Erstellt am: 9. 12. 2016 - 13:00 Uhr
„Die Flucht allein ist meist traumatisierend“
Rechtswissenschaftler und Psychotherapeuten haben sich im Rahmen einer Studie gemeinsam der Frage gewidmet, wie es um den Umgang mit nach Antifolterkonvention besonders Schutzbedürftigen in österreichischen Asylverfahren steht. Ihr Fazit macht durchaus nachdenklich:
„Es wurde die Traumatisierung in keinem Fall als solche erkannt und es wurden auch die Symptome nicht als solche erkannt. Dementsprechend wurde mit der Person auch nicht so umgegangen, wie die Standards es eigentlich vorschreiben würden.“ So fasst die Psychotherapeutin Ruth Kronsteiner die Studie „Krieg und Folter im Asylverfahren“ recht knapp zusammen.
Für die Studie wurden die Asylakten und -protokolle von 14 Personen, die in Österreich um internationalen Schutz angesucht haben, mit den Ergebnissen aus Psychotherapiesitzungen verglichen. Das Ergebnis, vor allem in Bezug auf die gestellten Diagnosen und Gutachten, fällt aus mehreren Gründen schlecht aus.
Radio FM4 / Clemens Fantur
Unglaubwürdig statt traumatisiert
Ein typisches Symptom eines Traumas ist ein sehr stark ausgeprägtes Vermeidungsverhalten. „Dadurch entstehen in der Erzählung Brüche, Löcher und Lücken“, so Psychotherapeutin. Darüber hinaus kann es zu affektlosem Erzählen kommen. Das heißt, jemand erzählt seine Geschichte, aber ohne das entsprechende Gefühl dabei. Das Problem: Wird eine Traumafolgeerkrankung nicht als solche erkannt und werden die Symptome nicht richtig zugeordnet, dann werden dieses Symptome einfach als unglaubwürdig eingestuft, erklärt Kronsteiner. Und in einem Asylverfahren als unglaubwürdig eingestuft zu werden, kann schwerwiegende Folgen haben. Einerseits für den Ausgang des Verfahrens, andererseits auch für die betroffene Person selbst.
Retraumatisierung vs. neues Trauma
Wird ein traumatisierter Mensch im Rahmen des Asylverfahrens trotz Vermeidungsverhaltens zum Erzählen gedrängt, kann es zu Überflutungen und dissoziativem Verhalten kommen. Es kann passieren, dass die Person mitten in der Erzählung in Ohnmacht fällt, erzählt Kronsteiner. Hier spricht man dann von einer Retraumatisierung. „Wenn man davon ausgeht, dass ein Trauma eine Verletzung ist, dann meint eine Retraumatisierung das nochmalige Hinzufügen einer Verletzung“, erklärt sie. Wird dem Erzählten im Rahmen des Verfahrens allerdings kein Glaube geschenkt und es kommt zur Unterstellung, etwas Grauenhaftes hätte gar nicht stattgefunden, dann kann das Asylverfahren selbst zu einem neuen traumatisierenden Ereignis werden. „Das Negieren des Furchtbaren und des Grauens ist hochtraumatisierend“, sagt Kronsteiner. Auch die Ungewissheit über längere Zeit kann traumatisierend sein. Kronsteiner spricht hier sogar von einer „Chronifizierung eines angstvollen Dauerzustandes, die schwere Symptome auslösen kann.“
Kritik
Licht ins Dunkel
FM4 unterstützt dieses Jahr das Betreuungs-Zentrum Hemayat. Dort ermöglicht man Traumatherapie für geflüchtete Kinder und Jugendliche.
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Für sie persönlich war es am schwierigsten, die Diagnosestellungen und behördlich bestellten Gutachten durchzuackern. „Die waren teilweise haarsträubend“, erzählt Kronsteiner: „Voll mit Rassismen, Sexismen und fachlich nicht nachvollziehbar.“ Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr der Fall eines 15-jährigen Mädchens, das laut Gutachten nicht traumatisiert, sondern hysterisch war und simuliert hat. Sie sollte nur mit psychopharmakologischer Unterstützung abgeschoben werden. „Und das widerspricht jeglichem ethischen Grundsatz“, sagt die Psychotherapeutin.
Empfehlungen
Die Studie kommt in Summe also zu einem vernichtenden Fazit. Sie sieht die Schuldigen aber nicht in einzelnen Personen, sondern am gesamten System. Deshalb liegen Ruth Kronsteiner vor allem zwei Maßnahmen am Herzen: Einerseits brauche es unabhängige, traumaspezifische Schulungen für die einvernehmenden Personen und unabhängige Supervision als Unterstützung in ihrer alltäglichen Arbeit. Auf der anderen Seite fordert sie eine offene und positive Grundeinstellung und einen behutsamen Umgang mit Schutzsuchenden. „Wenn ich davon ausgehe, dass ich es mit einem Schutzsuchenden zu tun habe, der traumatisiert ist, dann fällt es mir viel leichter, einfühlsamer umzugehen. Und damit könnte man leichter Retraumatisierungen und auch neuerliche Traumatisierungen verhindern.“ Und: „Das umzusetzen wäre so leicht, wenn man davon ausgeht, dass es keine Schutzsuchenden gibt, die nicht traumatisiert sind. Wenn man davon ausgeht, dass auch die Flucht alleine ein traumatisierendes Moment ist.“