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Chrissi WilkensAthen

Journalistin in Griechenland

20. 9. 2016 - 14:34

Großbrand im Flüchtlings-Hotspot Lesbos

Die Situation auf Lesbos ist angespannt. Immer wieder gibt es Proteste gegen Flüchtlinge, aber auch Spannungen zwischen den Flüchtlingen. Am Montagabend gipfelte die Situation in einem Großbrand im Flüchtlings-Hotspot.

Über 3000 Menschen mussten am Montag aus dem Flüchtlings-Hotspot im Dorf Moria auf Lesbos fliehen, nachdem im Lager ein Brand ausgebrochen war. Verletzt wurde nach ersten Erkenntnissen niemand. Laut Medienberichten hat es zuvor Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen verschiedener Nationalitäten gegeben, ausgelöst durch Gerüchte über drohende Abschiebungen Flüchtlingen in die Türkei. Am späten Abend bekam die Feuerwehr die Flammen unter Kontrolle. Die Ursachen des Feuers sind noch unklar, die Polizei geht von Brandstiftung aus. Am Dienstagmorgen hat die Polizei 18 Flüchtlinge und Migranten aus Afghanistan, Kamerun, Senegal und Syrien festgenommen. Nach ersten Schätzungen sind mehr als 60 Prozent des Lagers zerstört.

Abgebrannte Zelte

APA/AFP/LOUISA GOULIAMAKI

Viele der Flüchtlinge aus dem Hotspot in Moria haben sich in die wenige Kilometer entfernte Inselhauptstadt Mytilini aufgemacht. Rund 150 unbegleitete Minderjährige unter ihnen sind dort im selbstorganisierten Flüchtlingslager PIKPA untergekommen. In Mytilini wollen manche Einwohner die Flüchtlinge aber nicht unbedingt haben. Die Lage ist angespannt.

Flüchtlinge blicken auf Rauchschwaden aus dem brennenden Flüchtlingshotspot

APA/AFP/STRINGER

Flüchtlinge blicken auf Rauchschwaden aus dem brennenden Flüchtlingshotspot

Schon am Sonntagabend hat es in Mytilini Spannungen zwischen Rechtsextremen und linken Autonomen gegeben. Bei einer Demonstration gegen Flüchtlinge am Montag, hat eine Gruppe von 15 Rechtsextremen laut Medienberichten drei Studentinnen angegriffen. Eine von ihnen ist ehrenamtlich bei der Flüchtlingshilfe aktiv.. Eine gleichzeitige geplante Demonstration von 300 Flüchtlingen aus dem Hotspot in Moria hat die Polizei zuvor verhindert.

Mehrere Gründe für Spannungen

Leben wie im Gefängnis

Michael Bonvalots Reportage über die unzumutbaren Bedingungen im Flüchtlingslager Lesbos vom Juni 2016.

Seit Wochen fürchtet man in Lesbos, dass die angespannte Situation auf der Insel außer Kontrolle geraten könnte. Einerseits wegen des Unmuts der Einwohner, die in der heurigen Tourismussaison große finanzielle Einbußen erfahren haben, anderseits wegen den prekären Verhältnissen im überfüllten Hotspot von Moria. Flüchtlinge und Migranten, die nach der Umsetzung des umstrittenen EU-Türkei Flüchtlingspaktes am 20. März nach Griechenland gekommen sind, stellen in der Regel einen Asylantrag, damit sie nicht in die Türkei abgeschoben werden. Doch das Asylverfahren dauert lange, unter anderem wegen fehlenden Personals. Hunderte Flüchtlinge stecken deshalb monatelang auf Lesbos und anderen Inseln fest. Insgesamt sind bereits 13000 Flüchtlinge in Lagern auf den Inseln Lesbos, Kos, Chios, Leros und Samos untergebracht, obwohl die Einrichtungen nur für knapp 7500 Personen ausgelegt sind. Der Bürgermeister von Lesbos, Spyros Galinos, warnt schon seit Wochen vor der Situation. Anfang September hat er in einem dringenden Brief eine sofortige Entlastung von Lesbos um eine große Zahl von Flüchtlingen und Einwanderern gefordert.

