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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

6. 6. 2016 - 14:28

Bittere Früchte

The Kills sind unsere Artists of the Week, dabei war der Fortbestand des Rock’n’Roll-Duos lange Zeit unsicher. Jetzt sind sie zurück mit dem neuen Album "Ash & Ice".

Artist of the Week

Diese Woche im Rampenlicht: The Kills

Die Geschichte, als ich die coolste Frau des Rock’n’Roll traf, die ging so: Hinterschlauer Journalist versucht eine Tabufrage zu umgehen, indem er sich thematisch von einer anderen Seite nähert. Das Resultat: einer der beiden Interviewten verlässt fluchend den Raum. Doch was macht seine Partnerin? Sie verzieht keine Miene, steckt sich eine Marlboro an und führt das Interview zu Ende, als ob nichts gewesen wäre. Viel über sich selbst hat Alison Mosshart allerdings auch nicht verraten, aber das war völlig okay. Ich erinnere mich an den Geruch von Mentholzigaretten und eine mit Knallfarbenplastik gerahmte Sonnenbrille, wie sie Jahre später hip werden sollte. Ich war beeindruckt von dieser Attitude und Erscheinung. Ja, ich war Alison Mosshart in diesem Moment ein bisschen verfallen.

The Kills

Christian Lehner

The Kills 2007, kurz vor dem Interview noch in bester Laune und mit einer vertauschten Brille ...

Denn der hinterschlaue Journalist war natürlich ich und der fluchende Rausstürmer Jamie Hince von The Kills. Ich wollte ihn damals im Dezember 2007 gar nicht zu seiner neuen Freundin, einer gewissen Kate Moss befragen. Das wurde vor dem Interview von der PR-Person als No-Go-Area definiert. Und obwohl mich die Liaison ehrlich gesagt überhaupt nicht interessierte, wurde ich doch neugierig. Ich fragte Jamie, wie sich der neugewonnene Celebrity-Status inklusive Paparazzi-Jagden durch London auf den Alltag einer relativ unbekannten Band auswirken würde. Die Antwort bekam ich prompt serviert, allerdings anders als ich mir das damals vorstellte.

The Kills werden im August beim FM4 Frequency ihren einzigen Österreich-Gig spielen. Am kommenden Mittwoch gibt es ab 22 Uhr ein Special im House of Pain zu The Kills.

Fast zehn Jahre später sitze ich Alison Mosshart erneut in Berlin gegenüber und aus dem coolen Rock’n’Roll-Kid ist eine offenherzige Gesprächspartnerin geworden. Alison erzählt von ihrem enormen Output an Texten und Bildern, von ihrer Liebe zu Autos und der amerikanischen Mobilität. Und von der Zitterpartie nach dem Unfall von Gitarrist Jamie Hince, als man ihm eine Sehne der Greifhand entfernen musste und somit eine Zeit lang das Ende der Kills im Raum stand (das vollständige Interview kann man hier nachlesen).

The Kills

Christian Lehner

Alles wieder gut: The Kills beim FM4-Interview in Berlin 2016

Fünf Operationen, eine Reise mit der Transibirischen Eisenbahn und eine Albumsession in einer eigens dafür umgebauten LA-Mansion später liegt nun "Ash & Ice", das fünfte Album von The Kills, vor. Die Grundbausteine ihres Trademark-Sounds sind noch intakt, allerdings ist das Fundament etwas weicher geworden. Neben den üblichen Elektro-Blues-Gitarren-Krachern wie "Bitter Fruit" (weltbestes ZZ-Top Riff!), "Doing It To Death" (weltbestes Friedhofsvideo!), "Black Tar" (weltbeste Tautologie!) oder "Siberian Nights" (weltbester Wolf!) überraschen The Kills mit Balladen, die man ruhig als wehmütig und erschöpft bezeichnen kann.



"That love is fucked up", singt Mosshart an einer Stelle über ein verwelkendes Western-Piano. "Hum For Your Buzz" wiederum ist das große Bedauern phrasiert wie von einer R&B-Diva. Auch vergangene The-Kills-Alben kannten ihre Ruhephasen, etwa das großartige "Black Balloon" auf "Midnight Boom" (2008) oder "The Last Goodbye" auf "Blood Pressures" (2011). Doch so expressiv wie auf "Ash & Ice" hat man Mosshart überhaupt noch nie gehört.



"Ich habe den Song in etwa fünf bis zehn Minuten geschrieben. Das war ein einziger, langer, etwas verrückter Gedankengang. Ich kann Dir nur sagen, wie es sich anfühlt, das Stück auf der Bühne zu singen. Da stehst du dann und die Schutzschichten fallen eine nach der anderen ab und du arbeitest dich immer tiefer vor und sagst all diese Sachen, die so schwer zu sagen sind. Dieser Song verlangt mir alles ab und ich zittere förmlich, wenn ich ihn singe. Ich hoffe, dass man das auch in der Aufnahme spürt."

The_Kills___Ash&Ice_Artwork

Domino Records

The Kills waren immer eine Band, die sich gegen Vereinnahmungen gewehrt hat. Das ist an sich nichts Besonderes, denn das haben so ziemlich alle MusikerInnen getan, die ich bisher getroffen habe. Man will nicht mit den Hypes und Moden (in diesem Fall das Garagen-Rock-Revial Ende der Neunziger) aufgebaut und entsorgt werden. Man will als singuläre Erscheinung wahrgenommen werden. So gab Jamie Hince im Pressetext zum neuen Album zu Protokoll, dass er, obwohl die Band längst etabliert sei, noch immer das Gefühl habe, gegen den Rest der Welt ankämpfen zu müssen - auch das ein Urklischee des Rock’n’Roll. Doch Alison Mosshart weiß natürlich um die Bedeutung dieser Aussage:

"Wir sind einfach unsere eigene kleine Gang, eine Zwei-Personen-Kunstbewegung, wenn Du so willst. Am Anfang nahm uns niemand ernst und wir hatten keine Ahnung, ob wir es je schaffen würden. Wir haben heimlich unsere Songs geschrieben und unsere kleinen verschworenen Spielchen gespielt. Das ist im Wesentlichen so gelieben."



The Kills haben tatäschlich immer ihren eigenen Weg gesucht und sich nie dem gängigen Koordinatensystem des Rock angepasst - ähnlich wie die von Mosshart hoch verehrten Queens Of The Stone Age oder The-Dead-Weather-Partner Jack White. Die tief im Rock’n’Roll und Blues knieenden Klischees und Referenzen werden zu einer Form für Sehnsüchte und Leidenschaften, die sich im Song oder auf der Bühne manifestieren und keine dumpfen und heuchlerischen Handlungsanleitungen für den Alltag liefern. Mosshart und Hince haben keine Berührungsängste mit der Welt der Mode und der Kunst und auch nicht mit dem Begriff Pop. Und der hat auf "Ash & Ice" eine Fransenlederjacke an, düst in einem Dogde Challenger über staubige Highways und den Trockennebel deiner Lieblingsdisco direkt in deine Fantasy. Wie gut, dass es The Kills gibt.