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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

4. 7. 2016 - 18:27

Die Götterdämmerung der "Apps" hat eingesetzt

Von Mai auf Juni gingen die Downloadraten für Apps nach acht Jahren des Booms erstmals zurück. Die nötige Reichweite ist nun gegeben, die Monetarisierung der Apps beginnt.

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Apps, digitale Trends und mehr in FM4 Netzkultur

Der Juni 2016 wird in die Internetchroniken als jener Monat eingehen, in dem erstmals drastische Einbrüche bei den Downloads sogenannter Apps zu verzeichnen waren. Fast alle dieser beliebten Progrämmchen für Smartphones und Tablets hatten in den USA ѕignifikante Rückgänge zu verzeichnen. So stürzten die Downloads des Kurznachrichtendienstes Messenger allen Zwangsmaßnahmen der Facebook-Führung zum Trotz von zwölf auf weniger als acht Millionen pro Monat.

Neben dem Messenger, der mittlerweile zu Mark Zuckerbergs Facebook-Imperium gehört, mit minus 18 Prozent gingen auch die Downloads der Facebook-App um 15 Prozent zurück. Youtube und Twitter verloren 20 bzw. 18 Prozent, am unteren Ende fanden sich die Google App (minus 30) und Pandora mit minus 35 Prozent wieder. All diese Zahlen zusammen bilden den Zustand des Markts für Apps im Juni 2016 recht plastisch ab und lassen nur eine Schlussfolgerung zu: Nach acht Jahren ungebremsten Booms ist das explosive Wachstum der Apps zu Ende.

Facebook und Messenger

APA/dpa-Zentralbild/Jens Büttner

Daten von Nomura Research und SensorTower

In den von den Marktforschungsinstituten Nomura Research und SensorTower für den Rest der Welt ausgewiesenen Zahlen zeigte sich dieser in den USA klar erkennbare Trend hingegen noch nicht. Die Marktdurchdringung von Mobilgeräten ist in Europa oder Japan zwar signifikant höher als in den USA, derzeit gibt es jedoch extra ausgewiesene Zahlen für diese beiden hoch entwickelten Mobilfunkmärkte. Japan wird zusammen mit den riesigen, zum Teil noch wenig erschlossenen Regionen in Fernost dargestellt.

Startpunkt für den Boom war Juli 2008. Einen Tag vor dem Verkaufsstart des iPhone 3G eröffnete Apple seinen App Store. Die ersten Produkte waren Musikvideos, iTunes und Spiele.

Die Zahlen für Europa wiederum werden zusammen mit der Region EMEA dargestellt, die Europa, Nahost und Afrika umfasst. Anders als in Europa sind Nahost und Afrika von einer annähernd flächendeckenden Versorgung mit mobilem Breitband noch weit entfernt, zumal die Mobilfunknetze dort vielfach noch in den Frühstadien ihres Ausbaus sind. Alle Zahlen sind daher eher als Richtwerte zu verstehen, die immerhin globale Trends anzeigen.

Nomura_SensorTowr

Diese Grafik der beiden Marktforschungsunternehmen stellt die Marktsättigung der größten Plattformen sehr anschaulich dar. Spätstarter wie AirBnB und Uber sollten es demnach schwer haben, denn die Reichweiten der anderen Dienste wurden allesamt in den Jahren davor erzielt. Nunmehr wird es schwierig bis unmöglich werden, die für einen kommerziellen Erfolg notwendigen Benutzerzahlen zu erreichen.

Einen Tag nach Eröffnung des App Stores bachte der Ansturm der Benutzer die Server in Cupertino ins Wanken.

Statistiken and Weltregionen

Global tätige Wirtschafts- und Marktforschungsunternehmen wie Nomura, deren Hauptquartiere nicht in Europa angesiedelt sind, verfügen zudem generell über keine Statistiken, in denen Europa als eigene Region ausgewiesen ist. Der Downloadabsturz von Mai auf Juni ist nach all den Jahren ungebremsten Hypes ganz einfach auf die beginnende Sättigung der Märkte zurück zu führen. Das gilt nicht nur für die entwickelten Regionen, auch in den Wachstumsgebieten Nordafrika und Nahost ist der Bedarf an neuen Apps offenbar sehr begrenzt. Die aktivsten Benutzer dort waren und sind denn auch keine Privatpersonen.

