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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

19. 9. 2016 - 13:54

Herr Karl sucht das Glück

Wenn der Fragende zum Befragten wird und sich statt Antworten Lebensfragen auftun. "Weshalb die Herren Seesterne tragen" von Anna Weidenholzer ist ein lustiges und gleichzeitig beklemmendes Buch über unsere Suche nach Glück.

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Karl ist als Lehrer in Pension gegangen. Füt seine neugewonnene freie Zeit hat er sich ein besonderes Projekt vorgenommen. Er will mittels eines Fragenbogens dem Glück, oder vielmehr der "kollektiven Lebensfreude" auf die Spur kommen. Der Untersuchungsort wird per Zufall bestimmt. Sein Finger, den er über die Landkarte schweben lässt fällt auf einen schneelosen Urlaubsort irgendwo in den Bergen. Dorthin bricht er alleine auf. Seine Frau Margit nimmt er nur im Geiste mit auf die Reise.

Buchcover "Weshalb die Herrn Seesterne tragen" von Anna Weidenholzer

Matthes & Seitz Berlin

Anna Weidenholzers Roman ist im Matthes & Seitz Verlag Berlin erschienen.

Das alte Hotel Post im anonym bleibenden Ort wird für einige Wochen seine Basis, von der aus Karl versucht, Freiwillige für seine Befragung zu finden. Das Unternehmen gestaltet sich allerdings recht schwierig, und die resolute, Tarotkarten legende Wirtin und der dicke Hund Annemarie, den Gäste hier letztes Jahr vergessen haben, sind seine einzigen fixen Gesprächspartner im Forschungsalltag.

Mit den dahinschleichenden kalten Oktobertagen beginnt das ursprünglich ambitionierte Projekt nach und nach aus dem Ruder zu laufen. Karl verzettelt sich in unwichtigen Fragen, was ihn in skurrilen Gesprächen mit den Dorfbewohnern dazu zwingt, mehr und mehr von sich erzählen zu müssen. So deckt die ursprüngliche Suche nach dem Glück immer mehr Karls eigenes Unglück auf.

Wenn Fragen Türen öffnen

Die österreichische Autorin Anna Weidenholzer ist keine Unbekannte mehr. Öfter landete sie beim FM4 Wortlaut Literaturwettbewerb unter den Top 10 und ihr erster Roman "Der Winter tut den Fischen gut", ein berührendes Buch über Arbeitslosigkeit, hat durchwegs gute Kritiken bekommen. Jetzt legt sie mit "Weshalb die Herren Seesterne tragen" ihr zweites Werk vor, das um das Thema Glück kreist und damit auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2016 steht.

Portraitfoto Autorin Anna Weidenholzer

Otto Reiter

Auch diesmal ist Weidenholzers Erzählstruktur, wie in ihrem Debüt, keine klassische. Sie lässt zwei Geschichten parallel laufen. Einerseits schauen wir Karl bei seinem krampfhaftem Forschungsprojekt über die Schulter, andererseits sitzen wir mit ihm im Auto am Weg zurück zu seiner Frau Margit, die er ohne Vorwarnung für dieses Glücksprojekt zuhause zurückgelassen hat. Anfangs telefoniert das Ehepaar noch, doch als Margit nicht mehr abhebt, wälzt Karl im Kopf mögliche Dialoge mit ihr, was uns eine tiefen Einblick in die Beziehung der beiden beschert.

Weidenholzer verwebt nicht nur diese Abläufe ineinander, auch die Dialoge wechseln derart schnell mit Karls inneren Gedanken und seinen detailierten Beobachtungen, dass man sehr genau lesen und bei jedem Satz dabeibleiben muss, um ja nichts zu verpassen. Das baut eine unglaubliche Spannung auf und legt ein gutes Tempo vor.

Lesertour von Anna Weidenholzer:

  • 20.09. Buchpräsentation, StifterHaus, Linz, 19:30 Uhr
  • 24.09. Galerie Blaugelbezwettl, Zwettl, 19:00 Uhr
  • 28.09. Buchpräsentation, Literaturhaus, Wien, 19:00 Uhr
  • 04.10. Österreich liest. Treffpunkt Bibliothek, Literaturmuseum, Wien, 17:00 Uhr

Die Einblicke, die wir in Karls Gehirn bekommen sind zum Teil sehr komisch, wenn er sich zu den alltäglichen Beobachtungen des dörflichen Lebens kuriose Fragen stellt. Denn durch seine Befragungen gewinnt er Einblicke in das Leben eines Holzfetischisten oder eines Sommerliebhabers, der in seinem Keller einen künstlichen Strandurlaub simuliert. Gleichzeitig steigen mit fortlaufender Geschichte immer mehr Karls eigene Probleme an die Oberfläche und zwingen ihn dazu, sein eigenes Leben zu reflektieren und sich selbst die Glücksfragen beantworten zu müssen.

Mit "Weshalb die Herrn Seesterne tragen" fühlt Anna Weidenholzer dem Thema Glück gehörig auf den Zahn. Sie bohrt tief und trifft mit den scheinbar alltäglichen Geschichten ihrer ProtagonistInnen den Nerv einer recht zerrütteten Gesellschaft, in der manche die Suche nach dem Lebensglück abgebochen, andere sich gar nicht auf diese Reise begeben haben. Immer wieder schimmert aber durch, dass der Anti-Held Karl eigentlich genau weiß, wo sein Glück zuhause ist. Ein sehr dichter, in seiner Schlichtheit doch komplexer und sehr nachdenklicher Roman, der durch seine Fragen viele Türen aufstößt und offen lässt, auch die, weshalb die Herren nun Seesterne tragen.