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Petra Erdmann

Im Kino und auf Filmfestivals

12. 7. 2016 - 13:07

"So ein Film ist meine persönliche Nacktparty"

Interview mit Maren Ade, der Regisseurin von "Toni Erdmann".

So einig war sich die internationale Filmkritik noch nie wie heuer beim wichtigsten Festival der Welt in Cannes: Die deutsche Komödie "Toni Erdmann" von der Regisseurin Maren Ade hat für ihre berührende Leichtigkeit und witzige Tiefgründigkeit alle Vorschusslorbeeren der Welt bekommen - und dann doch nicht die Goldene Palme gewonnen.

Das Theater mit Vater

"Toni Erdmann" ist ein fantastisches, formelfreies Filmwunder über eine Vater-Tochter-Beziehung. Nacktparty und Whitney Houston inklusive.

Toni Erdmann in Cannes

Unser Filmkorrespondent Thomas Abeltshauser hat im Mai über Toni Erdmann geschrieben.

Die Tragikomödie über ein schiefes Vater-Tochter-Verhältnis ist Maren Ades dritter Spielfilm. Sandra Hüller spielt Ines, eine überforderte Consulterin in Bukarest. Ihr Film-Vater Peter Simonischek besucht sie dort. Mit seinem peinlichen Holzhammer-Humor und in der Verkleidung des Coaches Toni Erdmann verstört und berührt er. Petra Erdmann hat Regisseurin Maren Ade zum Interview ins FM4-Studio gebeten.

Petra Erdmann: Aus persönlichen Gründen muss ich gleich fragen: Mein Name ist Petra Erdmann, wieso erschafft man eine Kunstfigur, die Toni Erdmann heißt?

Maren Ade: Ich werde oft gefragt, woher der Name kommt. Bei Toni weiß ich es ganz genau: Die Figur ist ein bisschen angelehnt an eine Figur, die Andy Kaufman erfunden hat: Tony Clifton. Ich fand, dass dieses sehr internationale „Toni“ einen sehr deutschen, bodenständigen Namen braucht als Konstrast und da kam mir das Erdmann irgendwie in den Kopf.

Jetzt ist „Toni Erdmann“ in Cannes, wo er seine Uraufführung erlebt hat, unisono von der internationalen Filmkritik als der beste Film des Wettbewerbs gevoted worden. Für die Goldene Palme ist es sich nicht ausgegangen. Gab es da Enttäuschung bei dir?

Nee, es ging. Wir haben ja so viel erlebt in Cannes, mit dem wir nicht gerechnet hatten. Dass der Film sich so gut verkauft – überhaupt die Reaktionen auf den Film. Ich bin eh so ein misstrauischer Typ und hab mir gleich gedacht: Abwarten, ob sich das mit einem Preis ausgeht.

Peter Simonischek, Maren Ade und Sandra Hüller letzten Mai in Cannes.

AFP PHOTO / ANNE-CHRISTINE POUJOULAT

Peter Simonischek, Maren Ade und Sandra Hüller letzten Mai in Cannes.

Der Film ist vorwiegend in Bukarest angesiedelt, in einem internationalen Consulting-Kreis. Der globale Markt wird da auch ein bisschen mitverhandelt mit diesem Vater-Tochter-Verhältnis. Siehst du irgendwelche Parallelen zwischen der Filmbranche und der Berater-Branche – im Sinne der Überlebens-Strategien?

Ich habe während der Recherche zum Film viele Unternehmensberater getroffen oder Leute, die in der Wirtschaft arbeiten – und fand, dass es einige Überschneidungen gibt. Auch beim Filmemachen hängt man die Sache relativ hoch, manchmal auch über das Individuum. Und das Filmset kann auch sehr hierarchisch organisiert sein. Da habe ich mich schon manchmal ertappt…

Gab es einen persönlichen Andockpunkt, woraus du - ja auch Tochter - schöpfen konntest und wolltest?

