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Pia Reiser

Filmflimmern

16. 10. 2012 - 11:26

Baby loves Mambo

Weg mit den "guilty pleasure"-Spinnweben und Blick frei auf die (körper-)politischen Untertöne von Baby und Johnny. Alles Gute zum 25. Geburtstag, "Dirty Dancing".

Wenn Zooey Deschanel in der ersten Folge von "New Girl" verkündet, sie sei herzgebrochen, am Boden zerstört und werde nun "Dirty Dancing" am laufenden Band schauen, dann muss nich viel weiter erklärt werden. Man kennt sich aus, selbst wenn man "Dirty Dancing" nicht gesehen hat, wird man das Gefühl haben, man hat ihn gesehen. Es gibt erstaunlich wenig Filme, die so sehr als Allgemeingut angenommen werden können, dass man auf sie verweisen und sie zitieren kann. Bei "Star Wars" funktioniert das, oder eben bei "Dirty Dancing". Wie praktisch und logisch also, dass "Dirty Dancing" auch als das "Star Wars für Mädchen" in die Filmgeschichte eingegangen ist.

  • Lese-Empfehlung: Hannah Pilarcyk (Hrgs) - "Ich hatte die Zeit meines Lebens". Über den Film "Dirty Dancing und seine Bedeutung"

Zum 25. Geburtstag wird bei der Geschichte von Baby und Johnny am Rezeptionsrad gedreht. Ganz ohne Häme oder Dünkel nähern sich nun Bücher und Feuilleton dem Film, entfernen die ironischen "guilty pleasure"-Spinnweben und machen den Blick frei auf die (körper-)politischen Untertöne des Box Office Wunders.

columbia tristar

Coming of Age

Wer den Film noch nie oder schon lange nicht mehr gesehen hat, aber die Bilder noch im Kopf und das klebrige "Hey Baby" noch im Ohr hat, der verbucht "Dirty Dancing" vielleicht als Liebesschnulze. "Dirty Dancing" ist aber vielmehr die Coming-Of-Age-Geschichte von Frances "Baby" Houseman, die mit ihren Eltern und einem ordentlichen Vaterkomplex den Sommer 1963 in einer Ferienanlage in den Catskill Mountains verbringt. Mit zahlreichen anderen jüdischen Familien des oberen Mittelstandes. "Dirty Dancing" Drehbuchautorin und Co-Produzentin Eleanor Bergstein, die eigene Erinnerungen in dem Film verarbeitet hat, meint, es sei eindeutig ein jüdischer Film, "If you know what you’re looking at." Und weiter: "Milk and meat are never served in the same scene."

Jennifer Grey in "Dirty Dancing"

columbia tristar

Im Kellerman Resort findet man einen gesellschaftlichen Mikrokosmos mit "Pars Pro Toto"-Deutungspotential. Baby verkörpert US-amerikanischen, Prä-Kennedy-Attentat- Idealismus und der hält der echten Welt im vermeintlich idyllischen Ferienresort beinahe nicht stand. "Dirty Dancing" entwirft ein originell gestricktes Zwei-Klassen-System, mit Tänzern als Vertreter der Arbeiterklasse. Die werden mit Verachtung gestraft vom schmalschultrigen und schleimigen Hotelerben bishin zum Service-Personal. Das rekrutiert sich aus preppy Ivy League Boys, die Ayn Rands "The Fountainhead" lesen und nach dem Prinzip "Some people count, others don't" leben. Sie werden auch angewiesen, sich besonders nett um die hässlichen weiblichen Gäste zu kümmern.