Einen Monat nach seiner Eröffnung hatte der App Store von Apple bereits 30 Mіllonen Euro Umsatz eingefahren, das meiste davon entfiel nicht auf die Produkte, sondern auf die App selbst, die für 9,90 Dollar angeboten wurde.

Wie sich auch im sogenannten arabischen Frühling gezeigt hat nutzen die Inhaber kleiner und mitterer Unternehmen aus den Bereichen Tourismus und Einzelhandel wie etwa Gebrauchtwagenfirmen, Reparaturservices und Anbieter anderer Dienstleistungen lokaler Natur Facebook für billige Webpräsenzen und Kundenkommunikation vor Ort. Entsprechend groß war die Empörung der Inhaber solcher Firmen von Tunesien bis Ägypten, als die Machthaber dort die Zugänge zu Facebook sperren ließen, um an der Macht zu bleiben. Diese aufstrebende Mittelklasse war dann freilich schnell wieder ruhiggestellt, als die Revolutionen in sich zusammenbrachen und die neuen Machthaber so fest im Sattel saßen, dass die Blockaden von Facebook und Co. wieder aufgehoben wurden.

Nomura_SensorTower

Apps für Chats stürzen am tiefsten

Die weitaus populärsten aller Anwendungen, nämlich Apps für Chat- oder Kurznachrichten in verschiedenen Varianten, wie sie WhatsApp, Facebook, Snapchat oder Messenger bieten, hatten von Mai auf Juni auch die stärksten Rückgänge zu verzeichnen. Das ist ganz einfach dadurch zu erklären, dass die Nutzer zumeist nur einen dieser Dienste ständig nutzen, ein weiterer wird eher notgedrungen verwendet, weil eben manche Mitglieder der eigenen Peergroup nur darüber erreichbar sind. Diese Art der Nutzung ist von der ursprünglichen Begeisterung für diese praktischen Progrämmchen, die man ortsunabhängig benutzten kann, meilenweit entfernt.

Anhand der Tatsache, dass der Ausbau der mobilen Breitbandnetze in Europa wesentlich früher begonnen hat und die Netze bereits 2008 deutlich leistungsfähiger waren alѕ jene in den USA, sind Analogschlüsse zum Status der App-Downloads in Europa naheliegend. Der Absturz zur Jahresmitte in Europa muss daher noch viel drastischer ausgefallen sein, zumal der Boom der Mobilfunkanwendungen auf dem alten Kontinent deutlich früher eingesetzt hat. Die Sättigung des Markts sollte daher in Europa ebenfalls früher eingesetzt haben, Zahlenmaterial zur Untermauerung solcher Hypothesen gibt es zur Zeit leider nicht.

Laut einer GfK-Studie vom Frühjahr 2010 nutzten bereits 2,1 Millionen Österreicher, also ziemlich genau ein Drittel der Handykunden, Smartphones. Im Schnitt wurden damals noch drei bis vier Apps pro Monat heruntergeladen.

Auf niedrigem Niveau gegen den Trend

Nur die verhältnismäßig neuen Apps von Uber und AirBnB verhielten sich gegen den Trend. Aber da sind die absoluten Zahlen nicht berauschend. Uber hatte knapp drei statt zwei Millionen Downloads im Mai zu verzeichnen, AirBnB blieb trotz einer ähnlichen Steigerungsrate hingegen immer noch weit unter einer Million. Auch hier ist bereits ein Ende abzusehen. Der tiefe Einbruch der Downloadzahlen von Mai auf Juni wird auch diese spät gestarteten Services nicht verschonen, darüber sind sich die Marktanalysten ebenfalls einig. Anders als bei den seit Jahren auf dem Markt befindlichen Services fehlt den Apps von Uber und AirBnB daher die Reichweite, um die unvermeidlichen Einbrüche abzufedern. Das bedeutet nichts Gutes für die Zukunft der beiden Firmen.

