Erstellt am: 18. 8. 2016 - 09:24 Uhr
Summer of 1987
Weg mit den "guilty pleasure"-Spinnweben und Blick frei auf die (körper-)politischen Untertöne von Baby und Johnny. (Text von 2012, anlässlich des 25. Geburtstages von "Dirty Dancing"
„Big Girls don’t cry“ ertönt aus dem Autoradio und auf dem Rücksitz sitzt eine 17jährige, die nicht nur „Baby“ genannt wird, sondern auch wie eines behandelt wird. Das wird sich in diesem Sommer ändern. Es ist der Sommer des Jahres 1963, John F Kennedy ist Präsident und so hoffnungsfroh und idealistisch wie die USA ist auch Baby (Jennifer Grey).
columbia tristar
Summer of...
Summer of... - Pictures, Pop and other Postcards from the Past: Ein Blick zurück auf umwälzende Sommerereignisse, die den Lauf der Popkultur(-Industrie) nachhaltig verändert haben. Im Sommer 2016 auf FM4.
Auch wenn man im Blick zurück Filme wie "Working Girl" oder "Alien" als große Schritte in Sachen Repräsentation von Frauen in Hollywood-Filmen heranziehen kann, so sind auch in den 1980er Jahren weibliche Hauptfiguren auch eher eine Seltenheit. Noch dazu eine, die vom Drehbuch gut behandelt wird. Und dann ist Baby auch noch eine, die nicht gerade wie die klassische Home Coming Queen aussieht. Mit zerstruwelten Haaren, einer gewissen Ungelenkheit und einem stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn nimmt „Dirty Dancing“ hier eine Figur vorweg, die das amerikanische Indie-Kino der 00er Jahren dominieren wird: Das quirky Mauerblümchen. In diesem Sommer im Ferienressort - beim gemeinsamen Urlaub mit den Eltern und der großen Schwester - wird sich Baby ein bisschen verlieben, zum ersten Mal Sex haben und sich vor allem aber von ihrer Rolle als „Daddy’s darling“ emanzipieren. Weil eine Tänzerin - die Tänzer sind fürs Unterhaltungsprogramm im Ressort zuständig - ausfällt, springt Baby ein. Tänzer und Teilzeit-Gigolo Johnny - gespielt von Patrick Swayze - wird - zunächst eher unwillig - ihr Tanzpartner. Aus dem Tollpatsch wird durch das Tanztraining eine Frau mit Körperbeherrschung, aber das hier ist nicht eine weiteres Märchen über ein hässliches Entlein, das zum schönen Schwan wird.
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Viel mehr als eine Romanze ist Emile Ardolinos „Dirty Dancing“ nämlich eine coming of age Geschichte. Eine mit politischen Untertönen: Fast nebenbei erzählt der Film auch davon, dass Abtreibungen in den USA vor dem Jahr 1973 illegal waren. Den Abtreibungs-Strang hat Drehbuchautorin Eleanor Bergstein so fest in der Geschichte verankert, dass man ihn nicht rausschneiden konnte. Geldgeber springen ab, Pennys Schwangerschaftsabbruch bleibt drin.
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Noch bemerkenswerter ist allerdings fast, wie „Dirty Dancing“ den traditionell „männlichen Blick“ des Kinos umdreht. Hier weidet sich die Kamera - Babys Blick folgend - an Johnnys durchtrainiertem Körper. Wenn Johnny und Baby schließlich miteinander im Bett landen, dann nur, weil die junge Frau die Initiative ergriffen hat. Hier ändert sich nicht - wie so oft im Film - eine Frau für einen Mann, sondern Johnny macht durch Baby eine Verwandlung durch. Und hat keine Scheu, sie in die Welt - oder zumindest ins Ferienressort - rauszuposaunen.
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Und während Baby und Johnny tanzen, erzählt „Dirty Dancing“ auch noch von der Zwei-klassen-gesellschaft. Präsentiert die Ferienanlage mit den Urlaubern aus der oberen Mittelschicht und den Tänzern als Verkörperung der Arbeiterklasse als gesellschaftlichen Mikrokosmos. Nur in einer fast märchenhaften Schlusssequenz werden die Klassenunterschiede aufgehoben, dann nämlich, wenn alle tanzen. Denn im Tanz, da verortet „Dirty Dancing“ auch die Rebellion. Doch spektakulärer als sämtliche Hebefiguren und Mambo-Schritte sind die feministischen und körperpolitischen Untertöne des Films.