patrick swayze in "dirty dancing"

columbia tristar

Der Blick auf Johnny

Dabei haben die weiblichen Gäste ohnehin schon ein Auge auf jemanden geworfen, der trägt aber nicht die stattliche Kellner-Uniform, sondern ein Outfit, das Underdog brüllt. Mit Sonnenbrille, engem Shirt und Lederjacke taucht Tänzer Johnny Castle (Patrick Swayze) auf und raubt Baby den Atem. Dem Nebenerwerbs-Gigolo drücken die gelangweilten Ehefrauen schon mal ihre Zimmerschlüssel in die Hand und buchen ihn für Spezialstunden. Sexuelle Avancen, die Annahme der Käuflichkeit und vor allem Blicke voller Begehren auf den trainierten Körper kennt man aus dem Kino meistens nur angewandt auf Frauen. Der männliche Blick, den die feministische Filmtheoretikerin Laura Mulvey, dem Mainstream Hollywood-Kino, diagnostiziert hat, den verweigert "Dirty Dancing".

patrick swayze in "dirty dancing"

columbia tristar

Hier ist es Baby, der es die Castle'schen Muskeln angetan haben und an der sich die Kamera weidet. Ihr Körper steht nur in einer Montage im Mittelpunkt. Als sie das Tanztraining beginnt, passiert in dieser Montage ihr Übergang zum Erwachsenen-Sein. Die Sequenz beginnt mit Baby in weißen Sneakers und einem übergroßen Hemd und endet in silbernen High Heels und einem Shirt, das knapp unter dem Busen endet. Aus dem Kinderkörper, gehüllt in weite Röcke und großen Jacken in Pastellfarben, wurde ein Frauenkörper.

jennifer grey

columbia tristar

Sex und Tanz

Die Entwicklung und das sexuelle Erwachen einer jungen Frau erzählt der Film mit funktionierenden Tanz-Metaphern. Zunächst wackelt Baby ungelenk (und mit einer Melone) durch die hitzige Party der Tänzer. Bald aber erfgreift sie mit neuem Körpergefühl die Initiative. Nicht nur, was den Tanz betrifft. "Dance with me", sagt sie, ihre weiße und Johnnys schwarze Jean reiben sich aneinander, bis ihre Hand zu seinem Hintern wandert und aus dem Tanz Sex wird. Dann schwenkt die Kamera dezent weg zu einem Lampion und erspart uns damit die Hollywood Mainstream Beischlaf-Szene, in der die Kamera stets auf dem Gesicht der Frau bleibt und den Mann als übermenschlichen Genussbringer inszeniert.

szenenbild aus "dirty dancing"

columbia tristar

Noch erstaunlicher in Sachen sexual politics ist es aber, wie "Dirty Dancing" Abtreibung verhandelt. (Für die, die sich nicht mehr erinnern: Johnnys eigentliche Tanzpartnerin ist ungewollt schwanger, der Termin für den Schwangerschaftssabbruch fält aber mit einem Auftritt zusammen und so springt Baby als Tänzerin ein). Ohne moralisches Werturteil, ohne die filmüblichen Dialoge, dass es immer noch einen anderen Weg geben würde. Drehbuchautorin und Co-Produzentin Bergstein war es wichtig, das genauso zu inszenieren, eine Pro-Choice Haltung in einen Unterhaltungsfilm zu integrieren.

Weibliche Sicht

"Dirty Dancing" hebt sich mit seiner Erzählhaltung aus weiblicher Sicht und wie es seine Hauptfigur behandelt unglaublich von den Filmen ab, die im gleichen Jahr in die Kinos gekommen sind. In "3 Männer und ein Baby" tun drei Männer ihr bestes, um die Rolle der Frau als Kindsmutter zu ersetzen, in "Fatal Attraction" wird die Geliebte zur Bedrohung der Familie und in "Beverly Hills Cop II" gibt es - glaube ich - keine relevante weibliche Figur. Das waren die drei Filme mit dem besten US-Einspielergebnis im Jahr 1987.

