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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

7. 5. 2016 - 18:24

Tut so gut weh, meistens

Musikrundschau vom zweiten Wochenende des Donaufestivals: Babyfather, Lotic, Easter. Good Sad Happy Bad.

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Donaufestival

Donaufestival 2016
29. April bis 1. Mai & 5. Mai bis 7. Mai, Krems.

Das gesamte Programm inklusive aller Infos findet man hier.

Die Kunst kommt ja nicht von "Können", sondern von "Müssen", so sagt ein altes, ausgelutschtes, dabei immer noch recht richtig schmeckendes Bonmot. Es ging also dieses Wochenende wie immer beim Donaufestival auch in musikalischer Hinsicht gern um Aufrührung, die geile Verstörung und möglichen Nachdenkimpuls - nicht bloß um Discokugel, gute Schuhe und Ekstase.

"This makes me proud to be British" - so ist es mantrahaft auf dem kürzlich via Hyperdub erschienenen neuen Album des britischen Konzept-Musikers, Sound-Terroristen und Pranksters Dean Blunt zu hören, "this makes me proud to be British", so erklang es wieder und wieder, und wieder und wieder, zu Beginn von Blunts Performance - die mit dem Begriff "Konzert" nur gar ansatzweise ertastet wäre - am Donnerstagabend im Kremser Stadtsaal. In kaum zu überschätzender Lautstärke.

Dieses Jahr ist Dean Blunt mit seinem neuen Projekt Babyfather zum Donaufestival gekommen - man soll sich von dem kuscheligen Namen gerne in die Irre führen lassen, und wenn der Babyfather per Lautsprecherdurchsage seinen britischen Stolz verlautbaren lässt, dann darf man davon ausgehen, dass hier eine ironische Brechung im Spiel sein dürfte.

Babyfather

David Visnjic

Dean Blunt/Babyfather
Babyfather

David Visnjic

Babyfather verhandelte bei seinem Auftritt eine diffuse, eben schwer greifbare Idee von "Britishness". Im grellen, grellsten Licht und Rauch war der Mann selbst kaum zu sehen, via Mikrofon und Konservenzuspielung war von Kriegstreiberei und Rassismus zu hören, es gab Polizeisirenen, dann wieder positiv besetzte Shout Outs an britische Dance-Kultur.

Flugzeugstartgeräusche, scharfes Rauschen und Brummen, kurze tanzbare Passagen, Partikel aus Grime und Dubstep wurden aneinander geschnitten, einen länger als ein paar Sekunden anhaltenden Groove wollte Dean Blunt nicht entwickeln.

Durchs Publikum wandelte beinahe den gesamten Auftritt lang ein vermummter Komplize Blunts im roten Hoodie (Aufschrift: "Buy British"), wedelte mit einem riesigen Union Jack und mühte sich dabei auch nur kaum, das anwesende Festival-Publikum per Fahne/Kopf-Streichelkontakt nicht unangenehm zu berühren. Es gab eine Rangelei. Kommt beim Donaufestival nur selten vor. Babyfather: Eine gute Erschütterung, eine prächtige Nervung.

Good Sad Happy Bad

David Visnjic

Good Sad Happy Bad

In den letzten Jahren hat sich das Donaufestival recht stark von klassischen Bandformaten mit Gitarren und Liedern, mögen sie auch noch so verbogen sein, und dem Rock verabschiedet. Lieber hört man einsamen Menschen beim Schrauben an Maschinen zu - Maschinen, die ächzen.

Großartig ist das - dass aber so eine echte Band, wenn auch eine windschiefe und komplett dem Starwunsch entkommene, mit Instrumenten auch wieder einmal eine gute Durchlüftung ins Bergwerk von Sperrmüll-Techno, Footwork und Fistel-Elektronik bringen kann, durfte man danach beim Konzert der so gut wie keinem Menschen bekannten Gruppe Good Sad Happy Bad erfahren.

Good Sad Happy Bad ist die Band der englischen Allounderin Mica Levi - die wiederum hat es vor rund zwei Jahren als Komponistin für Jonathan Glazers Film "Under the Skin" zu überraschendem Ruhm gebracht - bis vor kurzem noch war die Gruppe unter dem Namen Micachu and the Shapes immerhin nicht komplett obskur, jetzt hat man sich nach dem Titel des letzten eigenen Albums umbenannt, eventuell aus Angst vor zu viel Fame.

Easter

David Visnjic

Easter

Auf Platte lebt die Band oft von Nervosität, erratischem Puppenstuben-Charme und Lo-Fi-Hibbeligkeit, bei ihrem Live-Auftritt gaben sich Good Sad Happy Bad - Gitarre, Keyboard, Drums - als großartig an keiner Sensation interessierte Nachlassverwalterin von gut rotzendem 90er-Jahre-Krachrock im Andenken an die Breeders und Sonic Youth in deren Pop-Momenten.

Unverständlich murmel-nölte Mica Levi ins Mikrofon, es riffte, es rockte, ohne Machismo, ohne Drang zur Selbstverkultung.

Das vage Gegenteil von Good Sad Happy Bad war am Freitagabend der Auftritt des heiß gehandelten, unterkühlten Duos Easter, wohnt in Berlin. Eine junge Frau, ein junger Mann, aschgrauer, minimaler Synthpop und Wave mit dem zerstörten Berlin-Charme junger, dünner, hübsch und hübsch hinüber aussehender Menschen mit ein bisschen schlechter Haut, im Widerstreit mit ebenso minimalem Anti-R’n’B und Schwundstufen-, Fingerschnipp- und Zungenschnalz-Beats der mittleren Neptunes-Phase. Dazu gab es gelangweilten Sprechsingsang.

In Konzept und Theorie prickelt und knistert es hier interessant, im Rahmen ihrer Live-Performance beim Donaufestival gaben sich Easter zu exaltiert desinteressiert, von der eigenen Krassheit geflasht. Affig.

Lotic

David Visnjic

Lotic
Le1f

David Visnjic

Le1f

Allerlei sonstiges Wunderbares jedoch gab es zu erleben an den ersten beiden Tagen des zweiten Wochenendes: Den New Yorker MC Le1f beispielsweise, hier funkelte und glänzte es auf der Bühne, es funkelte und glänzte im Publikum. Oder auch den aus Texas stammenden, in Berlin ansässigen Produzenten und DJ Lotic.

In seinem Set fügten sich fast schon industrialhafte Sounds, Bohr- und Schleifgeräusche, Glassplitter, in letzter Zerbröselung befindlicher Techno und geschmeidiger, das Leben mit Leben erfüllender Hoch-Glanz-R’n’B zu einer wundersamen Versuchsanordnung. Auch Beyoncé erklang. Zerstörung und tanzen, Ruinenmusik und Vanilleeis. So soll es sein.