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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

28. 9. 2016 - 15:41

Sehnsuchtsort Sonnenallee

Die eher unspektakuläre Sonnenallee in Berlin-Neukölln brummt, seitdem sie zu einem Stück Zuhause für die Geflüchteten aus Syrien und anderen arabischen Ländern geworden ist.

Über Berliner Straßen und Plätze erscheint ja alle naslang ein Buch, ein eigenes Genre. Berlin ist voll von schreibenden Flaneuren und kaum eine Straße ist noch nicht begangen und beschrieben worden.

Wenn aber der Autor Jörg Sundermeier heißt, dann verspricht die Stadtbeschreibung auf jeden Fall interessant zu werden. Sundermeier ist nämlich in Berlin bekannt wie ein bunter Hund, als Verleger des Berliner Verbrecher Verlags, als Autor der taz und Jungle World, und was am wichtigsten ist, als langjähriges, verdienstvolles und niemals schwächelndes Mitglied der Berliner Ausgehgesellschaft.

Buchcover: Jörg Sundermeier - "Die Sonnenallee"

BeBra Verlag

Lange Jahre lebt er schon in Berlin-Neukölln. In diesem Stadtteil liegt auch die Sonnenallee, über die Sundermeier ein Buch geschrieben hat, das gerade eben in der Reihe „Berliner Orte“, nicht in seinem eigenen, sondern im Bebra Verlag erschienen ist.

Die ganze Straße

Die Sonnenallee kennen nun einige durch den gleichnamigen Film von Leander Hausmann, nach der Vorlage von Thomas Brussigs Roman „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“. Film und Buch spielen aber erstens früher, zweitens in der DDR und das kürzere Ende der Sonnenallee interessiert heute keinen mehr. Sundermeier kümmert sich um die ganze Straße.

Um den Ortsfremden nicht mit Kiezinterna zu langweilen hier nur so viel: Sundermeiers Buch ist sehr gut, man erfährt wichtige Dinge, zum Beispiel dass die Sonnenallee zum 50. Geburtstag Adolf Hitlers nach dessen Geburtsort in Braunauer Straße umbenannt wurde.

Sundermeier kennt die Straße und Neukölln noch aus den Zeiten um 2000, die Zeit der Kampfhunde und der kaputten Gummibäume hinter den Nikotingardinen. Aber auch neuere Beobachtungen wie das Kapitel über die Schwimmfaschisten werfen einen ganz eigenen Blick auf die Berliner Bevölkerung und eine Neuköllner Schwimmanstalt.

Veränderung in der unspektakulären Straße

Trotz allem ist die Sonnenallee jetzt nicht so die Straße, die man ständig aufsuchen müsste, sie war immer eher unspektakulär. In den Seitenstraßen haben sich die Expats und Hipster breit gemacht, hocken in ihren Veganläden und 300 Organic-Food-Cafés. Weiter hinten residieren Hochzeitshops, Shisha Bars, Säuferkneipen. Alles wie gehabt. Dachte ich. Aber die Sonnenallee hat sich in den letzen Monaten sehr verändert. Sie ist zur „arabischen Straße“ geworden.

Schild: Facebook Restaurant Azzam

Radio FM4/Rösinger

Das erste Mal fiel mir das auf, als ich beim Unterricht in einer Deutsch-Kurs -Initiative mit einem jungen Syrer ins Gespräch kam. Man hatte ihn aus dem Wohnheim nahe einer Gewerbegebietes rausgeworfen, weil er sich zwei Tage für seine Mutter am berüchtigten LAGESO anstellen musste. Die Heimchefin hatte ihn nachts einfach nicht in das Heim gelassen. Alles Bitten und Betteln draußen vor der Tür, in der Kälte, war ohne Erfolg. Er war verzweifelt und obdachlos und kam kurzfristig bei einem Bekannten unter.

Damals dachte ich Omran hätte ein bisschen übertrieben, oder die Sache wäre eventuell ein Missverständnis gewesen. Heute weiß man, dass in manchen Berliner Notaufnahmeeinrichtungen zu den Einstellungsvoraussetzungen fürs Personal wohl eine gehörige Portion Fremdenhass gehörte.

