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Sophie Liebhart

Alltagsgeschichten, Gesellschaftspolitik und kuriose Trends. Egal ob von weit weg oder von nebenan.

30. 11. 2016 - 11:02

"Danach ist nichts mehr so, wie es vorher war"

In der Einrichtung Hemayat bekommen traumatisierte Folter- und Kriegsüberlebende psychotherapeutische Unterstützung. Doch was ist Trauma überhaupt? Wir haben bei einer der Therapeutinnen nachgefragt.

Licht ins Dunkel

FM4 unterstützt dieses Jahr das Betreuungs-Zentrum Hemayat. Dort ermöglicht man Traumatherapie für geflüchtete Kinder und Jugendliche.

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Jedes Trauma hat einen Ursprung. Eine oder mehrere heftige Erfahrungen, die alles durcheinander bringen. So eine traumatische Situation ist meist dadurch gekennzeichnet, dass sie sehr bedrohlich ist, erklärt die Psychotherapeutin Dr. Nora Ramirez. "Man ist total hilflos und ausgeliefert. Das eigene Leben oder das Leben einer anderen Person, die einem nahe steht, ist möglicherweise bedroht, aber es ist kein Ausweg da." Hemayat arbeitet mit vielen Menschen, denen genau so etwas wiederfahren ist.

Radio FM4 / Clemens Fantur

Mit der Zeit werden die Zeichnungen der Kinder schöner, erzählt die Therapeutin.

Man Made Desaster

Die Einrichtung hat sich darauf spezialisiert, Menschen zu unterstützen, die Folter- und Kriegserfahrungen verarbeiten müssen. Diejenigen, die diese Hilfe in Anspruch nehmen, haben sehr unterschiedliche Hintergründe: Sie kommen aus verschiedenen Ländern, es sind Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene. Aber sie haben alle eines gemeinsam: Heute ist nichts mehr so, wie es früher einmal war. "Entweder weil die Welt sich durch das traumatische Erlebnis rundherum komplett verändert hat, oder das Selbstverständnis einfach ein anderes geworden ist", erzählt Nora Ramirez.

Bei den meisten Patienten und Patientinnen von Hemayat liegt der Ursprung ihres Traumas in der Handlung eines anderen Menschen. Die erlebten Traumatisierungen wurden ihnen von anderen Menschen angetan. In diesen Fällen spricht man von "Man Made Desaster" erklärt Nora Ramirez. "In solchen Fällen ist es einfach oft so, dass das Vertrauen in die Mitmenschen verloren geht."

Dazu kommt, dass es sich im Fall der Patienten und Patientinnen von Hemayat fast immer um Polytrauma handelt. Das heißt, "diese Menschen haben meist eine ganze Serie von Traumata erlebt", so Ramirez.

"Die Menschen glauben sie werden verrückt"

Es ist ganz unterschiedlich, wie sich ein Trauma nach außen zeigt. Meist ist es so, dass nach dem Erleben der traumatischen Ereignisse eine gewisse Latenzzeit eintritt. Eine Verzögerungszeit, in der erst einmal keine Symptome auftreten. "Das ist häufig so lange die Leute noch mit dem Überleben beschäftigt sind, da sind sie einfach so sehr mit dem beschäftigt, was gerade um sie herum passiert, dass noch keine Symptome auftreten", sagt Nora Ramirez.

"Oft treten die Symptome dann erst auf, wenn eine gewisse äußere Stabilität oder Sicherheit eingetreten ist. Sie können aber auch erst Jahre später auftreten." Wie sich ein Trauma äußert, kann sehr unterschiedlich sein. Typische Symptome sind Schlaflosigkeit, Unruhe oder Konzentrationsstörungen. Es gibt auch Unterschiede zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Während Kinder oft Fähigkeiten, die sie bereits beherrschen, wieder verlernen oder sich völlig zurückziehen und beispielsweise aufhören zu sprechen, können Jugendliche das Geschehene meist schon besser reflektieren. Weil das Passierte aber oft so unbegreiflich ist, kommt es hier auch zu betäubenden Reaktionen wie z.B. Selbstverletzung oder Drogen- oder Alkoholsucht. Bei Erwachsenen nehmen dann Symptome wie psychosomatische, also medizinisch nicht erklärbare Schmerzen zu, weiß Nora Ramirez. "Die Menschen denken oft, sie werden verrückt, weil sie plötzlich Symptome haben, die davor nicht da waren. Oft ist die Ursache schon so lange her, dass sie diese Verbindung selbst nicht herstellen können."

Posttraumatische Belastungsstörung

Zusammengefasst werden all diese Symptome oft unter dem Begriff posttraumatische Belastungsstörung. Das ist aber leider nicht immer richtig und auch durchaus problematisch, meint Nora Ramirez. Richtig ist die Einordnung nur dann, wenn die Symptome tatsächlich auf ein gewisses vorangegangenes Ereignis zurückzuführen ist und wenn sie drei Faktoren erfüllen: Es kommt zu ungewolltem Wiedererleben, sie beinhalten einen Zustand der Übererregung wie z.B. Ruhelosigkeit und es wird generell alles vermieden, was einen an das Trauma erinnert.

Die richtige Einordnung ist für Nora Ramirez aber nicht das größte Problem. Sie sieht den Begriff an sich als problematisch. "Post" steht ja dafür, dass der Auslöser schon vorbei ist. Bei vielen Menschen, die beispielsweise bei Hemayat in Behandlung sind, ist das aber nicht so. Sie sind zwar selbst in Sicherheit, haben aber oft noch Familie im Kriegsgebiet oder sie zittern ihrem Asylbescheid entgegen und kommen davor nicht zur Ruhe. Nora Ramirez ist aber auch mit dem Wort "Störung" nicht ganz glücklich: "Das ist so negativ behaftet. Dabei sind nicht die Betroffenen gestört, sondern das, was ihnen wiederfahren ist, ist gestört. Sie haben lediglich eine Reaktion darauf."

Buntes, mit Wasserfarben gemaltes Bild bei der Kunsttherapie.

Hemayat

Bei der Kunsttherapie kommen bunte Wasserfarben zum Einsatz.

Heilende Beziehungen

"Trauma ist oft etwas, das sehr schambesetzt ist" , erzählt Nora Ramirez. Gerade deshalb ist das Setting der Einzeltherapie so wichtig. Nur in diesem verschwiegenen Rahmen und im Vertrauensverhältnis ist ein offenes Gespräch möglich. Zusätzlich zur Gesprächstherapie können auch Kunst- und Bewegungstherapieformen sehr hilfreich sein.

Bei der Einzeltherapie im Gespräch geht es oft darum, "gemeinsam mit dem Therapeuten oder der Therapeutin eine neue Ordnung zu schaffen", erzählt Ramirez. "Während der traumatischen Situation werden Informationen oft nur bruchstückhaft abgespeichert. An einige Dinge erinnert man sich sehr genau, an andere hat man keine Erinnerung. Durch das Neuordnen wird es leichter, das Geschehene in der Vergangenheit zu belassen und nicht immer wieder hervorzuholen und durchzuspielen."

Und auch die Beziehung zwischen Therapeut und Klient ist für eine erfolgreiche Arbeit unverzichtbar. "Was hilft sind heilsame Beziehungen. Mein Gegenüber versteht, was gerade mit mir passiert, und kann mir das vielleicht sogar erklären, respektiert meine Grenzen und hilft mir, einen Weg zu finden damit umzugehen", fasst Nora Ramirez den Kern der therapeutischen Arbeit zusammen.