Erstellt am: 25. 11. 2016 - 15:02 Uhr
"This is so gay! ... erm, lame!"
"Nicht unbedingt ein gutes Vorbild für die Jugend", ist der erste Satz, den ich bei den Prime Park Sessions am Stubaier Gletscher über Gus Kenworthy höre. Doch dieser Satz, den Gus Kenworthy im letzten Jahr wohl dutzende Male gehört hat, bezieht sich diesmal nicht auf seine sexuelle Orientierung. Gus hat sich gerade in eine Lederhose geworfen, einen Maßkrug mit einem Liter Oktoberfestbier aus der Dose gefüllt und alles in einem Zug runtergestürzt. Dutzende Handys und Kameras sind auf ihn gerichtet, weil sie wissen wollen, was jetzt kommt.
Simon Welebil / FM4
Gus schmeißt die Maß weg, taucht kurz an und fährt auf den ersten großen Kicker im Snowpark zu. Den Selfiestick mit der Action-Kamera in der Hand, das Bier im Magen und der Backflip über die Schanze scheinen nicht die beste Kombination. Die ersten Rider, die nach Gus' Run oben ankommen meinen, er hätte sich unten übergeben müssen. Aber das stimmt nicht, wie mir Gus kurz darauf, wieder im Schioutfit, versichert. Nur die Kohlensäure habe ihm schon ganz schön aufgestoßen.
Gus Kenworthy, Silbermedaillengewinner der Olympischen Winterspiele von Sotschi, hat ein recht turbulentes Jahr hinter sich. Letzten Oktober hat er sich dazu entschlossen, öffentlich sein Coming Out zu begehen, mit einem Interview auf ESPN Magazine und einem Posting auf Facebook, das mit den drei Worten. "I am gay" beginnt. Schon in diesem Posting konnte man zwischen den Zeilen lesen, warum dieser Schritt so schwer für ihn gewesen ist, obwohl ihm selbst schon seit früher Kindheit bewusst war, dass er schwul ist. Er hatte Angst, nicht akzeptiert zu werden, Angst seine Fans zu enttäuschen oder zu verlieren.
"When you're in the closet and you think about what could happen, you just think about the worst cases", erzählt Gus. Zu diesen Worst Cases zähltel für ihn auch ökonomische, etwa Sponsoren zu verlieren. Jahrelang, so sagt er, sei er mit solchen Gedanken selbst sein größter Feind gewesen.
![© Prime Park Sessions / Pally Learmond Gus Kenworthy springt über eine Schanze](../../v2static/storyimages/site/fm4/20161147/Gus_Kenworthy_c.Pally_Learmond_body.jpg)
Prime Park Sessions / Pally Learmond
Alles schwul
Nicht gerade hilfreich ist in einer solchen Situation der Umstand, dass sich gerade im Action Sport Bereich alles ums "Cool-Sein" dreht, dass Style und Lässigkeit teilweise auch über der sportlichen Leistung stehen. Und in einer Szene, in der das Wort "schwul" synonym für "scheiße" steht, hat Homosexualität gar nichts Cooles an sich.
Als Gus seine sexuelle Orientierung noch geheim gehalten habe, hat ihn das immer am schlimmsten getroffen, erzählt er, wenn er bei Contests gewesen sei und die Leute um ihn herum zu schimpfen begonnen hätten: über die "schwule" Bewertung eines Runs, den "schwulen" Kurs - "anything that was going wrong, everyone just called it 'gay'". Da aufzustehen und eine Szene zu machen, sei ihm aber zu blöd gewesen.
Alles kommt anders, und doch auch nicht
Gus war müde, etwas vorzugeben, das er nicht ist, und obwohl er es immer noch seltsam findet, dass er eine öffentliche Ankündigung machen musste, ist ihm klar geworden, dass es diese große Szene, das öffentliche Coming Out braucht, um aus seiner Rolle auszubrechen. Einfach deshalb, weil es im Freeski-, Snowboard- oder ganz generell im Action Sport Bereich nie zuvor einen schwulen Athleten gegeben hat, dem es nichts ausmacht, darüber auch zu sprechen. Diese Rolle ist ihm zugefallen.
Simon Welebil / FM4
All die negativen Sachen, die sich Gus Kenworthy im Falle seines Coming Outs ausgemalt hat, seien ausgeblieben, sagt er, vor allem, dass er von den anderen Ridern nicht mehr akzeptiert würde. Die anderen Freeskier, seine Freunde, würden sich jetzt Mühe geben. Und wenn sie bemerken, dass er im Raum ist, kommt auf ein herausgerutschtes "That's so gay", dann die Entschuldigung und die Korrektur auf "lame". Gewohnheiten lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen ändern, weiß auch Gus, aber er schätzt das Bemühen.
Auf sein Schifahren bezogen meint Gus, dass er jetzt viel weniger seelischen Ballast mit sich rumschleppen müsse - und dass ihn das sehr befreit habe. "Last winter I’ve skied the best I’ve ever had", sagt er, und das kann man auch an seinen Contest-Ergebnissen ablesen. Zum ersten Mal in seiner nicht unerfolgreichen Karriere hat er Medaillen bei den X Games gewonnen (gleich vier in einer Saison) und zum Drüberstreuen hat er sowohl die Dew Tour als auch die European Freeski Open gewonnen.
Nicht jeder mag sein wahres Ich
Alles und nichts hat sich für Gus Kenworthy im letzten Jahr verändert, sagt er, und zu diesem alles gehört auch sein Social Media Auftritt. Vor einem Jahr hatten nahezu alle von Gus' Facebook- und Instagram-Postings mit Schifahren zu tun, mittlerweile findet sich dort viel Privates. Da gibt es Fotos mit seinem Freund, Händchen haltend, küssend, sexy Posen, auch politisches. Gus freut sich, dass er jetzt endlich authentischer sein kann, und seinen Fans einen besseren Eindruck zu geben, wer er wirklich sei, die Person hinter den Schi-Fotos.
Doch wenn die Kollegen sich auch aufgeschlossen geben, die Freeski-Fans sind es nicht immer. Ganz egal was er postet, es gäbe immer jemanden, der Sprüche wie "you're so gay", oder "you're a faggot" darunter schreibt. Gus löscht die Kommentare, sperrt die PosterInnen, doch sieht das Ganze dann doch recht abgeklärt: "You have to raise above it", meint er und sieht in den Hass-PosterInnen engstirnige Menschen oder ignorante Kids, die eventuell mit ihrer eigenen Sexualität nicht klar kommen.
Role Model
Andererseits gäbe es gerade im Internet auch so viele positive Reaktionen, die nicht nur in ihrer Zahl bei Weitem das Negative aufwiegen. Gus erzählt, dass er etwa dauernd Nachrichten von Leuten bekommt, die damit hadern, dass sie ihre Homosexualität verbergen oder von anderen, die ihm schreiben, dass seine Geschichte ihnen bei ihrem eigenen Coming Out geholfen hätte.
Jemanden, zu dem er aufsehen konnte oder der ihm ein bisschen was von seiner Angst nimmt, hätte es für ihn nicht gegeben, meint Gus, und so ist er stolz, dass er durch sein Coming Out nun etwas Positives bewirken kann und zu einem Role Model geworden ist. "It's cool to be part of something bigger than just skiing", sagt er zum Abschluss, und wenn er nur ein paar Kids dabei geholfen habe, sich besser zu fühlen und mit sich selbst klar zu kommen, dann war es das Ganze auch wert.