Shop: Orientalische Artikel

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Der Betreibergesellschaft des Heimes, in dem Omran lebte, wurde der Auftrag entzogen , nachdem es zahlreiche Beschwerden gegen die Firma gab. Ehrenamtliche Helfer bekamen dort Hausverbot, es wurde kein Deutschunterricht erlaubt und in einer Email-Korrespondenz phantasierten die Angestellten von Kinder-Guillotinen für geflüchtete Kinder. Das alles wusste man damals noch nicht.

"Foreigners everywhere! Lots of shops and places!"

Als Omran nach seinem Rausschmiss wieder zum Unterricht kam fragte ich ihn, ob er jetzt einen neuen Heimplatz hätte. „Yes!“, sagte er überglücklich.„A room in Sonnenallee!“ Wie es ihm gefällt? fragte ich, denn die Sonnenallee gilt den meisten BerlinerInnen als ungemütliche, seelenlose Straße, mit vielen 99 -Cents Läden, Imbissbuden und lärmendem Straßenverkehr. „Wonderful, Wonderful!“, schwärmte er, „Foreigners everywhere ! Lots of shops and Places! It's so wonderful!“ Das wunderte mich dann doch ein bisschen, aber ich dachte, wer vorher in einem Gewerbegebiet gewohnt hat, der freut sich vielleicht über jeden Späti und Falafelladen.

Restaurant Orientalische Küche

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Als im Sommer immer mehr Leute aus dem Sprachkurs von der Sonnenallee schwärmten, beim Namen der Straße lächelten und träumerische Augen machten, als sei dort das verlorene Paradies, nahm ich mir vor, diese märchenhafte neue Sonnenallee auch mal zu besuchen.

Die "Arabische Straße"

Es hat sich einiges verändert. Die Sonnenallee, die ehemalige Braunauer Str. ist zur „arabischen Straße geworden. So wird sie jetzt auch von den Neuankömmlingen aus dem arabischen Raum genannt. Es sind zwei, drei Blocks links und rechts der vielbefahrenen Straße, an denen sich Falafelläden, Shisha Cafés, Baklavaläden , Herrenfriseure, Handyläden, Reisebüros, Hochzeitshops und Spätis abwechseln, der Gemüseladen hat ägyptische Datteln, Granatäpfel, Guaven, Kaktusfeigen Passionsfrüchte und andere Obstsorten.

Granatäpfel, Kaktus- und Zitrusfrüchte

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Arabische Läden gab es schon immer viele in der Sonnenalle, um 1980 waren viele Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon hier gelandet. Neukölln ist die Heimat der arabischen Zuzügler, so wie Kreuzberg die der Berliner Türken ist.

Die neuen Fluchtbewegungen, die Ankunft der vielen Syrer in Berlin, haben für Konjunktur gesorgt, die Straße brummt, ist voll von Menschen. Die Sonnenallee ist ein Treffpunkt für die arabische Bevölkerung, ein Sehnsuchtsort, ein Stück zu Hause für die Geflüchteten aus Syrien und anderen arabischen Ländern.

Die flexiblen Restaurantbesitzer bieten bereits vegane Speisevariationen an, und da ein billiger Falafelladen wohl schon im Lonely Planet steht, bilden sich vor dem Laden lange Schlangen auch von Berlinbesuchern und Neuköllnhipstern. Im Süßigkeitengeschäft türmen sich die Baklava im Fenster und auf der Straße wird an improvisierten Holzkistentheken Tee ausgeschenkt.

Abend- und morgenländisch

Ich finde es, wie Omran, auch ganz wonderful in der arabischen Sonnenallee, gleichzeitig belustigt mich der Gedanke, dass Pegida und AFD hier sehr gut ein Abschreckungs-Video drehen könnten zum Thema Islamisierung der abendländischen Sonnenallee. Diese Straße war allerdings auch schon vor der sogenannten „Flüchtlingskrise“ abend- und morgenländisch. Und trotzdem will alle Welt hier wohnen. Im Gegensatz zu den Gegenden, in denen die AFD ihre besten Ergebnisse erzielt.