Erstellt am: 22. 11. 2016 - 16:31 Uhr
Was macht die Social-Media-Blase mit uns?
Social-Media-Wahlkampf, Fake-Profile und Bots
Der Wahlkampf zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer läuft wieder auf vollen Touren - auch im Netz.
Facebook hat uns im Griff: die Algorithmen und unsere Blase bestimmen, was wir täglich sehen – für viele Menschen ist Facebook die einzige Nachrichtenquelle. Mit allen Konsequenzen: Hass-, Gewalt- und Lügengeschichten bleiben online – im Gegensatz zu weiblichen Brüsten – und verstärken sich selbst. Weil Facebook keine journalistische Verantwortung hat, sondern in erster Linie Geld verdienen will, ist es auf Klickmaximierung ausgerichtet und nicht auf verlässliche Inhalte.
APA/AFP/JUSTIN TALLIS
Der Ausweg aus dem postfaktischen Zeitalter
Social-Media-Bubble
In FM4 Auf Laut diskutiert Claus Pirschner am Dienstag, 22. November ab 21 Uhr mit der Journalistin Barbara Kaufmann und Matthias Jax von Safer Internet darüber, was die Social-Media-Bubble mit uns macht.
Was macht es mit der Gesellschaft, wenn viele Menschen ein verzerrtes Bild von der Realität haben? Was macht es mit uns, wenn wir nur mehr in Blasen kommunizieren?
Ihr könnt anrufen und mitdiskutieren in FM4 Auf Laut ab 21 Uhr unter 0800 226 996 oder fm4@orf.at.
Axel Maireder, Social-Media-Fachmann der Marktforschungsagentur GfK, sagt, dass Facebook vor der großen Herausforderung stehe, Wahrheit als Kategorie in seine Algorithmen einzuarbeiten.
Worin unterscheidet sich die Social-Media-Blase vom ganz normalen Stammtisch?
Klassischerweise haben wir einerseits den Stammtisch, aber andererseits trotzdem die Nachrichtensendungen, die wir jeden Tag schauen. Das fließt zusammen auf Facebook, das heißt, der Stammtisch wird medial und die Medien werden gleichzeitig zum Stammtisch. Und das führt zu Schwierigkeiten. Das gemeinsame, geteilte Wissen einer Gesellschaft über die Dinge, die in der Welt passieren – die Öffentlichkeit – verändert sich dadurch, dass der Stammtisch selektiert.
Was macht es mit einer Gesellschaft, in der ein großer Teil der Menschen falsch informiert wird?
Ich hoffe, dass es vor allem dahin führt, dass wir alle deutlich kritischer werden mit der Zeit. Ich denke, in die Richtung geht es auch, dass junge Menschen, die ja ständig konfrontiert werden mit solchen Falschmeldungen, sehr vorsichtig werden mit der Zeit.
Ich habe vor gut zehn Jahren für das Unterrichtsministerium Studien dazu gemacht, wie Schüler mit dem Internet umgehen. Damals haben wir schon festgestellt, dass die Kids damals eine gewisse Form von Autorität nicht mehr so wahrnehmen, nämlich die Autorität des Autors, einer Institution oder Person, dafür einer anderen Autorität, der Autorität der Vielen – je mehr Menschen etwas für gut befinden – sehr viel mehr Glauben schenken.
Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir zwar in der Selektion von Inhalten laufend auf diese Crowd zurückgreifen. Die Kennzeichnung von wahr oder falsch ist dabei aber nicht gegeben.
Ob das, was die Massenmedien abgebildet haben, wirklich immer die vollständige Wirklichkeit war, das lassen wir jetzt einmal dahingestellt. Aber zumindest gab es ein gemeinsames Commitment darüber.
Maireder
Die Realität der Massenmedien war ja auch immer eine sehr spezifische, man denke nur an die klassischen Nachrichtenfaktoren: Nähe, kulturelle Zuordnung, Skandale und Sensationen. Wir müssen uns bis zu einem gewissen Grad daran gewöhnen, dass diese Zeit der sehr ähnlichen Strukturen, die dahinter stecken wie Medien funktionieren, vorbei ist und dass die Art und Weise, wie in dem einen Eck von Facebook und im anderen Eck von Facebook Nachrichten gemacht oder Informationen verbreitet werden, durchaus unterschiedlich sein können und mit dieser gesamtgesellschaftlichen massenmedialen Realitätskonstruktion nur noch in Teilen zu tun haben.