Umgeworfene Mülleimer

APA/AFP/STRINGER

Trotz der immer noch bestehenden Solidaritätswelle wächst der Unmut auf den Inseln. Nach dem EU-Türkei-Deal im März sind zwar weniger Flüchtlinge gekommen, aber immer noch kommen Flüchtlingsboote nach Lesbos und die anderen Inseln. „Die Flüchtlinge sitzen schon sehr lange auf der Insel fest, das schafft Probleme, weil sie psychisch, körperlich und finanziell erschöpft sind”, so Bürgermeister Galinos in einem Interview mit FM4 Ende August. „Manche landen in der Kriminalität, was Sorgen in der Gemeinde erzeugt. Rechtsextreme und andere, die ihre eigenen Ziele verfolgen, stacheln die lokale Gesellschaft auf, so dass die Situation auf schlechter ist als es im vergangenen Jahr war, wo wir [mit den großen Flüchtlingsankünften] ein großes Problem hatten“.

Bilder von Flüchtlingen schrecken Touristen ab

Mehr als eine halbe Million Flüchtlinge waren 2015 über Lesbos nach Griechenland eingereist. Die Insel stand monatelang im Rampenlicht der internationalen Medien. Die Bilder der erschöpften oder gar toten Flüchtlinge gingen um die Welt und schreckten viele Touristen ab.

Urlaub auf der Fluchtstation
Dalia Ahmed über die Möglichkeit eines Urlaubs während einer humanitären Krise.

Manche Hotels im Norden der Insel blieben sogar geschlossen. Eleni, eine junge Restaurantbesitzerin, steht frustriert vor dem Laden, den sie zusammen mit ihrem Onkel in der Nähe eines Strandes betreibt. Es ist früher Nachmittag und die Tische sind fast leer. Vor einem Jahr noch war das kleine Restaurant voll mit griechischen und ausländischen Urlaubern. Jetzt überlegt sie, früher zu schließen und in Deutschland Arbeit für die Wintersaison zu suchen. „Durch dieses Bild von der Insel, das die Medien gezeichnet haben, hat sich alles geändert. Voriges Jahr gab es Arbeit. Jetzt schaffen wir nicht mal den Tageslohn. Auch im August war wenig los. Ich glaube, dass meine Insel erledigt ist“, so die junge Frau.

Laut Schätzungen sind heuer 40.000 Urlauber weniger als im Vorjahr nach Lesbos gekommen. Im August gab es nur 58 Charterflüge im Vergleich zu den 124 Charterflügen, die im gleichen Monat im letzten Jahr auf Lesbos landeten.. Andererseits hatten heuer manche Hotels unüblicherweise auch im Winter offen, um Mitarbeiterer von NGOs und Journalisten unterzubringen. Und mehrere lokale Unternehmer, die kurz vor der Pleite standen, konnten sich dank der Flüchtlinge retten. Sie haben durch Versorgungsverträge in Millionenhöhe profitiert, die seit Beginn des Flüchtlingsstroms im Mai 2013 bis jetzt geschlossen wurden..

Der Staat versucht entgegenzusteuern

Der griechische Staat und die lokale Verwaltung versuchen die Insel wieder für Urlauber attraktiv zu machen, unter anderem mit einem Urlaubsprogramm für einkommensschwache Schichten, mit Rabatten und Finanzierung von Kulturereignissen. Manche lokale Unternehmer überlegen, vom Staat Ausfallsentschädigungen zu verlangen. Giannis Samiotis, Betreiber eines Reisebüros im Hafen von Mytilini meint, dass man zu spät auf das negative Klima reagiert habe. „Man versucht zwar jetzt etwas zu machen, aber diese Saison ist bereits verloren. Es ist schwierig, ein Urlauberziel wieder auf den Markt zu bringen. Wir sind irgendwie verbittert, all die Besuche von hochrangigen griechischen und ausländischen Prominenten , haben am Ende wahrscheinlich doch nicht geholfen“, so Samiotis.

Lokale Flüchtlingshelfer machen sich große Sorgen über die angespannte Lage unter den Einheimischen. Die NGO Agkalia, die seit Jahren Flüchtlingen, aber auch bedürftigen Inseleinwohner, hilft, teilte am Montag unter anderem mit: Wir gehen durch schwierige Zeiten, wegen der Armut die wir täglich erleben. Leider, wie immer zu solchen Zeiten, werden die Schwächsten zu Sündenbocken gemacht. Eine tiefe Veränderung in der Art und Weise, wie wir denken ist nötig, damit dies nicht passiert.”

Medienberichten zufolge überlegt man, die hunderten Flüchtlinge und Migranten die nach denm Feuer nicht mehr im Hotspot von Moria untergebracht werden können, vorläufig in einem Schiff im Hafen von Mytilini unterzubringen. Zwei Einheiten der Bereitschaftspolizei sollen heute in Lesbos eintreffen, um den Bewohnern von Lesvos mehr Sicherheit zu vermitteln.