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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

24. 5. 2016 - 18:29

FPÖ als Modell für Euopas Rechtspopulisten

Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak zeichnet in ihrem neuen Buch nach, mit welchen diskursiven Strategien rechtspopulistische Parteien von einem Randphänomen zum politischen Mainstream wurden. Wir haben mit ihr über den gerade beendeten Präsidentschaftswahlkampf gesprochen.

Ruth Wodak ist Sprachwissenschaftlerin und emeritierte Professorin der Uni Lancaster. Sie ist vor allem dadurch bekannt geworden, dass sie den Aufstieg Jörg Haiders und der FPÖ analysiert und erklärt hat.

Ruth Wodak

Ruth Wodak

Gerade ist ihr neues Buch "Politik mit der Angst - Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse" erschienen, das sie im Rahmen der Wiener Festwochen vorgestellt hat.

In dem Buch zeichnet sie nach, mit welchen diskursiven Strategien rechtspopulistische Parteien von einem Randphänomen zum politischen Mainstream wurden. Wir haben Ruth Wodak ins FM4 Studio eingeladen und sie gefragt, wie der gerade zurückliegende Präsidnetschaftswahlkampf in das Muster solcher rechtspopulistischer Diskurse passt.

Der österreichische Präsidentschaftswahlkampf, war das ein Lehrstück in rechtspopulistischer Kommunikation, oder ist die FPÖ doch nicht ganz durchgekommen mit ihren Strategien?

Das war sicherlich ein Wahlkampf ganz in der Tradition rechtspopulistischer Rhetorik, aber auch mit den entsprechenden Inhalten. Man kann beim Rechtspopulismus sicherlich nicht nur von Kommunikationsstrategien sprechen - populistische Strategien verwenden alle Politiker und Politikerinnen - es kommt immer auch auf die Inhalte an.

Der bewusste Tabubruch ist eine Strategie der Rechtspopulisten, sagen Sie, und die Medien fallen drauf rein. Ist der Tabubruch im Wahlkampf von Norbert Hofer auch vorgekommen? Der war doch ein totaler Kuschelkandidat.

Es gab im Unterschied zu früheren Wahlkämpfen - ich erinnere an Frau Rosenkranz beim letzten Bundespräsidentschaftswahlkampf 2010 - keinen derartigen Tabubruch. Es ist eher ein Tabubruch in Bezug auf die Diskussion über den Brenner passiert. Ich lebe momentan in Florenz, drei Monate am European University Institute, ich bin dort ein Fellow am Schumann-Center. Dort waren alle überrascht, als sich die Diskussion um den Brenner, die Brennergrenze, plötzlich auch um Südtirol gedreht hat. Das hat international, also beispielsweise in Italien, absolut als Tabubruch gegolten. So ein Thema wieder aufzugreifen, das erledigt schien, und zwar auch gut erledigt schien. Solche Tabubrüche oder Skandalisierungen wie ich sie auch nenne, dienen ja dazu, Themenführung zu erlangen.

Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einem "Perpetuum Mobile". Wie funktioniert das?