Es wird – wie unsere Welt insgesamt – auch im Medienbereich multipolarer, vielfältiger, im Sinne dessen zu verstehen, wie Information zu den Menschen kommt, wie sie die Information teilen und weiter verbreiten.
Wenn man jetzt versucht, diese Informationsflut nach dem Wahrheitsgehalt zu bewerten, kommt man da um journalistische Arbeit herum?
Jein. Ich glaube nicht, dass Facebook selbst auf Basis journalistischer Arbeit funktionieren kann oder sollte. Das würde etwas reinbringen in das System, das dem System nicht gerecht wird. Ich glaube, dass sich das durchaus über die Nutzer und die Crowd steuern lässt, wenn es intelligent gemacht ist. Und die haben so viele intelligente Leute bei Facebook, ich bin mir sicher, sie werden mit einer guten Lösung kommen.
Das heißt aber nicht, dass Journalismus nicht mehr gebraucht wird. Ganz im Gegenteil, das ist ein ganz wesentlicher Gradmesser für Wahrheit, Relevanz, Wahrhaftigkeit, Richtigkeit, wie auch immer man dazu sagen will. Wir müssen nur aufpassen, was wir als Journalismus bezeichnen, weil wenn wir jetzt nach Amerika schauen, Breitbart News zum Beispiel, ist das eine Nachrichtenseite? Es kommt so daher, sieht so aus, verbreitet auch zu 80% vielleicht tatsächlich richtige Nachrichten, aber viel Blödsinn ist halt auch darunter.
Wir müssen aber auch aufpassen, wie wir mit Satire umgehen – da muss auch Facebook aufpassen, wenn die ihren Algorithmus überarbeiten. Geht's nur darum, zu sagen, etwas ist wahr oder falsch? Satire ist ja genau an dieser Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion angesiedelt. Das halte ich für das schwierigste Element, wie differenzieren wir hier zwischen dem, was wirklich absichtlich Falschinformation ist, mit der eine politische Agenda verfolgt wird und Satire auf der anderen Seite, die ganz im Gegensatz dazu zu kritischem Denken anregen will.
Wie sollten denn Journalisten auf die Herausforderung reagieren?
Das klingt jetzt vielleicht banal, aber ich glaube das wichtigste ist, die Arbeit wirklich gut zu machen, und da haben wir doch einiges an Problemen gesehen in letzter Zeit, zum Beispiel die Geschichte mit den Übergriffen in Köln, wo tagelang nicht berichtet wurde. Das war natürlich ein gefundenes Fressen für Pegida, AfD und all die anderen, die Lügenpresse schreien.
Es ist natürlich auf der einen Seite ökonomischer Druck bei den Medien, immer stärker einzusparen, immer mehr Meldungen werden einfach übernommen, die Journalisten haben immer weniger Zeit und immer weniger Möglichkeit, selbst Stories zu recherchieren und dahinter zu bleiben. Auf der anderen Seite leben wir aber in einer Zeit, wo es so wichtig wäre wie nie, ganz genau hinzuschauen und ganz genau festzuhalten: was ist das, was wir objektiv beobachten können und was ist das, was wir als Gerüchte wahrnehmen müssen?
wikimedia.org CC BY-SA 3.0 / David Shankbone
Siehst du insgesamt das Aufkommen von Sozialen Medien aus gesellschaftlicher Sicht als Fortschritt oder als Gefahr? Es gab ja diese Euphorie vor einigen Jahren "jetzt kann jeder gleichwertig Nachrichten austauschen". Glaubst du sind die Menschen überhaupt reif dazu?
