Erstellt am: 13. 7. 2016 - 14:22 Uhr
Das Theater mit Vater
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Dass man mal in einem deutschen Film sitzt und sich der Gedanke „Schade, dass Whitney Houston das nicht mehr erlebt hat“ durch den Kopf schlängelt, damit hab ich nicht gerechnet und dafür braucht es die maßgeschneiderte und exakt sitzende Dramaturgie und Regie von Maren Ade. In einem wundervollen Moment singt sich Sandra Hüller in „Toni Erdmann“ zu Houstons „Greatest Love of All“ die Seele aus dem Leib, begleitet von Peter Simonischek am Klavier. Das Publikum: eine rumänische Großfamilie, der sich die beiden als deutscher Botschafter Herr Erdmann und seine Sekretärin Miss Schnuck vorgestellt haben, sie würden auf der Familienfeier nur kurz vorbeischauen, um Eier zu bemalen. Ein skurriler, wahnwitziger, aber auch wahrhaftiger Moment und nur einer von vielen in diesem 160-Minuten-Filmwunder, das seinen Beginn in der deutschen Provinz findet.
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Dort lebt Winfried Conradi, pensionierter Musiklehrer, dessen sanftes Naturell gebrochen wird von dem scheinbar beinahe nicht kontrollierbaren Bedürfnis nach Albernheiten. Witzchen, ein falsches Gebiss immer griffbereit in der Hemdtasche, ein Auftritt mit dem Schulchor mit Zombie-Schminke. Ein Rest weißer Schminke reibt sich dann bei der Begrüßung gleich in den Blazer seiner Tochter Ines (Hüller); die ist auf Kurzbesuch, lebt in Bukarest und arbeitet als Unternehmensberaterin. Spaghetti nennt ihr Vater sie, doch der wohl aus Kindertagen stammende Spitzname ist der letzte Rest Nähe und Zärtlichkeit zwischen den beiden. Die Umarmung ist tollpatschig, Ines kann man an der Nasenspitze ansehen, dass sie grad überall anders lieber wäre als hier und sie geht mal lieber wieder in den Garten, um so zu tun, als würde sie ein dringendes Telefonat führen. Am nächsten Morgen geht's auch schon wieder zurück nach Bukarest; aber den Clownschminke-Fleck im Blazer kann man als Vorboten und Metapher sehen.
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So einen Fleck wird man schwer wieder los, genauso wie Papa Conradi, wenn der überraschend auftaucht und mit dem falschen Gebiss im Mund in der Empfangshalle des Consulting-Tempels steht, in dem Ines arbeitet. Und es wird in „Toni Erdmann“ auch darum gehen, wie Vater und Tochter aufeinander abfärben, bis sich Clownerien und die neoliberale Wirtschaftshölle in skurrilen und entlarvenden Momenten miteinander verbinden - und das ohne Katharsis. In Filmen mit ähnlichen Ausgangsszenerien würde die ehrgeizige Tochter irgendwann dank Vaters Schalk einen die berufstätige Seele reinigenden „gather ye rosebuds“-Moment haben und die Welt der Hosenanzüge hinter sich lassen.
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So einfach macht es sich Maren Ade nicht. Im Englischen gibt es das schöne Wort awkward, im Deutschen nur peinlich, das bedauert die Regisseurin in Interviews, denn ersteres würde viel besser für so vieles passen, was in "Toni Erdmann" vor sich geht. Das komödiantische Potential des Nicht-Einhaltens sozialer Konventionen haben in den letzten Jahren Ricky Gervais und Larry David neu ausgelotet. Was Simonischek als Vater, der sich Sorgen um seine Tochter macht und Humor als generationenübergreifenden Brückenschlag begreift, anstellt, spielt stellenweise durchaus in dieser Humorregion, wo es weh tut und man eigentlich fast gar nicht hinsehen kann. Der Kurzbesuch bei Ines besteht aus unangenehmen Situationen und einem scheußlichen Schweigen, als die beiden sich bereits verabschiedet haben, aber der Lift noch qualvoll lange Sekunden braucht, bis er endlich da ist. Ade hat ein gutes Auge für die kleinen, aber abgrundtiefen Schluchten in zwischenmenschlichen Interaktionen.