Dieses Perpetuum Mobile beobachte ich schon lange Zeit. Rechtspopulistische Parteien bedienen sich der Medien in sehr geschickter Weise und Skandale verkaufen sich auch gut. Daher werden provokative Äußerungen lanciert - also Tabubrüche, auch sehr bewusst geplant -, die dann als Sager relativiert werden. Und dann beginnt sich dieses Perpetuum Mobile zu drehen: Zunächst reagieren alle darauf, alle möglichen Menschen werden um ihre Meinung dazu gebeten. Dann kommen Dementi, so hat man es nicht gemeint, es anders gesagt oder es wurde aus dem Kontext gerissen o.ä. Letztlich stilisieren sich die PolitikerInnen, die das in Schwung gebracht haben, als Opfer einer Kampagne und es kommt zu einer Opfer-Täter-Umkehr. Diejenigen, die eigentlich diesen Tabubruch begangen haben, stilisieren sich als Opfer derjenigen, die über den Tabubruch berichten. Und dann wird gesucht, wer hinter dieser Kampagne stecken könnte. Dann geht es um Verschwörungen, die überall geortet werden. Das kann im Inland, im Ausland sein. Bei Minderheiten, Eliten, sonst irgendjemanden. Auch bei der Presse. Und letztlich werden dann sogenannte Schuldige verortet, die als Sündenböcke dienen. All das dient zur Ablenkung von der ursprünglichen Äußerung und wird in den Medien Schritt für Schritt berichtet, füllt die Blätter wochenlang. Schließlich kommt es eventuell zu einer "ambivalenten Entschuldigung". Jemand sagt, eigentlich müsse man sich entschuldigen. Oder man wurde aufgefordert, sich zu entschuldigen. Das heißt dann gleichzeitig: Ich entschuldige mich, aber eigentlich will ich mich nicht entschuldigen, ich stehe noch immer dazu. Und damit ist dieses Thema beendet und es ist Platz für den nächsten Skandal. Durch diese Dynamik wird die Themenführung übernommen, und andere Themen, die wichtiger wären als irgendeine skandalöse Äußerung, finden keinen Platz. Ich denke, dass es wichtig wäre, eine rationale Debatte zu bevorzugen und unterschiedliche Themen zuzulassen und nicht in diese Dynamik immer wieder hineinzutappen.

Der FPÖ-Kandidat hat plakatiert "Das Recht geht vom Volk aus", die Präambel der Verfassung. Aber welches Volk meinen rechtspopulistische Parteien wirklich damit?

Stacheldraht, Buchcover

Edition Konturen

Das Volk, das hier gemeint ist, wurde ja auch im Wahlkampf definiert: Das sind jene Österreicher und Österreicherinnen, die eine Staatsbürgerschaft besitzen. Dann wurde aber auch noch eine weitere Unterscheidung getroffen, nämlich zwischen der Schickeria und den "wahren Österreichern", die eben auch "Menschen" seien. Wo sich ja die Frage stellt: Sind die anderen keine Menschen? Und wer ist diese Schickeria? Das ist ein interessanter Begriff, der ja letztlich immer dazu gedient hat, eher die Yuppie-Szene zu bezeichnen, nicht unbedingt intellektuelle Eliten, Medien, Politiker, Künstler oder andere. Insofern wurde das Volk sehr klar definiert, als jene mit den Werten, die die FPÖ vertritt. Und das sind teilweise sehr konservative Werte. Ich spreche hier also besonders die Gender-Dimension an. Es ist ja interessant, dass viel mehr Frauen Van der Bellen gewählt haben, als Männer. Da wurden Dinge angesprochen, zum Beispiel die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare, die Abtreibungs-Diskussion wurde noch einmal angeheizt, obwohl das ja in Österreich kein Thema mehr ist - zumindest nicht in der breiten Öffentlichkeit. Es wurden also Themen benutzt, die zu einer Polarisierung in der Geschlechterdiskussion geführt haben.

Zum Gender Gap bei der aktuellen Wahl - sie schreiben, das ist nichts Neues und das gibt es in ganz Westeuropa. Sie zeigen auch, dass rechtspopulistischen Parteien ganz eindeutig patriarchale Politik verfolgen. Familie, Frau und Mutter, trautes Heim etc. Das heißt, das bietet weniger Identifikationspotenzial für Frauen?

