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Pia Reiser

Filmflimmern

19. 5. 2016 - 12:34

Apocalypse, Jau!

Nomen est Omen. Ein Ur-Mutant namens Apocalypse führt nichts Gutes im Schilde, dabei ist "X-Men: Apocalypse" so viel besser, wenn die Teenager Mutanten einfach nur die Popkultur der 1980er Jahre umarmen.

Da lobt man gerade noch „Captain America: Civil War“ für den dezenten, unmaskierten Bösewicht ohne verzerrte Stimme (Daniel Brühl), da kommt „X-Men: Apocalypse“ und setzt einem En Sabah Nur, Rufname Apocalypse vor. Quasi ein Urmutant, der nach jahrhundertelangem Schlaf wieder aufersteht und feststellen muss, dass sich einiges geändert hat seit ca. 3000 vor Christus. Apocalypse erfährt von Reagan, nuklearer Aufrüstung, der Wall Street und schnell wird ihm klar: Da hilft nur der übliche 2-Punkt-Bösewichts-Plan: Zerstörung der Erde, Auslöschung der Menschheit.

Oscar Isaac als Apocalypse

centfox

I am the god of hellfire and I bring you: fire

Zuvor gilt es noch vier apokalyptische Mutantenreiter zu finden, die ihm hilfreich in Sachen Welt-Showdown zur Seite stehen. Dass da irgendwo hinter Make Up und CGI, irgendwo in diesem Kostüm, das halb Pharao, halb Robocop ist, Oscar Isaac steckt, erfahre ich erst via Abspann. Was für eine Verschwendung des fantastischen Schauspielers (und sind wir mal ehrlich, auch seiner fantastischen Haare), der hier im Grunde nur herumsteht, theatralisch die Arme hebt und den üblichen Mumbojumbo-Sermon der Weltauslöschung deklamiert. Mit digital verzerrter Stimme.

Für Zwischentöne ist bei einer Figur, die Apocalypse heißt und deren Name auch gleich Programm ist, kein Platz. Doch während bösewicht- und showdownmäßig der sechste X-Men-Film Dienst nach Vorschrift macht, auf Getöse setzt bis man nur mehr weißes Rauschen sieht und hört, steckt der Reiz und Charme hier in den Szenen, in denen weder Größenwahn noch CGI-Spompanadeln die Leinwand einnehmen. Die X-Men brauchen ja im Grunde keinen Bösewicht, hadern sie doch ohnehin so sehr mit sich selbst.

Centfox

Die gequälteste Figur ist Erik Lehnsherr (Michael Fassbender), der sein Alter Ego Magneto (und dessen dämlichen Helm) an den Nagel gehängt hat und in Polen mit Frau und Kind in einem kleinen Haus im Wald lebt. Er wird wieder alles verlieren, was ihm wichtig ist und es ist Michael Fassbenders fantastischem Spiel zu verdanken, dass die Szene, in der - eigentlich ein bisschen gar patschert inszeniert - Lehnsherrs Glück zerstört wird, einen doch rührt. Selbst wenn man von ihm verlangt, auf die Knie zu fallen, die Hände zu Fäusten zu ballen und gen Himmel zu brüllen "Is that what you want me to be" so ist das bei Fassbender nicht comichaft camp, sondern roh und schmerzhaft.

Michael Fassbender

centfox

So einer, der zum zweiten Mal alles verloren hat und dessen Zorn auf die Menschheit neu aufblüht, ist natürlich ein idealer Kandidat für eine noch zu besetzende Stelle als Reiter der Apocalypse. Bereits eingefunden an der Seite von Apocalypse haben sich Storm, Angel und Psylocke, letztere muss ein Kostüm tragen, und die Kostüme von Superheldinnen stammen wie so oft aus einem Beate-Uhse-Fundus. Wenn Magneto dann auch wieder den Deppenhelm aufsetzt, schauen die Fünf aus wie eine Band mit gar nicht so schlechten Chancen beim Eurovisions-Songcontest.

Um Magneto von der Teilnahme bei der Weltzerstörung zu überzeugen, bringt Apocalypse ihn nach Auschwitz - dorthin, wo Eriks Eltern umgebracht wurden. Die X-Men-Filme waren immer auch dadurch interessant, dass sie keine Parallelwelt erschaffen haben, sondern die Geschichtsschreibung, die wir kennen, um die Existenz von Mutanten erweitert haben - und so vertraute Dinge wie z.B. die Kubakrise in "X-Men: First Class" neu erzählt haben. Die fünf Mutanten in ihren lächerlichen Kostümen aber plötzlich in Auschwitz stehen zu lassen, ist eine andere Dimension von Weltenkollision und Ikonografie. Doch Regisseur Bryan Singer geht noch einen Schritt weiter und lässt Magneto Auschwitz zerstören. Eine konnotationsschwere Bildgewalt macht sich auf der Leinwand breit, der Wunsch, dass es Auschwitz nie gegeben hätte, trifft auf die Wichtigkeit der Erhaltung des ehemaligen Konzentrationslagers als Gedenkstätte. Ein KZ, das von einem Superhelden dem Erdboden gleich gemacht wird, ist auf jeden Fall ein aufgeladenes Bild, das hängenbleibt.

