Erstellt am: 11. 10. 2016 - 06:00 Uhr
"Die Wertigkeit eines jeden Schwungs ist höher"
Die größte Herausforderung beim Freeriden ist normalerweise die Abfahrt, wo steile, felsdurchsetzte Hänge, enge Rinnen, oder gefährlicher Triebschnee lauern. Die beiden österreichischen Freerider Matthias "Hauni" Haunholder und Matthias Mayr haben sich bei ihren Freeride-Projekten der letzten Jahre mit einer ganz anderen Herausforderung herumgeschlagen: Wie hinkommen?
Letztes Jahr haben sich die beiden in Onekotan verliebt, eine sehr schwer zugängliche Insel 400 Kilometer vor der Küste Kamtschatkas, weil sie dort einen Vulkan in einem Vulkan befahren wollten, was sich als nicht ganz so einfach herausstellte, wie angenommen. Beim Rückflug von Onekotan haben sie dann aus dem Flugzeug ihr nächstes Ziel erblickt, das schneebedeckte weiße Labyrinth des Tscherskigebirges in Ostsibirien, wohin sich wohl äußerst selten ein Schifahrer verirrt. Es liegt zwar nicht mitten im Ozean, dafür wohl ähnlich weit weg von permanenten menschlichen Siedlungen. Das haben sie zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht gewusst.
M-Line
Am sekundären Kältepol des Planeten
Bei der Recherche zu Hause hat sich der Gora Pobeda, der höchste Berg des Tscherskigebirges als Ziel heraus kristallisiert, aber Informationen über das Gebiet, wie man etwa hinein- bzw. wieder herauskommt, geschweige denn schifahrerisch-alpinistische Informationen, waren kaum zu bekommen. Die beiden Mathiasse waren also gezwungen, zuerst einmal zur Recherche nach Sibirien zu fliegen.
Die ersten Eindrücke, die Matthias Haunholder und Matthias Mayr vor Ort bekommen, fallen dann auf den ersten Blick ernüchternd aus. Nach dem Flug nach Yakutsk, eine der kältesten Städte dieser Erde und einer mehr als 1.000 Kilometer langen Fahrt über die berüchtigen Pisten der "Road of Bones", müssen sie erkennen, dass man bei Minus 45 Grad Celsius nicht Skifahren kann, wie Hauni im Interview erzählt:. "Es ist extrem kalt und trocken dort. Der Schnee ist wie gefrorener Schaum und komplett bodenlos. Da sinkt man durch bis zu den Steinen. Bei meinen Schistöcken aus Plastik sind mir die Teller weggebröselt, weil es so extrem kalt war. Zehen, Fersen, Finger, alles ist relativ schnell kalt oder eingefroren. Da hat man nicht lange im Freien sein können, weil es einfach gefährlich geworden ist."
M-Line
Doch in der Nähe des Gora Pobeda können die beiden Freerider Kontakt mit einer Gruppe Nomaden aufnehmen, die ihr Vorhaben, vom Tscherski-Gipfel mit Schiern abzufahren, zwar als verrückt betrachten, aber dennoch bereit sind, sie dabei zu unterstützen. Hauni und Matthias fahren erstmals wieder nach Hause mit der Erkenntnis, dass es für die Befahrung des Gora Pobeda wohl nur ein kurzes Zeitfenster gibt. Es muss "warm" genug sein, um überhaupt Schifahren zu können, aber kalt genug, um den Ort zu erreichen, denn die Straßen dorthin sind nur im Winter befahrbar, so lange sie gefroren sind. Im April wollen sie wiederkommen.
Abenteuerdoku statt Pulver-Porno
Matthias Haunholder und Matthias Mayr machen seit Jahren gemeinsam Freeride-Filme und teilen sich die Arbeit nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera. Sie sind Freerider, Cutter, Produzenten und Vermarkter in einem. Wer ihr bisheriges Schaffen nachverfolgt hat, konnte in den letzten beiden Jahren einen großen Einschnitt bemerken. Bis dahin haben sie nämlich "klassische" Freeride-Produktionen gemacht, in denen man den ganzen Winter lang Material sammelt, das dann in einem Best-of-Edit mündet. Mit "Onekotan" und "The White Maze" haben sie jetzt aber einen komplett anderen Weg eingeschlagen und setzen auf ein dokumentarisches Format.
Jonas Blum
Termine
- 12.10. Salzburg offizielle Premiere
- 15.10. Neustift im Stubaital
- 16.10. Tux
- 28.10. Metropol Innsbruck / Alpinmesse
- 08.11. Bergfilmfestival Graz
- 10.11. Wien Freeride Film Festival
- 16.11.-4.12. Bergfilmfestival Salzburg
- 24.11. Kufstein - Fachhochschule
- 25.11. Krems an der Donau - Campus
- 11.12. Walchsee
- 15.12. Wien
"Dieses Klassische interessiert uns einfach nicht mehr", meint Matthias Mayr darauf angesprochen. "Den ganzen Winter zu warten, um dann vier bis fünf Lines irgendwo runterzufahren, interessiert uns weder passiv noch aktiv noch." Die Motivation dafür ist ihnen immer mehr verloren gegangen. Mit ihren jüngsten Filmen sind sie auch in der Lage, die viele Arbeit und den Aufwand zu zeigen zeigen, der hinter einem Freeride-Filmprojekt steckt, ergänzt Hauni, "und dass nicht immer alles eitel Wonne ist."
Harte Arbeit für ein paar Schwünge
"The White Maze" ist noch dokumentarischer angelegt als "Onekotan" im Jahr zuvor. Es gibt eine Erzählstimme aus dem Off, die Vorbereitungen rücken mehr in den Fokus, das Kamerateam wird zu Protagonisten und der Weg zum Ziel. Im Film steht das Abenteuer im Mittelpunkt, die Abfahrt scheint nur Draufgabe, zumal nicht unbedingt die besten Schneebedingungen herrschen. "Skifahren ist natürlich immer noch das Ziel, auch bei unseren Abenteuerexpeditionen", meint Hauni, "aber das Abenteuer selbst ist mittlerweile auch eine große Leidenschaft für uns. Die Wertigkeit jedes einzelnen Schwungs wird aber natürlich höher."
Jonas Blum
Dass jeder Schwung hart erarbeitet werden muss, kommt in den 50 Minuten von "The White Maze" recht deutlich raus. Der Ansatz unterscheidet sich damit diametral von Blockbuster-Freeride-Filmen wie Travis Rices "The Fourth Phase", wo Helikopter und Schneemobile die Rider meist schnell auf die Gipfel bringen. Doch mit kamerabestückten Drohnen lassen sich auch die Weite Sibiriens, das Skaten über zugefrorene Flüsse und die majestätisch-weißen Bergketten und Gletscher des Tscherskigebirges, die Hauni an die Westalpen erinnern, eindrucksvoll einfangen.
Jonas Blum
Powder-Porn-Fans mag das zu wenig sein, ins Abenteuersegment passt der Film hervorragend - und dort lässt er sich als Doku auch besser vermarkten und erreicht auch Leute außerhalb der doch recht engen Freeride-Core-Szene. Die beiden Matthiasse wollen den eingeschlagenen Weg jedenfalls weitergehen, sowohl filmtechnisch, als auch inhaltlich. Eine extrem abgelegene Location kann man sich also auch in ihrem nächsten Projekt erwarten.