Erstellt am: 1. 9. 2016 - 06:00 Uhr
Heuschrecken im Bauch
Das Grazer Quartett Hella Comet liebt das laute Fiepen, wenn aus den voll aufgedrehten Verstärken das kreischende Feedback durch die Studio- oder Bühnenluft der Clubs schneidet. Für Gitarrist Franz ergeben diese mit Liebe fabrizierten, lärmigen Geräusche einen besonderen Wohlklang.
Davon gibt es bei der Eröffnungsnummer "Secret Body Nation" eine ganze Menge. Die ersten Sekunden vom neuen Album "Locust Valley" gehören ganz dem glitzernden Gitarrennoise, dem hintergründigen Brodeln des punkigen Rock'n'Rolls. Zumindest bis das wuchtige Schlagzeug einsetzt und die Stimme von Bassistin Lea die gewaltigen Klangwände hochklettert. Im nächsten Moment sind plötzlich nur mehr Schlagzeug, Bass und Voclas zu hören, eine nicht nur für die Ohren wohltuende Überraschung.
Alle FM4 Soundpark Acts des Monats findet ihr hier.
So ist nach den ersten vier Minuten ihres neuen Werks klar, dass Hella Comet derzeit die spannenste und ungewöhnlichste Noisepopband Österreichs ist.
David Visnjic
Im Tal der Heuschrecken
Schon auf ihrem letzten Album "Wild Honey" haben Hella Comet trotz aller Experimentierfreude nicht auf den Pop-Appeal vergessen. So durchziehen den vielleicht etwas lärmigeren Nachfolger auch viele sehnsuchtsvolle Melodien, die jedes Indie-Musikherz höher schlagen lassen.
Hella Comet live in Österreich:
- 17.09. Linz, Stadtwerkstatt mit The Striggles
- 30.09. Wien, WUK im Rahmen des Waves Vienna Festivals
- 01.10. Graz, Niesenberger mit Scarabeusdream, Elektro Guzzi
So wird die träge Atmosphäre von dem genialen Stück "Midsummer Heat" durch die akustische Gitarre abgefangen, die sich im Hintergrund fast durch die ganze Nummer spielt. Das Schlagzeug lässt die Schwere der sommerlichen Hitze erahnen, wobei der Schweiß durch die luftige Gitarrenbrise getrocknet wird. Wenn dann noch bei einem choralen, verhallten Gesangsteil Leas Stimme überall im Klangraum zu sein scheint, ist man an legendäre Shoegaze- und Indierockbands der 1990er erinnert. Wie dem immer noch unglaublich frischen "Watersounds" der Norweger Motorpsycho.
Aber all die möglicherweise aufkommenden Referenzen macht das Quartett sofort wieder zunichte, wenn man sich das brachiale, nicht einmal zweiminütige Punk-Tanzstück "43goes79goes43"anhört. Das mit Breaks durchsetzte eigenwillige Arrangement lässt die Genialität der einzelnen Songteile immer nur kurz aufblitzen, um sie dann gleich wieder zu dekonsturieren. Es ist das gewohnte Spiel von Hella Comet, sich den eigenen Vorlieben und Erwartungshaltungen immer wieder zu entziehen.
Selbst die erste Single "Swim" mit ihrem beschwingten Beat, den zupackenden Gitarren, die einen Refrain vermuten lassen, und dem flockigen Pop-Part, der an eine Strophe denken lässt, bricht in der Mitte mit unseren Hörgewohnheiten - bis sie fast ganz in sich zusammen fällt und wechselt anschließend in einen halb so schnellen Rhythmus voller Düsternis. Da fragt man sich: Wie schaffen sie es bloß wieder zurück zu dem Song, mit dem sie vor gerade mal zwei Minuten angefangen haben?
Im Labyriths der Farben
Neu ist bei Hela Comet, dass sie diesmal in einem großen Studio in Berlin mit Techniker und Produzenten aufgenommen haben. Alt ist, dass sie sich bei ihrem Sound und den Tracks nicht hineinreden haben lassen. Schließlich ist die Arbeitsweise der Grazer Noisepopper eine extrem intuitive und assoziative. Bei der Entstehung der Songs und der Texte folgen die Vier einem Gefühl, einem Klang, einer Stimmung, die sich auch als Farbe ausdrücken kann. So fühlt sich der knallige, schnelle Monstertrack "Dead Match Figure" für Franz orange an, während der ambiente Poptrack "Fortunate Sleepers" das Gefühl eines tiefen Grüns wiedergibt.
Hella Comet/Noiseappeal Records
Das sind Momente des Anstoßes, in andere musikalische Richtungen zu gehen, mit Ideen zu spielen und in neue Gefilde vorzustoßen. Hella Comet wollen sich immer wieder selbst überraschen. Zu Beginn jeder Albumproduktion bauen sie mit ihren Soundskizzen ein neues Labyrinth, durch das sie wandeln und im Vorhinein nicht wissen, an welcher Stelle sie wohl wieder hinausfinden. Klarerweise belügen sich hier die vier MusikerInnen, schließlich entwerfen sie selbst diese musikalischen Gänge. Und trotzdem hilft das Loslassen und das aus Reflexion geborene Niederreißen von unbewussten Mustern und Gewohnheiten, um Neues entstehen zu lassen und dem wichtigsten zu Folgen: dem Bauchgefühl.
So ist "Locust Valley" erneut ein wilder Ritt durch einen verzerrten, dicht gewobenen Klangkosmos mit vielen Falltüren, komplexer Intensität, überraschenden Pop-Lichtungen und magischer, geheimnisvoller Atmosphäre. Ein Album, das bei jedem Hördurchgang immer mehr gewinnt und nie langweilig wird. Ein rockiges Album, das so selbstverständlich mit popmusikalischer De- und Konstruktion umgeht, dass es eine große Freude ist.