Nun bietet "Dirty Dancing" nicht nur eine Frauenfigur, sonden auch noch eine, die idealistisch und fordernd ist, die nicht zurecht gestutzt, nicht zum schönen Schwan mutieren und nicht geläutert werden muss. Das hat immer noch Seltenheitswert.

jennifer grey in "Dirty dancing"

columbia tristar

Eine Zeit, die es nicht gibt

Seltenheitswert hat auch die Art, wie Tanz in die Geschichte eingearbeitet wurde - kein wie im Tanzfilm üblicher Wettbewerb weit und breit. "Dirty Dancing" verortet in den energetischen Tanzpartys in den Hütten der Tänzer die brodelnde Energie einer Subkultur. Und zeigt als lähmendes Gegenstück stets die Urlauber, die ungelenk und lustlos zu den Anweisungen der Tanzlehrer mit dem Hintern wackeln. Hier ist Tanz nur mehr die Keule mit der die Zeit im Feriencamp totgeschlagen wird. Für einen Moment befreit "Dirty Dancing" den Paartanz von seinem Tanzschul-Mief. In seiner fast schon märchenhaften Schlussszene setzt der Film auf die Idee, dass alle Menschen gleich sind, wenn sie sich zu Musik bewegen. Da tanzen dann nicht nur Baby und Johnny, sondern betagte Damen und selbst die arrogante Kellnerpartie. Der alte Kellerman murmelt was von "It all seems to be ending" und auch der Titelsong orakelt rückblickend von der time of my life. Auf die USA wartet eine Zeit des Umbruchs und mit dem Attentat auf Kennedy auch der Zeitpunkt, der gerne als der Moment beschrieben wird, in dem eine Nation ihre Unschuld verloren hat. Und so beschreibt das Ende des Films mit bittersüßer Schwere eine Zeit, die vorbei ist. Genaugenommen eine Zeit, die es so nie gegeben hat.

columbia tristar

Das passiert, wenn man Johnny nicht tanzen lässt. Der "Bunte Abend"-Alptraum

Zwar spielt "Dirty Dancing" im Sommer 1963, doch noch nie haben die 1960er Jahre so stark nach 1980er Jahren ausgesehen. Von blondgefärbten Haaren und dunklem Ansatz zu goldenen Glitzergürteln, Tank Tops, Dauerwelle und nicht zuletzt der Titelschrift in Pink und dem Titelsong. "Dirty Dancing" ist alles andere als penibel recherchierte Retro-Nostalgie. Zwar ist Kostümdesign immer auch von der Zeit beeinflusst, zu der es entsteht, "Dirty Dancing" hat aber eine völlig eigene Kostümwelt kreiert, ist deswegen irgendwie zeitlos und altert darum auch so gut. Auch natürlich deswegen, weil Jennifer Grey und Patrick Swayze untrennbar mit diesem Film verbunden sind. Grey verschwindet völlig von der Bildfläche, lässt sich die Nase richten und ähnelt nun nichtmal mehr Baby Houseman. Swayze feiert zwar mit "Ghost" einen noch größeren Erfolg, doch für die meisten bleibt er Johnny Castle, irgendwo zwischen Macho-Auftreten und innerer Unsicherheit.

patrick swayze in "dirty dancing"

columbia tristar

Nach 25 Jahren bekommt "Dirty Dancing" nun eine Rezeption, die sich mit dem Film, seinen Themen und seiner Haltung auseinandersetzt, ohne von eitler eigener Nostalgie angetrieben zu sein. Schluss mit guilty pleasure und schamhafter Fanhaltung. Dann müssen die Teenager im Freibad endlich auch nicht mehr so tun, als würden sie nur ironisch die legendäre Hebefigur im Wasser üben.

Tickets zu gewinnen!

Zusatztermin: Am 19.10. wird um 23 Uhr wird "Dirty Dancing" noch einmal im Gartenbau gezeigt.

"Dirty Dancing" wird am 18.10.2012 um 20.30 Uhr im Gartenbaukino in Wien gezeigt und bildet den Auftakt zu einer sensationellen neuen Film-& Partyreihe namens "Strahler 80". Die Vorstellung ist ausverkauft, wir haben hier noch 2x2 Tickets zu verlosen.

Wer an der Verlosung teilnehmen will, muss nur die folgende Frage beantworten:
Wie lautet der "Nobody puts baby in the corner"-Satz in der deutschen Synchronisation?

Schickt die richtige Antwort und euren ganzen Namen an game.fm4@orf.at.

Einsendeschluss ist der 17.10., 16 Uhr