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Die schwer nach unten hängenden Mundwinkel seiner Tochter machen ihm Sorgen, doch Winfried sieht ein, dass er als Vater gerade nicht helfen kann und kehrt als sein Alter Ego zurück: Toni Erdmann. Falsches Gebiss, schief sitzende Perücke, wahlweise Consultant oder deutscher Botschafter und überall dort auftauchend, wo er nicht sein soll. Maren Ade und Simonischek gelingt es auf wundersame Weise, etwas, was man an sich überhaupt nicht lustig findet - nämlich falsche Zähne und schlechte Perücken, zu sehr hängt der Faschings- und Sketchmief an derartigem Requisitenhumor - tatsächlich Komik einzuhauchen. Toni Erdmann wird zum polternden Humorverbreiter und zum Dekonstrukteur von Ines' Arbeitswelt.
Das Publikum braucht Erdmann nicht, um über angestrengte Anzugtypen zu lachen, die phrasendreschend über Outsourcing und Performance sprechen, aber irgendwie schafft es der verkleidete und somit die anderen bloßstellende Papa, ein bisschen Distanz zwischen Ines und ihre Arbeitswelt zu bringen. Ohne dass bestehende Konflikte damit bereinigt werden, wird sie manchmal zur Komplizin seiner Aktionen - oder verhindert sie zumindest nicht. Und manchmal braucht es halt einen erfundenen Consultant, um einer Vater-Tochter-Beziehung wieder Leben einzuhauchen. Simonischek schaut dabei immer ein bisschen aus wie Peter Sellers, wenn sich Inspektour Clouseau als Glöckner von Notre Dame verkleidet, und tatsächlich muss ich noch einmal während "Toni Erdmann" an Sellers denken. Ich glaube, dass außer Sandra Hüller nur Peter Sellers die "Nacktparty"-Szene (über die man am besten nichts wissen sollte, bevor man den Film sieht) mit derartiger Souveränität und sich stetig steigerndem Komik-Level hätte spielen können.
Festival de Cannes
Ganz nebenbei erzählt der Film auch vom alltäglichen Sexismus, dem Ines in ihrem Arbeitsalltag ausgesetzt ist, aber auch davon, wie sie selbst die Sprache und Gesten der Ranghöheren gegenüber ihrer Assistentin und ihrem Freund einsetzt; die Demonstration der Machtpositionen inszeniert Ade als schauderhaft und zeigt natürlich auch, dass der dreiteilige Anzug und NLP-geschultes Sprechen genauso eine Verkleidung ist wie die aus Conradis Verkleidungskiste. Es geht in "Toni Erdmann" auch darum, welche Rolle wir spielen und zu welchem Zweck, und schon immer hatte der Blick des Clowns, des unwissentlich weisen Narren, die Aufgabe, zu entlarven. Doch "Toni Erdmann" macht Simonischek nicht zum traurigen Clown. Simonischek wird nicht zum Kliniclown, der ein Lächeln und Menschlichkeit in den neoliberalen Grusel bringt. Die Größe von "Toni Erdmann" ist auch, dass keine der üblichen Kinoformeln hier greift. Und weil hier ein nicht ausgetretener Narrativpfad betreten wird, wirkt auch keine der 160 Minuten zu lang; Ade weiß zu überraschen. Ade weiß auch - und da sind schon viele gescheitert - aus Nacktheit grandioses Komikpotential zu schlagen.
Schließlich muss Hüller dann fast nackt und Simonischek bis zur Unkenntnis in einem haarigen Kostüm versteckt sein, bis eine innige Umarmung zwischen Vater und Kind, dem Babyboomer mit "grüner Gesinnung" und der karriereorientierten Frau ohne Idealismus wieder möglich ist. Vom Flower Power der einen Generation ist nur mehr Power übrig geblieben, doch wenn Hüller hier Papa brüllt, dann sind temporär mal alle Unterschiede vergessen. Dass sich aber Ines am Ende des Films nicht komplett geläutert neu erfindet, sondern in einem stummen Moment der Erkenntnis irgendwie wieder bei anfangs erwähntem Whitney Houston Song und der Zeile /I decided long ago, never to walk in anyone's shadows landet, ist nur eine der vielen Feinheiten von Ades vielschichtigem Drehbuch.