Das ist ein interessantes Phänomen, es geht ja nicht darum, dass nicht auch Frauen diese Werte vertreten. Es gibt ja sehr starke führende Frauen in den diversen rechtspopulistischen Parteien. Ob wir jetzt an die AfD denken, oder an Marine Le Pen oder Sarah Palin früher in den USA. Es geht darum, die traditionelle Familie wieder als Kern der Gesellschaft zu definieren und sich letztlich wieder eine sehr homogene Form der Gesellschaft vorzustellen, keine pluralistische, in der wir jetzt leben. Ich denke, es geht um ein rückwärtsgewandtes Bild, auch in Bezug auf die Geschlechter-Dimension. Viele Fortschritte, die wir in den letzten Jahrzehnten erkämpft haben, sollen wieder abgedreht werden. Dazu zählen Gleichberechtigung bei der Bezahlung, die noch nicht erreicht wurde in vielen Bereichen. Aber auch partnerschaftliche Betreuung von Kindern und und und... All diese Phänomene stehen plötzlich wieder zur Disposition. Das ist jetzt auch ein Phänomen in den USA, wenn man Trump beobachtet - der ein unglaublich frauenfeindliches Bild verbreitet. Die Wählerinnen und Wähler dieser Parteien bestehen vor allem aus weißen Männern. Und zwar nicht armen Männern, sondern durchaus Mittelschicht-Männern.

Inwieweit ist die FPÖ und ihre Strategie typisch für den Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa - und wo ist sie anders oder besonders?

Man könnte sagen, dass die FPÖ als Modell gedient hat, in Europa sind ja viele Parteien erst nachgefolgt. Dann gabe es die Schweizer Volkspartei und den Front National, beides auch sehr starke Parteien, und die Berlusconi-Partei. Wenn Sie jetzt schauen, haben wir unterschiedliche Parteien, die sich teilweise wirklich nur gegen die EU oder gegen den Islam richten, aber nicht so ein breites Programm ansprechen wie etwa die FPÖ oder der Front National. Insofern muss man sagen, dass das Alleinerkennungsmerkmal der FPÖ sicher die lange Tradition ist. Die stammt ja von der VDU und den Vorgängern der VDU - nämlich auch in den nationalsozialistischen Wählern und Wählerinnen. Dann hat sich diese Partei geändert in einen liberalen und eher in einen rechten Flügel und jetzt dreht sie sich immer wieder von einer eher revisionistischen zu einer rechtspopulistischen Programmatik. Diese lange Tradition, aber auch dieses kollektive Gedächtnis, diese vielen unterschiedlichen Wählerschichten, machen sicherlich ein besonderes Merkmal der FPÖ aus.

Angst ist ein zentrales Motiv, mit dem Rechtspopulisten spielen. Angst wovor eigentlich?

Angst kann man vor allem möglichen haben. Angst ist ein psychischer Zustand, ein Phänomen, wie man sich selbst zur Umwelt begreift. Und diese Umwelt kann nun in allen möglichen Aspekten als zugänglich konstruiert werden oder als bedrohlich. Heutzutage erleben wir diese Konstruktion und diese Übertreibung von Angst in vielen Bereichen. Wobei Sprache da natürlich durchaus behilflich ist. Wenn man Flüchtlinge vor allem als "Tsunami" beschreibt, werden Naturgewalten an die Wand gemalt, denen man hilflos ausgeliefert ist, die einen überschwemmen. Wenn man von einer Invasion spricht, also von einem Heer mit Waffen, wo eigentlich hilflose Menschen, die mit Plastiksackerln und barfuß über die Grenze kommen, gemeint sind, da werden Bilder gezeichnet, die letztlich Angst erzeugen beziehungsweise beflügeln. Angst kann man aber natürlich auch vor dem Untergang der eigenen Existenz haben, und insofern wird durch die ökonomische Problematik, die wir alle zur Zeit erleben, durch erhöhte Arbeitslosenzahlen, zusätzliche Angst vor Verlust erzeugt.

Angst vorm Abstieg?
In FM4 Auf Laut diskutieren wir am Dienstag, den 24. Mai, über reale und vermeintliche Abstiegsszenarien der Mittelschicht in Österreich.

Heute Abend gibt es eine Sendung über die Abstiegsangst der Mittelschicht - ist das auch etwas, das rechtspopulistische Parteien als Angstmotiv bedienen?