UBER-Logo und zwei Mitarbeiter

APA/dpa

Keine Ende, sondern beginnende Monetarisierung

Laut eigenen Angaben ist die in San Francisco niedergelassene Firma SensorTower die führende Plattform zur "Optimierung von AppStores und "Intelligence für die App-Industrie".

Sinkende Downloadzahlen der populärsten Anwendungen bedeuten aber keineswegs ein Ende der Apps, vielmehr markieren sie eine neue Phase der Entwicklung dieses Markts. Erst wenn eine ausreichende Verbreitung gegeben ist, kann mit der Monetarisierung solcher Dienste begonnen werden. Das bedeutet weniger, dass Apps nun vermehrt kostenpflichtig werden, sondern dass "Brick and Mortar"-Geschäfte, also der herkömmliche Einzelhandel Apps vermehrt zur Steigerung der Umsätze und zur direkten Kundenkommunikation nutzen wird. Hier wiederum sind nicht die großen Supermarktketten gemeint, die ohnehin seit jeher eigene Apps anbieten, sondern wesentlich spezialisiertere und viel kleinere Firmen und Geschäfte, die ihre Produkte einer begrenzten Anzahl von Kunden offerieren.

Nomura Research International verfügt über zwölf Niederlassungen alleine in China, bis auf Afrika und Australien ist das Unternehmen auf allen Kontinenten mit einer Reihe von Filialen vertreten

Beispiele dafür gibt es wie Sand am Meer: Apps für Liebhaber von Oldtimerautos oder frischem Biogemüse aus der näheren Umgebung, Apps für regionale Dienstleistungen, für Sammler von Modelleisenbahnen oder auch für Funkamateure, die sich über die Ausbreitungsbedingungen für weltweiten Funkverkehr auf Kurzwelle minutenaktuell auf dem Laufenden halten wollen. Derartige Apps werden es nie in die Oberliga der Downloads schaffen, allerdings werden sie zu steigenden Umsätzen eben bei solchermaßen spezialisierten Anbietern führen, die mit Apps bis jetzt nicht viel anfangen konnten. Diese meist kleineren Firmen erreichen so eine wesentlich höhere Zahl potenzieller Kunden, als etwa durch Inserate - egal ob in Online- oder in Offlinemedien - erzielt werden können. Im Gegensatz zu konventioneller Werbung sind die sogenannten Streuverluste bei einer solchen Art von Direktmarketing nämlich denkbar gering.

App Annie

Das Wachstum der kommenden Jahre

Neben dem Hauptsitz in San Francisco unterhält App Annie weitere 14 Filialen rund um den Globus

Schon 2010 wurde ein weltweites jährliches Umsatzvolumen von 17 Milliarden Dollar pro Jahr für Apps vorausgesagt. Diese Zahlen wurden aktuell noch etwas nach oben revidiert. Auch hier ist es eine in Europa völlig unbekannte Firma, die über das nötige Zahlenmaterial verfügt. "App Annie" errechnete weltweite Umsätze von 42 Milliarden US-Dollar für 2015 und sagt für 2016 einen Steigerung auf 52 Milliarden US-Dollar voraus. Das bedeutet eine Wachstumsrate von 24 Prozent pro Jahr, die bis 2020 stabil bleiben sollte. In aggregierten und konsolidierten Zahlen ausgedrückt sind das globale Umsätze jenseits der 100 Millarden Dollar im Jahr 2020.

Bei "App Annie" handelt sich keineswegs um irgendeine obskure, neue Marktforschungsfirma, sondern um ein Unternehmen, dessen Analysen auf dem "App Analytics and App Data Industry Standard" basieren. Zu den Kunden des Unternehmens zählen absolute Schwergewichte der Internetindustrie wie Google, LinkedIn, Microsoft, oder Paypal aber auch Warner Brothers oder Samsung Electronics und - angeführt vom chinesischen Suchmaschinenbetreiber Baidu - eine ganze Reihe von Internetbetrieben aus dem Wirschaftsraum Fernost.