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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

31. 8. 2016 - 16:34

Refugees welcome?

Viele fühlten sich vor einem Jahr als FluchthelferInnen. Ist die Solidarität inzwischen einer Skepsis gewichen? Das Jahr nach der sogenannten "Flüchtlingskrise".

Im FM4 Shop gibt es auch das Refugees Welcome-Shirt

Deichkind tragen sie nach wie vor. Die T-Shirts mit dem Aufdruck "Refugees Welcome" und jetzt hat die Band auch Jogginghosen mit demselben Slogan in ihrer Merch-Kollektion. Vor einem Jahr helfen ÖsterreicherInnen am Wiener Westbahnhof ankommenden Geflüchteten. Durch die unmittelbare Solidarität kommt auch Jubel auf, als am 31. August in Wien die Züge aus Budapest mit Flüchtlingen einfahren. Viele nehmen sich als Fluchthelfer wahr. Wenige Tage später wird der damalige Vorstandsvorsitzende der ÖBB-Holding AG, der Manager Christian Kern in Interviews sagen: "Dies ist nicht die Zeit für Dienst nach Vorschrift". Heute ist Kern der österreichische Bundeskanzler, er spricht sich für Hilfsprogramme in Herkunftsländern aus und für die Rückführung von Bootsflüchtlingen in sichere Herkunftsländer. Alle Fluchtwilligen auf griechischen Inseln zu sammeln, würde auf Dauer nicht gehen, so der Bundeskanzler. Bloß: Was ist ein sicheres Herkunftsland? Noch gibt es keine gemeinsame Liste aller EU-Mitgliedsstaaten, die sichere Herkunftsländer ausweisen würde.

Deichkind

Patrick Wally

Ein Banner mit der Aufschrift "Refugees Welcome! Wir schaffen das!" hängt auf einem Balkon eines alten Hauses

KUPF Kulturplattform OÖ

Demontage eines politischen Statements: Mehrfach wurde das Transparent der Kulturplattform Kupf in Linz von Unbekannten beschädigt und letzte Woche gestohlen.

Im Februar 2016 geht ein neues Grenzmanagement in Spielfeld in Betrieb. Die Grenzkontrollen bei Freilassing sind zum Standard geworden, SalzburgerInnen haben sich an Staus gewöhnt. Im März einigt sich die Europäische Union mit der Türkei auf einen Flüchtlingsdeal. Die private internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen will diese europäische Flüchtlingspolitik nicht länger mittragen. Im Juni erklärt Ärzte ohne Grenzen, bis auf Weiteres keine Gelder der EU oder derer Mitgliedsstaaten mehr anzunehmen: Der EU-Türkei-Deal würde als humanitäre Hilfe angepriesen, aber das Leiden auf Inseln zu verstecken sei alles andere als humanitär.

An die Auslagerung der Flüchtlinge auf Inseln denkt auch Österreichs Außenminister Sebastian Kurz. Die Rettung aus dem Mittelmeer dürfe kein Ticket nach Mitteleuropa bedeuten, äußerte sich Kurz, nachdem er Australien als Vorbild in der Flüchtlingspolitik genannt hatte.

Entgegen jahrelanger massiver Kritik von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International hat Australien Auffanglager für Bootsflüchtlinge auf den Pazifikinseln Nauru und Manus. Einer der auf Manus Inhaftierten ist der 24jährige Iraner und Cartoonist Ali Dorani aka Eaten Fish. Australische CartoonistInnen zeichnen seinen Zustand. Am Wochenende gingen Tausende AustralierInnen auf die Straßen ihrer Städte (#BringThemHere, #CloseTheCamps), um gegen die Asylpolitik ihrer Regierung zu protestieren. Die Mehrheit der Bevölkerung der einstigen EinwandererInneninsel jedoch - 1787 hat man mit der Verschiffung von Sträflingen begonnen - billigt die seit 2014 auch beworbene "No Way - You will not make Australia home"-Einstellung.

Zurück in Europa haben rechtsextreme Gruppierungen diesen Slogan übernommen. Die sogenannte Balkanroute gilt seit Monaten als "geschlossen". Wo im Sommer des Vorjahres tausende Flüchtlinge zu Fuß unterwegs waren oder lagerten, ist diesen Sommer wieder Alltag. Etliche europäische Länder errichteten Zäune. Auch im hohen Norden grenzt man sich jetzt ab: "Norwegen baut einen Zaun in der Arktis" ist ein wuchtiger Titel, zu bestehenden hölzernen Rentierzäunen rollen die NorwegerInnen Draht aus. In Spanien ließ der Bürgermeister Barcelonas an der Strandpromenade ein Mahnmal errichten, das den ertrunkenen Menschen im Mittelmeer gedenkt.

Hierzulande stellten in diesem Jahr bis Ende Juli 28.765 Menschen Antrag auf Asyl, 24.260 Personen wurden zum Verfahren zugelassen. Erschreckend ist eine andere Zahl: Hunderte Flüchtlingskinder sind in Österreich verschwunden.