Davon, die Geschichtsschreibung aktiv zu beeinflussen, träumt immer noch der sanfte Prof X - wie immer fantastisch zurückhaltend und unwiderstehlich idealistisch gespielt von James McAvoy, der auch den fesch geföhnten Vokuhila mit Würde trägt und jederzeit bei Duran Duran einsteigen könnte. An der School for Gifted Youngsters (aka das definitiv bessere Hogwarts) finden junge Mutanten ein Zuhause. Prof X glaubt an ein friedliches Zusammenleben von Menschen und Mutanten; darüber kann Mystique (Jennifer Lawrence) nur lachen. Denn außerhalb der idyllischen Campuswelt leben Mutanten versteckt, verängstigt - oder kämpfen in Ostberliner Untergrundclubs in Käfigen gegeneinander. Aus so einem Kampf hat Mystique soeben Kurt Wagner (nicht der von Lambchop) aka Nightcrawler befreit. In dieser Szene, in der eine Art Zirkusdirektor mit Zwirbelbart in diesem eigentümlichen "Cabaret"-Joel-Grey-Deutsch "Meine Damen und Herren" in die stickige Luft des Kellers brüllt, da durchweht "X-Men: Apocalpyse" ein Hauch von Terry Gilliam.

centfox

Nightcrawler

Am schönsten aber ist der völlig actionlose "Freaks and Geeks" oder auch "Degrassi Junior High"-Hauch, der immer bloß wie ein Lüfterl durch die überbombastischen X-Men-Filme weht. Unglaublich unterhaltsam und retrocharmant sind die Szenen, in denen es - um meinen Lieblings-Kurt-Russell-Film zu ziteren - weder kracht noch zischt. Wenn die Mutanten am Campus in der Wiese sitzen, mit ihren Kräften hadern oder einfach nur ins Kino gehen wollen. Cyclops, Jubilee, Nighcrawler und Jean Grey schauen sich "The Return of the Jedi" an, was Jean lapidar und metaebenen-Zwinker-Zwinker-schwer mit "The third one is always the worst" kommentiert. Da kichert der X-Men-firme Kinobesucher, denn der dritte "X-Men"-Teil ist tatsächlich bloß dafür berühmt, ein kapitaler Verhau zu sein. (Dann kam "X-Men Origins: Wolverine" und man musste das Verhau-Messgerät neu kalibrieren.)

Sophie Turner

centfox

Sophie Turner als Jean Grey

Neben dem herrlich seltsamen Nightcrawler ist Tye Sheridan als Cyclops eine famose Ausgeburt an selbstbewusster 1980er Aufgewecktheit, wie man sie sonst nur bei Marty McFly findet. Wenn der Film die Popkultur der 1980er Jahre - weitgehend unironisch - umarmt, dann pocht auch in "X-Men: Apocalypse" ein Herz. Wunderbar auch, wie Quicksilver in einer Sequenz (wie auch schon in "X-Men: Days of Future Past") schneller ist als die Zeit und zu "Sweet Dreams" eine Katastrophe verhindert und dabei aber auch Zeit für eine Moonwalk-Einlage findet. Im "Rush"-Leiberl.

Tye Sheridan als Cyclops

Tye Sheridan

Tye Sheridan als Cyclops. Hier gilt tatsächlich: Ohne meine RayBan kann ich nicht leben

Im Gegensatz zu vielen anderen Superhelden hadern die X-Men nicht nur mit ihrem Anderssein, sondern auch mit zahlreichen zwischenmenschlichen Gefühlsverwirrungen. Nichlas Hoult und Jennifer Lawrence als Beast und Mystique brauchen da gar nicht viel sagen, als sie sich nach langer Zeit wiedersehen, da hört man Herzen leicht knacken. Und die schönste Szene mit Professor X ist wahrscheinlich auch die, in der er seiner großen Liebe wieder begegnet: Der CIA Agentin Moira McTaggert (Rose Byrne), der er allerdings die gemeinsamen Erinnerungen gelöscht hat. Der souveräne Professor wird zum nervös stotternden Teenager. Szenen wie diese sind es, die "X-Men: Apocalypse" trotz müde machenden Showdowns sehenswert machen.