Erstellt am: 19. 10. 2016 - 15:37 Uhr
Oculus: Pionier und Reibebaum
Auf der diesjährigen Game City konnte man es deutlich spüren: Die Euphorie rund um das Thema Virtual Reality ist auf einem vorläufigen Höhepunkt angelangt. Nach Oculus Rift und HTC Vive ist auch das dritte "große" Headset, Playstation VR, auf dem Markt erschienen. Die Online-Shops sind gut befüllt mit "echten" VR-Spielen und -Anwendungen, womit die Zeiten, in denen man Virtual Reality nur dank Demos und Mods genießen konnte, vorbei sind. VR ist noch kein Mainstream-Phänomen, aber der Markt beginnt sich zu diversifizieren. Bei Oculus, jener Firma, die eine Welle an Innovationen ausgelöst hat und die mittlerweile zu Facebook gehört, wird weitergearbeitet, wobei sich das ehemalige Startup-Unternehmen aufgrund merkwürdiger Entscheidungen aber auch viel Kritik aussetzt.
Oculus
Nach der sehr erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne im Oktober 2012 und der Auslieferung der ersten Entwicklerkits des Rift im Jahr 2013 war die Liebe der VR-Enthusiasten für Oculus groß. Zum ersten mal änderte sich das mit dem Entschluss des Startup-Unternehmens, einem Verkauf an Facebook zuzustimmen. Argumentiert wurde er mit den hohen Entwicklungskosten für ein VR-Headset, das den Massenmarkt erobern könne: Bisher, so Palmer Luckey, habe man die Entwicklerkits des Rift mit den Restln der Smartphone-Industrie zusammengebastelt. Dank der finanziellen Mittel der nunmehrigen Eigentümerin Facebook könne man eigene Bildschirme und Sensoren entwicklen und auch professionelle Designer beauftragen. Das klang logisch und nachvollziehbar. Einige Kickstarter-Backer waren trotzdem besorgt - größtenteils spielte sich die Diskussion im Oculus-Subreddit ab. Die Kritiker befürchteten neben dem Wildwuchs bei der Datenweitergabe auch, dass Oculus der visionäre Indie-Spirit abhanden kommen werde.
Social VR
Facebook ist freilich nicht nur mit der Finanzierung der Entwicklung der Bauteile des Rift-Headsets beschäftigt. In der VR-Abteilung des Konzerns arbeiten mittlerweile unter anderem Rachel Rubin Franklin, ehemals Produzentin von "The Sims 4", sowie Cory Ondrejka, früher CTO von "Second Life"-Betreiber Linden Lab. Die Richtung ist klar: Mark Zuckerberg will in der Entwicklung großer, sozialer VR-Welten federführend sein.
In diesem Video ist nicht nur die Bedeutung von Avataren und des Zusammenfließens virtueller und physischer Räume und Objekte zu sehen. Auch die Wichtigkeit der virtuellen Hände wird hier deutlich. Das Konzept für die im Dezember erscheinenden "Oculus Touch"-Controller existierte bei Oculus übrigens schon lange vor den von VR-Fans geliebten Motion-Controllern des HTC Vive. Diskutiert wurde es in einschlägigen Foren schon im Jahr 2013, als Fans eine Modifikation des First-Person-Shooters "Half Life 2" so gestalteten, dass man bei Benützung von "Razer Hydra"-Motioncontrollern bereits Hände im Spiel hatte. Kurz darauf begann Oculus mit der Entwicklung der Touch-Controller. Dennoch hat sich zwischen den Fans von Oculus Rift und HTC Vive mittlerweile ein veritabler Glaubenskrieg entwickelt.
Glaubenskrieg
In diesem spielt natürlich nicht nur die Frage, wer die virtuellen Hände jetzt eigentlich erfunden hat, eine Rolle. Der Riss zieht sich vielmehr zwischen den Proponenten der Idee, dass PC-Peripheriegeräte keinen künstlichen, softwareseitigen Einschränkungen (wie bei einer Konsole oder einem iPhone) unterliegen sollen, sowie jenen VR-Freunden, die Oculus an der Spitze der technologischen Innovation im VR-Segment sehen und auch eine gewisse Loyalität gegenüber dem Erfinder zeigen, der das aktuelle VR-Revival ausgelöst hat.
Der negative Einfluss seitens Facebook auf Oculus ist heute leider tatsächlich spürbar: "Oculus Home", der Onlineshop für das Oculus Rift, ist ein Walled Garden - man kann die Software dort nicht mit den Headsets anderer Hersteller nutzen. SteamVR ermöglicht hingegen mit einem Framework namens "OpenVR" die Nutzung verschiedenster Headsets und Eingabegeräte. Daraus ergibt sich die kuriose Situation, dass jene Firma, die softwareseitig Mauern errichtet hat, das größte Spieleangebot aufweisen kann: Denn mit dem Oculus Rift kann man auch alle Games auf SteamVR spielen, mit dem HTC Vive aber nicht die Spiele von Oculus (außer mit einem mühsamen, unzuverlässigen Hack).
