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Christoph Sepin

Pixel, Post-Punk, Psychedelia und sonstige Ableger der Popkultur

13. 9. 2016 - 16:21

Shut up and play the clips

Von "Searching for Sugar Man" bis "Some Kind of Monster": Was an Musikdokumentationen so faszinierend ist.

Diese Woche erscheint der Film "The Beatles: Eight Days A Week" in den Kinos, eine Dokumentation, in der Regisseur Ron Howard der Band aus Liverpool durch ihre Karriere folgt. Über vierzig Jahre nach der Trennung der Fab Four stellt sich hier die Frage, ob so ein Projekt nicht einfach nur eine Geschichte ist, die schon unzählige Male erzählt worden ist.

Dabei kann es gerade die filmische Form der Musikdokumentation schaffen, auf verschiedenste Arten neue Einblicke in altbekannte Themen zu bieten - auch im Fall der eigentlich schon ganz gut dokumentierten Beatles.

The Beatles Eight Days A Week

Apple Corps Ltd.

Human after all

Die Musikdoku kann etwas Einzigartiges zeigen, eine Welt, die sonst versperrt bleibt: Sie lässt hinter die Bühne blicken, herausfinden, wie die Lieblingsband abseits vom Rampenlicht drauf ist oder eine Band, die man noch gar nicht so gut kennt einmal näher vorstellen.

Darin liegt ein großer Teil der Faszination von Musikdokumentationen: Musiker und Musikerinnen werden zu Menschen gemacht, nehmen ihre Masken ab und geben seltene Einblicke in ihr Leben. Dave Grohl live on Stage, das ist ein anderer Dave Grohl als der, der leicht konservativ angehaucht in seinem Film "Sound City", über die technischen Vorteile alter Musikstudios fachsimpelt. James Murphy in "Shut Up and Play the Hits" beim Rasieren im Hotelzimmer zuzusehen, ist ein komplett anderer Einblick in sein Leben, als den Musiker mit LCD Soundsystem auf der Bühne zu sehen.

Was einerseits droht in den Voyeurismus abzudriften, schafft es im Idealfall, einen neuen Blickwinkel, neuen Kontext für das Schaffen des Musikers zu bieten. Im Jahr 2004 entstand auf dieser Idee aufbauend eine der bis heute bekanntesten Band-Dokus, eine Repräsentation des Extremfalls: "Some Kind of Monster", die Doku über die Altersschwäche zeigenden Metallica, in der die Metalband während der eigenen Identitätskrise von den Filmemachern Joe Berlinger und Bruce Sinofsky beim Beinahe-Auseinanderbrechen gefilmt wird.

In seinem schwächsten Moment wird darin das zerbrechliche Konstrukt "Rockband" präsentiert, die Streitereien, die Egos, der Stress, der entsteht, wenn ein Haufen starker Persönlichkeiten in einem Studio zusammengeworfen werden und zwangsweise kreativ sein müssen. Dass diese Zerbrechlichkeit gerade an einem starren Rock-Monstrum wie Metallica demonstriert wird, ist die Stärke des Films: diese Widersprüchlichkeit zwischen unantastbarem Rockstar und verletzlichem Menschen zu zeigen und damit die fiktive Popstarpersönlichkeit zu entzaubern.

Neues Entdecken

Musikdokus können aber auch inspirieren und neue musikalische Welten vorstellen. In "Searching For Sugar Man" macht sich ein Team von südafrikanischen Filmemachern auf die Spur des verschollenen Musikers Sixto Rodriguez. Was im Endeffekt nicht nur zu einem kompletten Neustart der Karriere des Musikers führte, sondern zahlreichen Menschen die Lieder des Künstlers erst vorstellte.

Außerdem gibt die Musikdoku dem Musiker und der Musikerin die Möglichkeit, viel mehr Kontrolle über die eigene Botschaft zu haben als das beispielsweise in Interviews möglich wäre. Dadurch können besonders schwierige Themen, wie der Unfall von Nick Caves Sohn im gerade erschienenen "One More Time With Feeling" oder die Lyme-Disease-Erkrankung von Bikini Kill-Gründerin Kathleen Hanna in der Doku "The Punk Singer" mit der notwendigen Sensibilität näher gebracht werden.

Im Idealfall werden Musikdokus auch zu mehr als nur einfacher Katalogisierung von Bandkarrieren und unabhängig davon zu spannenden und unterhaltsamen Filmen. Humor ist wie so oft das Salz in der Suppe, das eine zugängliche Annäherung an die Komplexität der tourenden Band bieten kann. "Anvil! The Story of Anvil", das Erstlingswerk des Regisseurs Sacha Gervasi beispielsweise erzählt die faszinierende und teilweise tragische Geschichte einer der ganz großen vergessenen Heavy Metal-Bands. Der es auch wie Sixto Rodriguez gelang, nach der Veröffentlichung des Films einen Karrierereboot hinzulegen.

Ein persönlicher Favorit ist und bleibt die geniale Dokumentation "Dig!", einer der empfehlenswertesten Filme mit und über Bands drin. Ondi Timoners Doku erzählt über sieben Jahre hinweg die Geschichte der Dandy Warhols und Brian Jonestown Massacre und von der Hassliebe zwischen den jeweiligen Frontmännern Courtney Taylor-Taylor und Anton Newcombe. Es ist ein Film, der es schafft, die oben genannten Punkte in einem Feature zusammenzufassen: Humor, Intimität, Drama, Offenbarungen. Und damit eine hervorragende Möglichkeit zum ersten Mal in das großartige Genre der Musikdokumentation einzutauchen.