scheitert.

Poster: Recht auf Risiko

Simon Welebil / FM4

Scheitern zu dürfen scheint aber genauso wie riskantes Verhalten gesellschaftlich immer weniger akzeptiert zu werden. An die Stelle etwas zu wagen tritt eine Sehnsucht nach Sicherheit, die sich in immer mehr Versicherungen, in immer mehr technischer Sicherheitsausrüstung, aber auch in der Justiz Ausdruck verschafft, indem sie alles einklagbar erscheinen lässt. Doch diese Sehnsucht nach Sicherheit lässt sich nicht verwirklichen, absolute Sicherheit ist nicht nur am Berg eine Fiktion.

Poster: Recht auf Risiko

Simon Welebil / FM4

Lisi Steurer plädiert dafür, ein gewisses Risiko akzeptieren zu lernen. Wir müssen Wagnisse eingehen, um uns weiterentwickeln zu können, um bessere SchifahrerInnen oder AlpinistInnen zu werden. Sie tritt für die Etablierung einer Risikokultur ein, die sich zwischen hoher Risikofreude und der totalen Scheu vor jeder möglichen Gefahr bewegt und in der Eigenverantwortung einen hohen Stellenwert einnimmt.

Poster

Simon Welebil / FM4

Dafür braucht es natürlich auch einiges an Wissen, um das Risiko, das wir eingehen, überhaupt einschätzen zu können. Und laut Lisi Steurer müssen wir auch lernen, mit den möglichen Konsequenzen umzugehen, auch mit dem Worst Case, dem Tod am Berg, und ihn in die eigenen Überlegungen integrieren.

Dieser Worst Case dürfe aber nicht leichtfertig riskiert werden, meint die Bergführerin und dennoch solle jeder und jede Einzelne die Grenzen des Rechts auf Risikos selbst definieren können. So lange niemand anderes mit dieser Entscheidung gefährdet wird und die Motivation für ein Risiko aus einem oder einer selbst heraus kommt, sollte man es eingehen dürfen.

Poster Risikobedürfnis

Simon Welebil / FM4

Auf der anderen Seite steht nämlich der mögliche Gewinn, ein unvergessliches, schönes Erlebnis, für das sich ein Risiko manchmal einzugehen lohnt.

"Wir gehen nicht in die Berge, weil wir sterben wollen, und auch nicht, weil wir Helden sein wollen - zumindest ich nicht", sagt Lisi Steurer. "Wir gehen in die Berge, weil wir gestärkt, glücklich, manchmal saumüde aus den Abenteuern zurückkommen, aber wir haben was erlebt. Die Strapazen vergessen wir, das Erlebnis bleibt."

Lisi Steurer hält ihren Vortrag "Recht auf Risiko" auch am 3.12. um 17:00 bei der Snow- and Safety-Conference in Zürs. Eintritt frei.

Ob sich eine Risikokultur, wie sie Lisi Steurer vorschwebt und an der der Alpenverein schon seit Jahren arbeitet, etwa mit den Risk'n'Fun-Programmen der Alpenvereinsjugend, durchsetzt, bleibt vor dem Hintergrund der immer stärkeren Polarisierung in Öffentlichkeit und Social Media fraglich. Das "Recht auf Risiko" ist jedenfalls ein Gedanke, der dazu anleitet, Risiken, oder zumindest die Diskussion darüber, entspannter zu sehen.