272.070 MigrantInnen erreichten Europa über das Meer seit Jahresbeginn bis Ende August.
3.165 Personen starben bei ihren Fahrten bzw. werden vermisst. So die Zahlen der International Organisation For Migration

Verändert hat sich die Sprache. Selbst in Kultursendungen spricht eine Moderatorin von "Flüchtlingsströmen oder mittlerweile regulierten Flüchtlingsströmen". Kriege sind keine Naturkatastrophen und Menschen kein Wildwasser. Mit Sprache macht man Politik. Die Forderung nach #safepassage, nach sicheren Fluchtwegen, wird von wenigen getragen. Vielleicht ist das Mittelmeer zu fern. Konkret hieße #safepassage etwa die Forderung des Bürgermeisters von Lesbos vom letzten Winter umzusetzen: Flüchtlinge sollten mit den Fähren aus der Türkei sicher nach Griechenland gebracht werden, äußerte sich Spyros Galinos. Durch den Deal zwischen der Türkei und der EU ist die Aussage hinfällig geworden. An die 3.600 gestrandete Flüchtlinge sind jetzt noch auf Lesbos, die meisten von ihnen in Lagern im Hinterland. Die InselbewohnerInnen ringen um TouristInnen.

Vor einem Jahr war der unvorstellbare Horror auf einer Parkbucht der A4 bei Parndorf abgestellt worden: 71 Flüchtlinge, Erwachsene und Kinder, waren in einem Schlepper-Lkw erstickt. "Wochenlang waren seine Kinder auf der Flucht. Nur knappe vier Stunden dauert der Flug der Särge zurück in den Nordirak", hält die ARD-Doku "Erstickt im Lkw" fest.

Ab und an verursacht ein Mensch in existentieller Not ohne Zutun virales Entsetzen. Zum Beispiel das Zwillingsbaby, das vor fünf Tagen auf die Welt gekommen ist und am Montag mit seiner Mutter, dem Geschwisterchen und hunderten anderen aus der Seenot gerettet und an die italienische Küste gebracht worden ist. Oder der fünfjährige Bub, dessen Foto und Video durch die Social-Media-Welt ging. Von zerbombten Gebäudeteilen komplett angestaubt und mit einer blutüberströmten linken Gesichtshälfte sitzt er in einem Rettungswagen. So zeigen ihn die Aufnahmen.

Vielleicht war es sein Haarschnitt, sein T-Shirt mit einer Nickelodeon-Cartoon-Figur oder seine zaghaften Bewegungen, die rührten. Oder die sich sofort aufdrängende und unausweichliche Frage, ob ein Elternteil noch am Leben sei, um den Buben zu umarmen - das schreibt Anne Barnard von der New York Times in einer Reflexion über das Pressefoto aus Syrien. Wir Menschen wünschen uns Happy Ends, so sehr. Über den Tod des zehnjährigen Bruders des fünfjährigen Syrers berichteten nur wenige Medien. Soll man auf den Link klicken? Wem hilft das dann? Der deutsche Kriegsfotograf Christoph Bangert sagt: "Es sind ja nur Abbilder und wir müssen uns damit beschäftigen. Wir müssen uns bewusst machen, dass es Menschen gibt, die dieses Leid und diese Schrecken und diese Kriege durchlebt und überlebt haben".

Und das vergisst man hierzulande sehr leicht, wenn Geflüchtete im Park Fußball spielen oder Musik machen. Was aus Kriegsgebieten Geflüchteten in ihren Herkunftsländern widerfahren ist oder sie getan haben, erfahren vielleicht jene, die therapeutische Unterstützung anbieten. Das ist ein Punkt, an dem der Wunsch, selbst zu helfen, für Laien enden muss. Ich bin keine Sozialarbeiterin. Ich kann die Frustration erwachsener Männer nur erahnen, die ihre Familien in Syrien wissen und hier in Österreich nicht noch ein weiteres Kunstprojekt probieren, sondern wissen wollen, ob sie bleiben können. Aber die österreichische Rechtslage ist nun mal restriktiv, was die Beschäftigung von AsylwerberInnen betrifft (tatsächlich: Prostitution ist eine der Tätigkeiten, die Menschen im Asylverfahren zugebilligt wird). Wenn aus Schützlingen wieder erwachsene Individuen werden, die ihre Rechte kennen und einfordern, verringern sich Anteilnahme und Sympathie erstaunlich schnell.

Installation, die den Tod syrischer Demonstranten mahnt, am Berliner Tempelhofer Feld 2012

Maria Motter

Ai WeiWei ist nicht alleine: Seit 2012 ist der Krieg in Syrien Thema in der Kunst. Der steirische herbst hat sein Leitmotiv für dieses Jahr mit Merkels Ausspruch "Wir schaffen das." festgelegt.

Professionelle Unterstützung und Hilfe für Geflüchtete ist gefragt und diverse Organisationen bekamen genau dafür in den vergangenen Monaten Aufträge seitens der Bundesländer. Und zwar gibt es im Idealfall auch eine Anlaufstelle für die heimische Bevölkerung. Wenn eine Mutter ihrer neunjährigen Tochter das Radfahren verbietet und bei Freibadbesuchen Angst um sie hat, darf das nicht abgetan werden. Differenzierte Auseinandersetzungen fehlen leider vielerorts. Schnell ist ein Vorurteil gefällt und zwar ebenso durchaus seitens jener, die sich geflüchteter Menschen annehmen. Das geht bis hin zu positivem Rassismus, wenn vorauseilend Bedenken geäußert werden, wie dies oder das auf den Flüchtling wirken könnte. Dass eine Geburtstagsfeier einer lesbischen Bekannten einen syrischen Mann verstören könne. Oder wenn eine Religion plötzlich verklärt wird. Integration darf nicht einseitig sein.