Erstellt am: 2. 3. 2016 - 18:27 Uhr
Herz in Flammen
Ihr kennt das sicher: Eine außerordentlich gute Nachricht trudelt ein und plötzlich ist die Aufregung so groß, dass es schwer ist, die Gedanken zu ordnen und die richtigen Worte zu finden. Wann mir so ein Euphorieschub das letzte Mal im Zusammenhang mit Musik passiert ist, da muss ich jetzt wohl länger nachdenken. Heute Vormittag war es jedenfalls soweit.
The Kills haben nach fünf Jahren quälender Pause einen neuen Song, inklusive Musikvideo, in die sozialen Netzwerke abgefeuert. Und mein Herz steht in Flammen.
Domino Records
Rock'n'Roll-Spirit und Affinität für Beats
Wie destilliere ich nun meine Begeisterung über die Rückkehr von Alison Mosshart und Jamie Hince in angemessene Zeilen? Vielleicht zunächst mit einem kurzen Milleniums-Flashback. Nachdem gegen Ende der 90er-Jahre im Popuniversum eine allgegenwärtige Fadesse herrscht, zwischen jammernden Indie-Gesängen, akademischem Postrock, immer belangloser dahinplätscherndem Friseursalon-House und Legionen von herumfrickelnden Laptop-Nerds, kündigt sich zur Jahrtausendwende eine kleine Revolution an.
Das Nachtleben wird rauher, glamouröser, musikalisch eklektischer, Disco, New Wave und Electro geben plötzlich den pulsierenden Ton an. Parallel dazu macht sich auch in der Indie-Szene eine fiebrige Energie breit, roher Rock'n'Roll hallt wieder durch Proberäume und Clubs zwischen London und New York. The-Bands wie die Strokes, White Stripes oder Libertines lassen verstaubte Gitarrenmusik erneut mitreißend klingen, die Yeah Yeah Yeahs oder Interpol beamen den schattseitigen Postpunk in die damalige Gegenwart.
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Mittendrin in diesem Hype-Aufruhr steht ein Duo, das aus sämtlichen herumzirkulierenden Retro-Styles nur die pure Essenz nimmt und daraus ein ganz eigenes Ding kondensiert. The Kills, bestehend aus der US-Sängerin Alison Mosshart und dem britischen Gitarristen Jamie Hince, ergänzt von einer simplen Drummachine, verknüpfen den rohen Spirit des Rock'n'Roll und Blues mit einer Affinität für Beats und Grooves abseits des Bumm-Bumm-Tschak dahindreschender Rockcombos. Ungeheuer minimalistisch ist diese Musik, extrem intensiv, verdammt sexy und melancholisch und fies zugleich. It's all about Lust und Leidenschaft, Baby.
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Die private Entfremdung eines Bühnenpaars
Album-Meisterwerke wie "Keep on Your Mean Side" (2003), "No Wow" (2005) oder "Midnight Boom" (2008) pendeln abwechslungsreich zwischen krachigen Aggro-Stücken, traumhaften Balladen, Rockabilly-Zitaten und Dub-Einflüssen, aber immer im Rahmen der strengen Selbstbeschränkung, die sich die Kills von Anfang an auferlegen.
Live stehen VV und Hotel, wie sie sich damals nennen, mal zittrig auf der Stelle, dann schwitzen und singen sie sich aus nächster Nähe an, ruhelos, ekstatisch. Ein eng verschweißtes und, das muss man schon sagen, wahnsinnig geil aussehendes Bühnenpaar, das privat aber nur bestens befreundet ist, sowas liefert natürlich auch Stoff für Klatschkolumnen.
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Um die Zeit von "Blood Pressures", dem bislang letzten spitzenmäßigen Album der Kills anno 2011, nimmt der Tratsch um das Duo aber unangenehm zu. Und schwappt auch in den Mainstream über. Der Grund ist bekanntlich die Affaire von Jamie Hince mit Supermodel Kate Moss, die in einer Hochzeit mündet. Als ihr der Musik- und Freizeitkumpel durch die Ehe für eine Weile abhanden kommt, geht Alison Mosshart mit Jack White künstlerisch fremd. Die Rock'n'Roll-Supergroup The Dead Weather besticht mit einigen großartigen Songs. Aber an die spezielle Magie der Kills kommt das Projekt genauso wenig heran wie andere lässige Kollaborationen der Gesangsgöttin.
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Die Welt braucht The Kills
Rückblende beendet, Schnitt ins Hier und Jetzt. Endlich sind meine Gebete erhört worden, die ich immer im Kopf formulierte, wenn ich in den letzten Jahren fast jedes DJ-Set meinerseits mit demselben Kills-Song eröffnete. Anfang Juni soll ein neues Album von Alison und Jamie erscheinen, es wird "Ash & Ice" heißen und 13 Songs mit Titeln wie "Heart Of A Dog", "Hard Habit To Break" oder "Hum For Your Buzz" enthalten.
Von mehreren komplizierten Handoperationen, nach denen Mr. Hince erst wieder Gitarre spielen lernen musste, spricht der Pressezettel, und von einsamen Fahrten seinerseits mit der transsibirischen Eisenbahn, während Madame Mosshart in ihrem Haus in Nashville an den Lyrics arbeitete.
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Braucht die Welt 2016 The Kills? Oh ja, und wie. Denn ohne kulturpessimistisch herumsudern zu wollen: Ein bisschen fühlt sich die Stimmung Mitte der Zehnerjahre wie in den erwähnten Late-90ies an. Urviele, urgut spielende Bands verbreiten leider oft eine Urfadessse (genau, ich denke jetzt an aktuelle BBC-Watchlists und Vorschaulisten engagierter Papiermedien), weil hinter all dem perfekt konstruiertem Dreampop/Deutsch-Pop/Folk-Pop eine Bravheit und Biederkeit schlummert, die an vernünftige Bachelor-Studien-Abgänger statt irrationale Pop-Bohemiens denken lässt.
Kein Wunder, dass die Massen einerseits zur Black Music mit ihren Versprechungen von Futurismus und niedrigen Instinkten flüchten. Oder dass andererseits in Clubs, in denen noch ein Resthauch einer verblassten Indie-Attitude regiert, ein konstantes Bombardement von abgedroschenen Hits vergangener Dekaden aus den Boxen pumpert. Weil vielen dieser Nummern eben noch Spurenelemente von Gefährlichkeit und auch die Aura von Drama anhaften.
Begräbnis und Exhumierung zugleich
Nach einem Nostalgie-Soundtrack für alternde Millennials hört sich die neue The-Kills-Single jedenfalls nicht an. Wie ein zuckeliger R'n'B-Track beginnt "Doing It To Death", bis eine herrlich verhallte Gitarre einsetzt und die Sehnsuchts-Stimme von Alison Mosshart ertönt. "Baby save it, we’re wasted," singt sie, "I know we gotta slow it down."
Nicht nur die persönliche und musikalische Erschöpfung klingt da durch, mit denen die Kills in den letzten fünf Jahren oft kämpften, auch die erwähnte Ermüdung der Popkultur spiegelt sich. Und es ist wohl auch der Rock'n'Roll, dessen Kadaver im fantastischen Video zum x-mal begraben wird. Und im Juni dann ekstatisch exhumiert, wenn "Ash & Ice" herauskommt. The Kills sind wieder da, mein Herzerl brennt, was für eine schöne Nachricht.