Erstellt am: 9. 9. 2016 - 15:47 Uhr
Das Unbeschreibliche beschreiben
An der Bar im Wiener Gartenbaukino gab es am Donnerstag ein Getränk namens "The Weeping Shot". Eventkino ist das. Und eine Anspielung auf die (fast) einmalige Vorführung von "One More Time With Feeling", der neuen Dokumentation über und mit Nick Cave. In ausgewählten Filmhäusern wurde der Film gestern Abend ausgestrahlt, ins reguläre Programm kommt die Produktion von Regisseur Andrew Dominik aber nicht. Zusatzvorstellungen gibt es nur mehr am Samstag, ausverkauft sind aber auch die großteils schon. Denn die Geschichte, die der Film versucht zu erzählen, möchte nicht versäumt werden.
Der Song zum Sonntag: Nick Cave & The Bad Seeds - "Jesus Alone"
"One more time with feeling" bei den Filmfestspielen in Venedig
"One More Time With Feeling" könnte einfach als Momentaufnahme der Produktion von "Skeleton Tree", dem heute erscheinenden neuen Album von Nick Cave & The Bad Seeds gesehen werden. Als eine Geschichte über das gemeinsame Machen von Musik, über langes Warten in Studios, über das Experimentieren und Improvisieren. Viel mehr ist das aber ein Film über das Trauern geworden, über das Trauma und den Verlust. Wenn die Welt sich plötzlich verändert, für immer, und man als Mensch darin erst wieder seinen neuen Platz finden muss. Über den Unfalltod von Nick Caves Sohn Arthur im Juli 2015 und die Familie, die nach diesem schrecklichen Ereignis für immer zerrissen bleibt.
Eine reguläre Promotour für "Skeleton Tree", mit Journalisten im Raum zu sitzen und Interviews zu führen, wäre unmöglich gewesen. Trotzdem soll den Menschen, denen Nick Caves Musik nahegeht, eine Art Erklärung gegeben werden. Wo sind wir jetzt und wie geht es weiter? Was passiert in Nick Cave in den Momenten im Studio, wenn die geschriebene Musik zu gespielter Musik wird? Wenn aufgenommen wird, verpackt und auf CDs gepresst? "One More Time With Feeling" vermittelt mit seiner intimen, vorsichtigen Annäherung an das Leben der Cave-Familie einen besseren Einblick in die Welt des Albums, als es jegliches Interview tun könnte.
Das Unbeschreibliche beschreiben. Das scheint "One More Time With Feeling" zu versuchen, das scheint "Skeleton Tree" zu versuchen. Mit der Musik, mit den Bildern, den Schwarz-Weiß-Aufnahmen und den 3D-Kameras. Den Bildern aus den Straßen Brightons. Den Drohnenaufnahmen von London. Und der Stille. Der Leere, die bleibt, wenn etwas verschwindet und damit für immer fehlt. Denn die Dinge, die am stillsten sind, die haben oft das meiste Gewicht in unserem Leben.
One more time with feeling, Nick Cave, Filmfestspiele Venedig
Zeit fühlt sich irgendwie elastisch an heutzutage, sagt Nick Cave irgendwann im Film. Wie ein Gummiband ist man an diesem zentralen Punkt befestigt, dieser Leere, diesem Vakuum in der Mitte, das plötzlich und brutal die Welt aufgerissen hat. Und das Leben geht weiter, man bewegt sich weg von der Leere, irgendwann spannt das Gummiband aber durch und man wird zurückgeschleudert. Zurück ins Trauma und das Vakuum. Das Universum hat sich verändert und wird niemals wieder so sein, wie es mal war.
"Skeleton Tree" ist ein Album, das sich nur selten aus der Stille hinausbewegt. Athmosphärische, weite musikalische Oberflächen liegen wie Nebel vor Nick Caves Piano, vor den vorsichtig auftauchenden Percussions. Und darüber ruht der Boatman's Call, Nick Caves Stimme. Lamentierend, erklärend, erzählend. Der größte Storyteller, unterstützt von der besten Band. Und vor allem seinem treuen Handlanger, Warren Ellis. "I don't know what I would do without Warren", sagt Nick Cave einmal in "One More Time With Feeling" als Stimme aus dem Off. Als das Voice-Over seiner eigenen Gedankenwelt, das uns erklärt, was gerade in seinem Kopf vorgeht, als er da ruhig in die Leere starrend vor seinem Piano sitzt, während um ihn herum Kameras und Instrumente aufgebaut, verkabelt und verschoben werden.
Nick Cave
"Skeleton Tree" von Nick Cave & The Bad Seeds ist auf Bad Seed Ltd erschienen.
Eine minimalistische Platte ist "Skeleton Tree" geworden. Eine, auf der der Microkorg mit seinem simplen Old-School-Elektroniksound zu einem der wichtigsten Instrumente wird, wenn er da auf Warren Ellis' Schoß trohnt. Eine, die überrascht, wenn da plötzlich das vertraute Anspielen von Gitarrensaiten im Mix auftaucht, so rar ist das Instrument darauf. Ein Album, das, wie der Film dazu, im Endeffekt keine Lösungen bietet. Keine Erklärungen und keine Conclusio. Diese Geschichte hat nicht einfach ein Ende, genausowenig wie einen Anfang. Es ist einfach, was es ist, der Film ist, was er ist, das Album ist, was es ist. Und das ist genug, weil es echt ist. Denn im echten Leben, da fehlt der Narrativ, die einfache Geschichte mit Anfang und Ende genauso.
"Nothing really matters, when the one you love is gone", singt Nick Cave auf "I Need You". "But still, baby, I need you. In my heart I need you." Was bleibt, ist das, die Liebe und sich gegenseitig zu brauchen. Und füreinander da zu sein. Wenn die Welt sich einfach nicht mehr so simpel erklären lässt. "Skeleton Tree" ist ein Album voller Trauer, voller Schönheit und voller Liebe. Ein Album über Sonnenaufgänge und Sonntagmorgen am Fensterbrett. Über regennasses Haar und die Welt, der man beim Älterwerden zusieht. Persönlich, zerbrechlich, wunderschön.