Erstellt am: 24. 5. 2016 - 17:44 Uhr
Angst vorm Abstieg?
FM4 Auf Laut: Abstiegsangst aus der Mittelschicht?
Am Dienstag, den 24. Mai live ab 21 Uhr und im Anschluss im für 7 Tage im FM4 Player. Anrufen und mitdiskutieren!
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Die Angst vor sozialem Abstieg. Die einen fürchten um ihren Job in der andauernden Wirtschaftskrise, die anderen wegen "Rationalisierungen" oder vermehrter Konkurrenz. Andere widerum arbeiten ständig prekär, haben sowieso keine Anstellung und müssen von Monat zu Monat bangen, ob sie ihren Lebenstandard halten können.
LangzeitpraktikantInnen, nicht selten bereits über 30, können oft nicht mal ausgabendeckend jobben. Die Zahl jener, die überhaupt keinen Job haben, steigt in Österreich derzeit bekanntlich von Jahr zu Jahr. Und zu diesen Ängsten gesellt sich der zunehmende Eindruck, dass politische EntscheidungsträgerInnen nicht genug tun, den (drohenden) sozialen Abstieg von Betroffenen aus immer mehr Bevölkerungsschichten zu verhindern. Das Gefühl der sozialen Sicherheit ist also für viele fragil geworden.
APA/HELMUT FOHRINGER
Dazu kommt der verstärkt vermittelte Eindruck, derzeit auffallend neben manchen Parteien auch von einzelnen Mittelschichtsangehörigen geäußert, dass die Sicherheit im öffentlichen Raum abnehme (zum Beispiel die Empörung des Journalisten Thomas Rottenberg über Zustände in der Wiener U6 und hier dazu eine Hinterfragung von Olivera Stajic bezüglich der Art des Aufschreis und scheinbar naheliegender Schlussfolgerungen).
Warum sind ÖsterreicherInnen im internationalen Vergleich mit ihrem Lebensumfeld relativ zufrieden und fürchten gleichzeitig den Verlust davon? Was ist gefühlter gefürchteter sozialer Abstieg und welcher ist tatsächlich eingetreten oder droht real?
Stabile Mittelschicht in Österreich...
Die Schere zwischen arm und reich geht auseinander, die Mittelschicht wird kleiner. Der internationale Trend stimmt in vielen Ländern, aber nicht in allen. Wie sieht es hierzulande aus? In Österreich, so differenziert Michael Förster von der OECD, könne zwar aufgrund verschiedener Datenquellen kein Vergleich der Gegenwart mit den 90er Jahren gezogen werden, aber jedenfalls gibt es seit 2007 eine stabile Mittelschicht bei der Verteilung der Einkommen.
Tatsäschlich ist die gesellschaftliche Mitte je nach definierten Ober- und Untergrenzen unterschiedlich breit, zeigt aber bei mehreren Definitionen eine stabile Entwicklung. Das Einkommen besteht aus Lohn oder Pension und Sozialleistungen wie beispielsweise der Familienbeihilfe. Nimmt man alle Einkommen zwischen 70 Prozent und 150 Prozent des Medianeinkommens, so gehören in Österreich 55% der Mittelschicht an. Das sind alle Personen in Haushalten, in denen das Nettoeinkommen pro Kopf zwischen 1450 und 3150 Euro netto liegt. Die OECD berechnet auch nach der breiteren Definition bis zu 200% vom Medianeinkommen, dann sind in Österreich 71% Mittelschicht und zum Vergleich dazu in Deutschland 61% und in den USA 50%.
OECD calculations from the OECD Income Distribution Data Base
Auf Anfrage von FM4 hat man bei der OECD, weil so breit definiert, nochmals in untere, mittlere und obere Mittelschicht eingeteilt und auch da bleiben die Bevölkerungsgruppen im letzten Jahrzehnt gleich groß. Das bedeutet: hinter der großen Mittelschichtsdefinition verbirgt sich kein Trend der Polarisierung.
Man kann natürlich in Frage stellen, ob jemand mit 4200 Euro Netto noch der gesellschaftlichen Mitte angehört, der Anteil ist jedenfalls am oberen wie am untern Ende nicht größer geworden. Die Verteilung der Einkommen kann natürlich nicht isoliert betrachtet werden, eine größer werdende Kluft zeigt sich bei der Vermögensverteilung. 10 Prozent besitzen 69 % des Vermögens in Österreich. Und: Kostensteigerungen wie etwa bei Wohnungsmieten vergrößern die Ausgaben beträchtlich. Dennoch: ein bedeutender Markierstein der Mittelschicht, ihr Einkommen, ist inflationsbreinigt stabil.
...und auch größere Abstiegsrisiken
Was verrät die OECD Statistik nicht? Die Berechnung beobachtet keine Verläufe von Einzelpersonen. Sie sagt nichts darüber aus, ob einzelne Personen die Höhe des Einkommens halten, verbessern oder verschlechtern. Es ist also nicht klar, wieviele Menschen abrutschen, ob und wie schnell sie sich wieder erholen oder ob sie aufsteigen.
Diakonie
Sozialexperte Martin Schenk stellt fest, dass beides stimmt: ein stabil großer Bevölkerungsanteil, der mittlere Einkommen in einem Sozialstaat bezieht, der nach wie vor vieles abfedert und gleichzeitig aber eine Zunahme von Armutsrisiken in der Gesellschaft.
Davon betroffen sind nicht nur Menschen mit niedriger Bildung, sondern auch höher gebildete junge Menschen, die aus prekären Arbeitsverhältnissen nicht rauskommen oder ältere ArbeitnehmerInnen, wenn gröberes Unvorhergesehenes wie eine schwerer Krankheit auftritt. Da beginnt dann oft der wirtschaftliche Abstieg.
Außerdem: "Es wird ungemütlicher, ohne dass Menschen automatisch an Einkommen verlieren, aber sie haben mehr Stress, müssen die doppelte Arbeit für den selben Lohn verrichten, die Konkurrenz am Arbeitsmarkt nimmt zu."
Schenk berichtet von Interviews mit prekär beschäftigten Frauen oder Facharbeitern in der Steiermark, deren Qualifikation nicht mehr gebraucht werden, die in neuen Jobs keine Anerkennung mehr erfahren. Schenk ortet Ohnmachtsgefühle bei den Betroffenen, weil sie nicht mehr den Eindruck haben, ihre soziale Sicherheit durch Fleiß am Arbeitsmarkt unter Kontrolle zu haben.
Sozialexperte Schenk vermutet, dass vermehrt Menschen aus der Mittelschicht rausfallen, es ihnen aber möglicherweise gelingt, sich dorthin wieder hineinzukämpfen.
FM4 Auf Laut: Abstiegsangst aus der Mittelschicht?
Was denkst du? Was bedeutet Mittelschicht und der mögliche Abstieg daraus und wen betrifft es? Müssen wir von zu hohen Erwartungen runter steigen? Gibt es neben der stabilen Mitte mehr Superreiche und stärker ausgeprägte Armut? Und welche Rolle spielt das fragwürdige subjektive Sicherheitsgefühl bei der Einschätzung der gesellschaftlichen Schieflagen? Claus Pirschner diskutiert darüber mit dem Sozialexperten Martin Schenk von der Armutskonferenz. Und mit euch: Ab 21 Uhr auf Radio FM4. Die Nummer ins Studio: 0800 226 996
Im Anschluss könnt ihr die Sendung für 7 Tage im FM4 Player anhören.