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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

5. 7. 2016 - 15:00

Flüchtlinge fressen

Spätestens seit die deutsche Mannschaft im Halbfinale steht, ist Fußball in Berlin das vorherrschende Thema.

Aus dem Leben der Lo-Fi-Boheme

Geschichten aus Berlin von Christiane Rösinger

Vielleicht ging auch deshalb am letzten Dienstag der Höhepunkt einer umstrittenen Politaktion ein bisschen unter: Parallel zur EM hatte das "Zentrum für politische Schönheit" (ZPS) unter dem Motto "Flüchtlinge fressen. Not und Spiele" einen Tigerkäfig mit vier lebenden Tigern in einer Arena am Gorki Theater in Berlin Mitte aufgebaut.

Das ZPS drohte, Flüchtlinge an Tiger zu verfüttern, falls die Regierung weiter verhindert, dass offizielle und sichere Verkehrsmittel zur Einreise in die EU genutzt werden können. Mit der Aktion wollte die für ihre Provokationen bekannte Künstlergruppe erreichen, dass Flüchtlinge grundsätzlich mit dem Flugzeug statt über den unsicheren Seeweg nach Europa reisen dürfen, um hier Zuflucht zu finden.

Am 28. Juni sollte ein Flugzeug von Berlin-Tegel nach Antalya in der Türkei fliegen, um von dort syrische Flüchtlinge nach Berlin zu bringen. Konkret wendeten sich die AktivistInnen damit gegen den Paragrafen 63 des Aufenthaltsgesetzes, der die Beförderung von Ausländern ohne Papiere verbietet. Ziel der Tiger-Fress-Drohung war, dass der Bundestag in einer Abstimmung den Paragrafen 63 abschafft und somit das Einfliegen der hundert Flüchtlinge ermöglicht. Dafür habe man, so das ZPS, im Internet durch Crowdfunding 72.000 Euro gesammelt.


Doch der Flug wurde auf Betreiben des Innenministeriums am Dienstag Morgen von der Fluggesellschaft abgesagt.

Das Spektakel mit den Raubtieren verstand das ZPS als Gegenprogramm zur Fußball-Europameisterschaft, denn während diese als Unterhaltungsevent nur der Ablenkung von Problemen und Nöten dient, geht es bei "Flüchtlinge fressen" um Leben und Tod. Leben und Tod derer, die sich freiwillig fürs Gefressen-Werden melden. Allein, dass es Menschen gibt, die dies tun, und bereit sind, als Akt des Protests zu sterben, sollte deutlich machen, wie inhuman die herrschende Politik agiert - wie schuldig die Regierenden sich tagtäglich machen.

Die Ankündigung, dass sich am Abend des 28.6. verzweifelte "Freiwillige" den Tigern zum Fraße vorwerfen würden, wenn die Bundesregierung nicht ihre Haltung gegenüber Bürgerkriegsflüchtlingen radikal ändere, ging zwar durch alle Medien, schockierte aber die BerlinerInnen und andere Zeitgenossen nicht besonders.

Denn schließlich weiß man ja, dass das Zentrum für politische Schönheit Kunst und radikales Theater macht. So kamen am Dienstag zwar einige hundert Schaulustige zum Tigerkäfig, aber vorwiegend waren es Pressevertreter, theateraffine junge Menschen aus dem internationalen Easy-Jet-Set und ahnungslose Touristen.

Es lief ein Countdown vor dem Käfig, Filme über ertrinkende und leidende Flüchtlinge wurden gezeigt und dramatische Texte vorgelesen. Es sollte schließlich jedem klar werden, dass die Aktion eine Erpressung der Regierung sein sollte.

Das Publikum wartete leicht genervt darauf, dass es endlich losging. Am Ende des Countdowns - der theoretisch in die blutige Fressorgie münden sollte - wurde der Tigerkäfig mit einer schwarzen Tafel abgedeckt und die Zuschauer zum Theatereingang umgeleitet. Dort gab es einen dramatischen Auftritt einer syrisch-libanesischen Schauspielerin, die auf arabisch und in deutscher Übersetzung erklärte, warum sie sich entgegen der Ankündigung nun doch nicht von den Tigern fressen lassen wolle: "Was wäre mein Schreien gegen die ungehörten Hilferufe nachts auf dem Meer?", erklärte sie unter Tränen. Außerdem wolle sie dem Publikum die grausigen Bilder ersparen. Aber da hatten die anwesenden Schock- Theater-Interessierten schon ein wenig das Interesse verloren und sich ihren Smartphones zugewandt. Zum Schluss bezichtigte sich die schluchzende Schauspielerin selbst des Versagens und übergab ihre Opferrolle ans Publikum, das sich aber aus verständlichen Gründen ebenfalls nicht von den Tigern zerfleischen lassen wollte. Und so ging das Spektakel, wie zu erwarten war, unblutig zu Ende.

Anschließend lenkten die Initiatoren die mediale Aufmerksamkeit auf eine Bühne des Maxim-Gorki-Theaters. Dort interviewte ein Flüchtling, der seit ein paar Jahren in Deutschland lebt, einen Syrer, der von seiner Fluchtgeschichte berichtete.

Nach der ganzen Aktion fragte man sich in kleinen Grüppchen vor dem Gorki Theater, was nun von der Aktion des ZPS zu halten war. War es ein genialer Medien-Coup? Oder ist eine Aktion, in der eine Arena mit vier echten libyschen Tigern bestückt wird und verzweifelte Geflüchtete zum Suizid eingeladen werden, zuviel der Menschenverachtung?

Ein Mediencoup war es schon - obgleich nicht die ganze Stadt, aber immerhin die Presse rätselte, was am Dienstagabend in Berlin passieren würde. Trotzdem hinterlassen die spektakulär klingenden Aktionen des Künstlerkollektivs ZPS doch immer einen schalen Nachgeschmack. So auch bei der Aktion 2015 "Die Toten kommen". Damals hatte das ZPS angeblich exhumierte Leichname von Flüchtlingen aus Italien auf einem Berliner Friedhof beerdigt. Wer das makaber fand und nach der Würde der Toten fragte, musste sich natürlich auch fragen, was mit der Würde der Lebenden ist, die im Mittelmeer ertrinken. Es sterben ja andauernd Menschen auf der Flucht und keiner verhindert es.

Bei den Aktionen des Zentrums für politische Schönheit handelt es sich eben um eine radikale Form des Theaters, die das zynische Spiel der Politik an Zynismus noch überbieten will.

Das ZPS reduziert durch seine Aktionen aber die gesamte Flüchtlingsthematik auf ein tödliches Schockereignis und erklärt jeden Flüchtling, der die EU noch nicht erreicht hat, zum Todesopfer. Das macht eine differenzierte Betrachtung von Einzelschicksalen unmöglich. Es wird einseitig das Bild von verzweifelten, dem Tod geweihten Menschen gezeichnet, dadurch erscheinen die Geflüchteten aber so weit von uns und unseren Erfahrungen entfernt, dass wir sie gar nicht als selbstbestimmte Individuen wahrnehmen - und uns nicht in ihre Lage versetzen können. Das erzeugt eine absolute Fremdheit, und die ist der Empathie und dem menschlichen Handeln nun mal abträglich.