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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

3. 8. 2016 - 12:14

Das wahre Leben des Robert R.

Sehr intim und wunderschön ist das neue Album "Not Your Door" von Robert Rotifer geworden. Er präsentiert es mit Martin Klein in Wien.

Am Mittwoch, 8.8., ist Robert Rotifer live in FM4 Connected zu Gast.

Der Brexit ist gerade einmal drei Tage her und der Schock sitzt bei vielen tief. Auch bei meinem FM4-Kollegen und Musiker Robert Rotifer, der mir im Studio gegenübersteht. Seine Kinder, die in England geboren und aufgewachsen sind, bekommen die aufgehetzte Ausländerfeindlichkeit in der Schule zu spüren, Robert selbst weiß noch nicht, was der Ausgang dieses Referendums langfristig für ihn und seine Familie bedeutet.

Zwischen fieberhaftem Schreiben für diverse deutsche und heimische Zeitungen und Magazine sowie Interviews für Radiosender hat der vor über zwanzig Jahren nach England emmigrierte Journalist und Musiker trotzdem Zeit und das Bedürfnis, über seine Musik zu reden. Denn eigentlich hat unser Treffen einen freudigen Anlass: Sein neues Album "Not Your Door", ein sehr persönliches Werk, aufgeteilt in zwei Hälften, die von der Gegenwart und der Vergangenheit erzählen.

Portraitfoto Robert Rotifer

Rosie Lovering

Die Gegenwart

All of the people, places and events described in these songs are based on real life, but then you could say the same about all dreams and lies as well.

Das schreibt Robert Rotifer zu seiner neuen Platte und dieser Hinweis - auch wenn er gleich abgeschwächt wird - verrät schon, dass es in den zehn Stücken sehr persönlich zugeht. Robert hat sich mit "Not Your Door" die Freiheit genommen, über sich und sein Leben in einer Art und Weise zu schreiben, in der wir uns mit unseren gegenwärtigen Gedanken wiederfinden können.

Tipp:
Robert Rotifer präsentiert am 3. August sein Album "Not Your Door" im Theater am Spittelberg. Ebenfalls im Programm: Der famose österreichische Poppianist Martin Klein.

Robert: "Ich glaube, dass dieser Drang der Popkultur, den Individualismus oder die Befreiung von der Enge zu beschreiben, ein klassisches Thema der 1960er und 1970er Jahre ist. Diese Narrative entsprechen nicht den Problemen, die unsere Generation hat. Und im Erzählen der autobiographischen Geschichte kommt man vielleicht näher heran an die Gegenwart.

Ein Beispiel dafür ist "Meanwile In The Machine", ein Song über das Aufwachsen im Irrglauben, dass das Schlimmste, was uns passieren kann ist, dass nichts passiert. Dass man gefangen ist in der eigenartigen Blase der mitteleuropäischen Wohlstandsgesellschaft. Musikalisch hat Robert das mit wunderschönen Melodien, federleichten Akustikgitarren, sehnsüchtigen Orgeltönen und swingendem Schlagzeug umgesetzt. Es ist einer jener Songs, bei denen der englische Wiener immer mehr nach David Bowie klingt.

Robert Rotifer Albumcover "Not Your Door"

Robert Rotifer/Gare du Nord

Robert Rotifers Soloalbum "Not Your Door" ist bei Gare du Nord/Wohnzimmer Records erschienen.

Vor allem das Glatzstück der ersten Albumhälfte "Our Only Entertainmernt", in dem Robert sein Musikersein charmant reflektiert und unter Anderem über seine Vorliebe für Mollakkorde singt, könnte fast aus der Ziggy Stardust-Zeit durch ein Wurmloch zu uns gefallen sein. Gesanglich wird er darauf von der wundervollen Sängerin Citizen Helene begleitet.

Im Gegensatz dazu ist das Eröffnungsstück des Albums "If We Hadn't Had You" ein ganz intimes Singer/Songwriter-Stück, das er für seine Tochter geschrieben hat.