Ich denke grundsätzlich: die Richtung, in die das geht, ist wahnsinnig spannend und ist definitiv ein Fortschritt. Es ermöglicht die Organisation von Information in der Gesellschaft ohne klassische Autoritäten, die sagen, wo's langgeht. Das ist ein irrsinnig spannender Aspekt. Und das zeigt sich ja in vielen verschiedenen Aspekten, ob wir jetzt von sozialen Bewegungen reden, sozialer Mobilisation – die kann halt in die eine oder andere Richtung gehen. Die kann in die Richtung von Trump gehen, die kann in die Richtung vom Gezi-Park in der Türkei gehen. Da sind Medien in ihrer Struktur relativ neutral, es kommt immer drauf an, wie sie eingesetzt werden.
Ich glaube aber grundsätzlich daran, dass wir mit der Zeit immer besser verstehen lernen und auch vor allem ein Gefühl dafür bekommen, wie diese Medien funktionieren. Ich glaube, dass unsere Kinder das zunehmend sehr früh schon lernen, mein 10jähriger Bub schaut seine ganzen Youtuber an, der lernt das schon sehr früh zu hinterfragen.
Deswegen glaube ich, es ist eine Umstellung. Genauso wie in den 50ern 60ern das Fernsehen verteufelt wurde in gewissen Kreisen. Es kann, genauso wie das Radio, zu Propagandazwecken verwendet werden, wie in Nordkorea oder im Dritten Reich, und es kann in anderen Gesellschaften dazu führen, dass Menschen kritischer werden, sich mehr beteiligen, stärker am gesellschaftlichen Prozess teilnehmen und das Gewicht und die Relevanz von Autorität in der Gesellschaft sinkt.
Screenshot Facebook
Kann denn Facebook überhaupt als Provider mit amerikanischer Sichtweise und mit amerikanischen Rechtsnormen weltweit weiter so agieren oder wird es in absehbarer Zeit – die Diskussionen und Versuche sind ja da – möglich sein, Facebook auch auf europäische Werte zu verpflichten?
Das ist natürlich eine Gratwanderung. Denn wir können natürlich sagen, wir wollen unsere zentraleuropäischen Werte bei Facebook sehen, aber die Saudi-Araber denken sich vielleicht dasselbe. Also da bin ich wirklich auch gespaltener Meinung, ob ein global agierendes Unternehmen sich so stark auf die einzelnen Märkte, in denen es aktiv ist, einstellen soll, kann und darf. Google hat sich ja zum Beispiel immer wieder aus China zurückgezogen, vor allem aufgrund der dort vorherrschenden Zensur.
Das wird ein zentrales Thema sein für Facebook und ich bin wirklich unentschlossen. Soll Facebook als mediale Plattform hier möglichst neutral sein gegenüber Allen weltweit – dann dürfen sie aber auch diese Nacktbilder, Brüste usw. nicht zensieren – oder sollen sie auf die Kulturkreise eingehen?
Ich glaube, sie werden wohl auf die Kulturkreise eingehen mit der Zeit, weil am Ende des Tages müssen sie Geld verdienen und sich bis zu einem gewissen Grad danach richten, was die Nutzer für einen kulturellen Background haben und vor allem auch, welche Gesetze die Staaten haben, in denen sie agieren und aus denen sie Werbegelder lukrieren wollen.
In Österreich und Deutschland ist Facebook ja schon geklagt worden wegen Inhalten, die sie nicht entfernt haben. Kann das einen Effekt haben?
Ja, das kann einen Effekt haben, ganz sicher. Wenn das raufgeht bis zu den obersten Gerichtsbarkeiten, dann wird das einen Effekt haben. Facebook wird es sich nicht leisten, vor allem in Europa, sich aus dem Markt zurückzuziehen. Und dann müssen sie bis zu einem gewissen Grad auch nach den Regeln spielen.
FM4 Auf Laut
Heute ab 21 Uhr diskutiert Claus Pirschner mit der Journalistin Barbara Kaufmann und Matthias Jax von Safer Internet darüber, was die Social-Media-Bubble mit uns macht.
Was macht es mit der Gesellschaft, wenn viele Menschen ein verzerrtes Bild von der Realität haben? Was macht es mit uns, wenn wir nur mehr in Blasen kommunizieren?
Ihr könnt anrufen und mitdiskutieren in FM4 Auf Laut ab 21 Uhr unter 0800 226 996 oder via Email an fm4@orf.at.
Im Anschluss gibt es die Sendung für 7 Tage im FM4 Player anzuhören.