In meiner Familie wird auch viel mit Humor behandelt, mein Vater hat auch ein relativ gutes Repertoire, was das angeht. Eine Sache habe ich wirklich von ihm geborgt sozusagen für den Film: Ich war mal mit 20, als ich Praktikantin war, auf der Premiere von „Austin Powers“ und als Geschenk gab es so falsche Zähne. Die habe ich ihm weitergegeben, weil ich dachte, er kann das gebrauchen. Und er hat die wirklich ab und zu benutzt, um den Kellner aus der Reserve zu locken oder wenn er uns etwas besonders Ernstes sagen wollte. Das habe ich dann weiter gesponnen - obwohl ich den Rest so nie erlebt habe.

FM4 Film

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Die Gags in Deinem Film reichen von schiefen Zähnen, schlechten Langhaarperücken bis zu traurigen Nacktparties für Firmenkollegen. Wie kommt man auf diese Ideen?

Es gibt ja unterschiedliche Arten von Humor und Stellen, an denen man lacht. Zum einen gibt es den Teil, in dem der Vater durch die Verwandlung in diesen Freak Toni Erdmann für seine Tochter eine Komödie spielt. Und dann gibt es den Teil, wo man vielleicht lacht, weil die Situation so lustig ist oder auch so schrecklich. Durch diese Verwandlung vom Vater in Toni Erdmann hat sich irgendwie eine Tür beim Schreiben geöffnet. Da konnte ich durchgehen und hatte das Gefühl, ich kann da viel Ungewöhnlicheres passieren lassen.

Toni Erdmann und Ines im Auto

Filmladen

Spielt Musik eine Rolle als Inspiration beim Schreiben?

Ja, schon. Auch wenn meine Filme dann eigentlich keine Filmmusik haben. Wenn Musik vorkommt, dann ist es reale Musik, die in der Szene passiert. Trotzdem neige ich dazu, mich beim Schreiben – ich sag mal – einzukitschen und höre dann Musik. Aber wirklich eher im frühen Stadium des Schreibens.

Toni Erdmann trifft diese unsichtbaren oder schnellen Grenzen zwischen Schämen und Fremdschämen, Peinlichkeit und Witz und Menschlichkeit. Inwiefern hat dich das interessiert?

Ich denke beim Schreiben und beim Machen gar nicht so darüber nach, dass es nachher unbedingt diesen Effekt haben soll, dass es peinlich ist. Sondern ich versuche eher den größten Schmerz für die Figur oder das größte Unwohlsein, halt das größte Drama in so kleinen, alltäglichen Momenten zu finden und hoffe auch, dass man sich so mit den Figuren identifiziert, dass man mitleidet.

Der Dreh hat in Bukarest stattgefunden?

Für mich war es toll, im Ausland zu drehen. Ich hab mich da auch filmisch ein bisschen freier gefühlt. Bei den paar Szenen, die in Deutschland spielen, habe ich gemerkt, dass ich mich da viel schneller zensiere. Und ich fand das gut für die Geschichte, dass die Figuren klar voreinander stehen, man nicht so viel Umfeld erzählen muss. Bukarest ist wirklich eine aufregende Stadt, noch so im Umbruch. Der Gegensatz zwischen Arm und Reich ist extrem und auch schmerzhaft. Es gab da so viele unterschiedliche Pole und dazwischen hat die Geschichte gut gepasst.

Nackte Frau, blickt skeptisch, hat ihre Arme vor der Brust geschlossen

Festival de Cannes

Du bist eine Regisseurin, die sehr lange an einem Projekt arbeitet. Du zählst also nicht zu den Effizienz-Strategen, wie so manche Manager in deinem Film? Kann man sich diese Langsamkeit überhaupt noch leisten?

Also ich komme mir gar nicht so langsam vor. Aber danach merke ich, dass ich doch relativ lange gebraucht habe. Für mich und mein Filmemachen ist das wichtig. Ich bin doch nicht so spontan, wie ich manchmal gerne wäre. Aber es ist natürlich ein großer Luxus, mir so lange Zeit lassen zu können. Ich kann halt auch nicht aufhören, solange ich das Gefühl habe, ich kann das noch verbessern.

Inwiefern ist dein Filmemachen immer auch was sehr Persönliches?

Ich kann eigentlich jede Figur nachvollziehen. Ich wüsste gar nicht wie es unpersönlich sein sollte. Insofern ist so ein Film dann auch meine persönliche Nacktparty.