Ja sicherlich. Die ja durchaus legitime Angst vor Abstieg, in einer sehr unsicheren Zeit mit viel Arbeitslosigkeit, ist ein wichtiges Thema. Das sollte von allen Parteien besprochen werden und es sollte dazu auch Programme geben. Wenn man simple Lösungen anbietet und sagt "Jemand nimmt uns die Jobs weg" oder "Warum wird jemandem Geld gegeben, anstatt dass es uns, den wahren Österreichern gegeben wird" dann hat man diese Angst kanalisiert und gleichzeitig eine sehr simple Lösung gefunden. Nämlich: Wenn es die Migranten und Flüchtlinge nicht gäbe, dann müssten wir diese Angst vielleicht nicht haben. Das ist natürlich falsch, weil zum Beispiel die ökonomische Krise ganz andere Ursachen hat.

Kaum war klar, dass nur wenige Stimmen die Wahl entscheiden werden, hat die FPÖ schon Gerüchte über "eigenartige Auszählungen" gestreut. Wie wichtig sind Verschwörungstheorien für rechtspopulistische PolitikerInnen - und warum sind sie so schwer zu widerlegen?

Verschwörungstheorien sind ein bekanntes Mittel in diesem rechtspopulistischen Perpetuum Mobile. Irgendwer muss immer schuld sein und man selbst ist Opfer irgendeiner Verschwörung, weil man selbst nicht irgendeinen Anteil an einer Problematik oder einem Fehler oder einer Niederlage zugeben kann. Verschwörungen bieten sich auch an, um Ängste zu schüren. Wenn man nicht weiß, wer da wirklich dahinter steckt und welche vorgestellten Mächte im In- und Ausland das vielleicht angezettelt hätten, dann kann man Phantasien und Vorurteile füttern. Das kann das Finanzkapital sein, die jüdische Weltverschwörung, aber natürlich auch die Opposition oder irgendwelche Eliten. Oder ausländische Politik, Brüssel, die EU,... Auch - und immer mehr - die sogenannte Lügenpresse. Auch ein sehr schlecht konnotierter Begriff aus der Vergangenheit, der jetzt wieder herangezogen wird. Und solche Verschwörungstheorien kann man kaum widerlegen. Wenn z.B. ein sogenannter Fakten-Check gemacht wird, dann kann man wieder sagen: Das steht in der Lügenpresse, das glauben wir sowieso nicht. Letztlich kann man alles abschieben und bleibt in diesem Verschwörungszusammenhang stecken.

Sie identifizieren noch den Antisemitismus als klassische Strategie des Tabubruchs der FPÖ (Holocaustleugnung etc.) - in letzter Zeit hat die FPÖ allerdings versucht, sich pro Israel zu positionieren. Und dafür gegen den Islam. Hat sie da eine Gesinnungswandlung durchgemacht?

Ich denke, das muss man genauer beobachten. Pro Israel zu sein, heißt nicht, dass man nicht antisemitisch sein kann. Das ist ein Trugschluss. Antisemitismus heißt, dass man Vorurteile gegen Juden hat, Juden als Gruppe genommen. Auf der anderen Seite gibt es das Land Israel, einen bestimmten Staat. Und wenn man sich anschaut, wen die rechtspopulistischen Parteien dort mit Vorliebe treffen - und das ist ja nicht nur die FPÖ, das ist auch der Front National oder Geert Wilders und seine Partei - so sind das vor allem sehr rechte Gruppierungen in Israel, das natürlich ein sehr heterogenes Land mit sehr vielen Parteien ist. Also besucht man dort gesinnungsverwandte Gruppierungen und versucht eine Koalition - sicherlich gegen den Islam - herzustellen. Das hat aber meines Erachtens nach gar nichts mit Anti-Antisemitismus zu tun. Also mit den alten Vorurteilen, derer sich viele ja in der Vergangenheit bedient haben. Und auch vor kurzem, wie ich in meinem Buch mit recht rezenten Beispielen aufschlüssle.