Den ideologischen Kampf zwischen Vive- und Rift-Fans angeheizt hat im September dann auch noch der amerikanische Wahlkampf: Palmer Luckey, so wurde es kolportiert, hätte eine Organisation unterstützt, die Donald Trump nahestehe. In der Tat hatte der Oculus-Gründer 5.000 US-Dollar an "Nimble America" überwiesen, eine Non-Profit-Organisation, die aus einem gleichnamigen Troll-Subreddit heraus entstanden war. Die mittlerweile eindeutig rechtspopulistische Organisation hat das Motto "America First", will die Zuwanderung in die USA beschränken und unterstützt wirklich Trump. Seitdem fragt sich die VR-Welt, ob der Palmer Luckey von heute noch derselbe Palmer Luckey ist, der 2012 in seiner Garage aus Skibrillen und Samsung-Tablets die ersten Prototypen des Rift zusammengeschraubt hat.
Oculus
Nach dem Bekanntwerden seiner Spende distanzierte sich Luckey von der Organisation und sagte - ihm zu Folge nicht das erste mal - dass er weder Trump noch Clinton wählen werde, sondern Gary Johnson, den Präsidentschaftskandidaten der Libertarian Party. Sympathiewerte hatte der Oculus-Gründer nun aber - nach dem Verkauf an Facebook - ein zweites mal verspielt, weshalb bei Präsentationen zuletzt auch eher der von Gamern hochverehrte, legendäre Spieleentwickler John Carmack (Programmierer von "Wolfenstein 3D" und "Doom", Gründer von id Software und jetzt CTO von Oculus) auftritt. Carmack ist es auch, der mit seinen technisch herausragenden Erfindungen wie Asynchronous Time Warp (ASW) und Asynchronous Space Warp (ASW) den softwareseitigen Vorsprung von Oculus gegenüber SteamVR vorläufig gesichert hat.
Let's play
Während Oculus also im Jahr 2016 viele der jahrelang gesammelten Sympathiepunkte verloren hat, steht der Markt für VR-Games natürlich gerade erst am Start. In allen drei großen Onlineshops (Oculus Home, SteamVR, Playstation Store) tauchen fast täglich neue Indiegames auf und auch die ersten Spiele großer Publisher.
Ubisoft hat diese Woche "Eagle Flight" veröffentlicht, ein gleichermaßen beeindruckendes wie unkonventionelles Erlebnis. Die Spielerin bzw. der Spieler schlüpft in den virtuellen Körper eines Adlers. Als solcher fliegt man - fünfzig Jahre nach dem Ende der Menschheit - durch ein ausgestorbenes Paris. Schauen statt schießen und Dinge erleben, die man in der physischen Welt nicht erleben kann: Eagle Flight ist ein Spiel, das die Stärken von Virtual Reality gekonnt ausnützt.
Ubisoft
Eine spannende Geschichte bietet das vor kurzem veröffentlichte First-Person-Adventure "The Assembly". Wie in einem Roman wechselt die Erzählperspektive zwischen zwei Personen: der Neurologin Madeleine Stone, die in Ungnade gefallen ist und in einem seltsamen Bunker gefangen gehalten wird, und dem Virologen Carl Pearson, der in ein moralisches Dilemma gerät, als er entdeckt, dass die Firma, für die er arbeitet, nicht das zu sein scheint, was er dachte. Ein langsames, intensives Spiel mit gutem Voice Acting und noch besseren Rätseln.
Bemerkenswert ist auch die in Oculus Home jetzt erhältliche Spielesammlung "ESPER The Collection". Sie fasst das bisher nur fürs mobile VR-Headset von Samsung (GearVR) erhätliche "ESPER" sowie dessen Fortsetzung "ESPER 2" zusammen, beide nun für das Rift. Inbesondere der zweite Teil ist quasi eine VR-Version des Klassikers "Portal" - ohne Übelkeit verursachende Akrobatik. Empfehlenswert!
Wer virtuell Bergluft schnuppern will, kann das mit "The Climb" tun. Die optisch extrem beeindruckende Klettersimulation von Crytek funktioniert schon mit herkömmlichen Gamecontrollern wunderbar - mit den bald erscheinenden "Oculus Touch"-Controllern wird sie wohl noch besser.
Crytek
Dass ein- und dasselbe Spiel in VR ganz anders wirkt als auf einem Touchscreen-Gerät, beweist derzeit Zyngas skurilles "Mountain Goat Mountain". In dem für iOS und Android schon etwas länger erhältlichen Spiel springt man in Gestalt einer Ziege einen Berg hoch, der aus Blöcken besteht und viele Gefahren wie Abgründe und herabstürzende Felsbrocken birgt. Der Berg ist unendlich hoch und man hat nur ein Leben. Ein wenig hat das den "Flappy Bird"-Effekt, bei dem man teure Gegenstände gegen die Wand schmeißen möchte. Allerdings wirkt das Spiel in VR bei weitem schöner - und gratis ist es auch noch. "Mountain Goat Mountain" mit Rift ist derzeit meine liebste Art der beiläufigen Zeitverschwendung.