Robert: "Meine Tochter hat mich gefragt, warum ich immer diese traurigen Lieder schreibe? Wieso machst du nicht mal was Positives? (lacht) Dann habe ich mir gedacht okay, dann mache ich einen positiven Song über sie."

Natürlich mit einem reflektiven twist, denn Robert stellt sich die Frage, wie das Leben ohne Kinder verlaufen würde. Allerdings wiegt er hier nicht eine Seite gegen die andere ab und enthält sich wohlweislich jeglicher Wertung. Denn auch für ihn gibt es nichts Schlimmeres, als das Elternsein über das Leben derer zu stellen, die keine Kinder haben. So hält er in einer zusätzlichen Strophe fest, dass er vielleicht sein Geld statt für die Kinder für Platten und Gewand ausgegeben hätte (was man, wenn man Kindern hat, nicht mehr so viel macht, wie Robert lachend meint), aber sein Leben deshalb nicht weniger wert gewesen wäre. Ein bisschen Melancholie darf natürlich auch bei diesem großartigen Finger-Picking nicht fehlen.

Die Vergangenheit
Vienna From Memorie nennt Robert den zweiten Teil des Albums, einen Songzyklus, dessen Texte sich aus seiner Erinnerungen über sein Aufwachsen in Wien speisen. Wenn er zum Beispiel in "Top Of The Escalator" vor den Skinheads an der U1 Station Südtiroler Platz flüchtet. Mit swingenden Akkorden begleitet er dabei sein jüngeres Ich und holt die Geschichte mit kunstvoller Erzählung in die Gegenwart. Und wenn Robert zu dem schwungvollen 1970er-Akustikpopsong "The Piano Factory" an der ehemaligen Bösendorfer Fabrik vorbeiradelt, dann sehen auch wir den Möbelpacker in Latzhosen vorbeihuschen.

Herzstück der Platte sind die beiden berührenden Songs über Roberts Großmutter Irma Schwager, die mit 18 Jahren vor den Nazis flüchtete, in Frankreich ihren zukünftigen Mann kennenlernte und später mit ihm nach Wien zurückkehrte. Schon beim ersten Hören wird klar, dass es weniger Vergangenheitsbewältigung ist als es vielmehr das Hier und Jetzt in einen anderen, historischen Kontext setzt. Schließlich ist das gefühlvolle, von Bläsern sanft unterstützte "Irma La Douce" für die Totenfeier von Irma geschrieben worden und behandelt Rotifers Frage an seine Großmutter, warum sie nach dem Krieg wieder nach Wien zurückgekommen ist. Bei der Geburtstagsfeier zu ihrem 90er antwortete sie darauf: "Weil wir gewonnen haben". Diese wie aus der Pistole geschossene Antwort hat für Robert eine Türe aufgestoßen und zu der Erkenntnis geführt, dass dieser Sieg seiner Großmutter nicht erbbar ist, sondern jede Generation ihre eigene Kämpfe austragen muss.

Robert Rotifer Portrait mit Gitarre

Stephan Brückler

"Not Your Door", der letzte Rundgang durch Irma Schwagers Wohnung ist die perfekte Abschlussballade für das Album, ein endgültiger Abschied von seiner Großmutter und gleichzeitig von der Zeit der Nachkriegsgeneration. Der nachdenkliche Ausklang macht klar, dass in Robert Rotifers Soloalbum sehr viel mehr steckt als lediglich gefühlsbetonte Rückblicke. Es ist eine sehr intime und grundehrliche Auseinandersetzung damit, woher Robert kommt, wie er aufgewachsen ist und wie er jetzt in Zeiten des europaweit wieder aufbrechenden Rassismus und Extremismus sein Leben lebt. So können wir im Spiegel dieser Musik auch daran erinnert werden, für einen Sieg der Toleranz und der Offenheit zu kämpfen.

Gleichzeitig kann man die zehn Songs einfach als das hören, was sie sind: Wundervolle Singer/Songwriter-Stücke, bei denen man durch die rohe und transparente Produktion das Gefühl hat, direkt neben Robert in seinem Haus in England zu sitzen, während er uns seine Geschichten erzählt, den man endlos zuhören könnte.