Erstellt am: 5. 5. 2014 - 17:30 Uhr
Kunst kommt von Körper
Am Ende, bei der finnischen Zombie-Comedy „Dead Snow 2“, bekamen die Splatterfans endlich was sie wollten: Einen Film, der bewährte Knöpfe zwischen derber Brutalität und Bruhaha-Humor drückt. Was sich zuvor beim Wiener slasheinhalb Festival abspielte, unterlief aber im besten Sinn sämtliche Erwartungshaltungen des eingefleischten Horrorpublikums.
Schon in den Jahren zuvor scherte sich Markus Keuschnigg, den ihr auch als eloquenten FM4-Filmjournalisten kennt, bei seiner Fokussierung auf das fantastische Filmschaffen nicht um Genrekonventionen.
Wo andere vergleichbare Festivals in einem Blut- und Beuschel-Sumpf waten, bei dem man es als Betrachter stets sicher auf den festen Boden des Unterhaltungskinos schafft, will das Slash verwirren, verstören, hypnotisieren. Diesmal, beim kleinen Zwischenevent im Filmcasino, vor dem großen Herbstshowdown, wagte sich die Programmierung dabei in besonders schwindelerregende Zonen.
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Vom französischen Leinwandgedicht „You And The Night“, mit seiner herrlich schwülstigen Beschwörung sexueller Utopien und nächtlicher Eskapaden über den pseudorealistischen US-Sektenthriller „The Sacrament“, von der gänzlichen surrealen belgischen Bilderflut „The Strange Color Of Your Body’s Tears“ bis zur betörenden deutschen Außenseiterstudie „Der Samurai“ entpuppte sich das slasheinhalb als Experimentierfeld für ein anderes Kino, außerhalb gängiger Genreschubladen.
Zwei Filme ragten dabei wie Monolithen aus dem Programm und erweiterten die Sprache des aktuellen filmischen Erzählens tatsächlich auf radikale Weise. Jonathan Glazers schleichender Meta-Sci-Fi-Streifen „Under The Skin“ und Gareth Evans die Sinne pulverisierendes Actionepos „The Raid 2: Berendal“ könnten dabei nicht unterschiedlicher sein. Aber beide Briten repräsentieren mit ihren neuen Arbeiten ein aufregendes Update dessen, was ich gerne zeitgenössisches Hybridkino nennen möchte. Oder auch: Den dritten Weg.
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Zwischen den Stühlen
Die grundsätzliche Diskussion ist steinalt und ich für meinen Teil führte sie nicht nur verbal unzählige Male, sondern auch oft an dieser Stelle. Sogar bis zu einem Punkt, wo ich das Gefühl habe, über nichts anderes mehr zu reden und mich ständig zu wiederholen.
Und dann flammt das Thema wieder auf. „Under the Skin“, begründet der deutsche Verleiher des Films seine Weigerung ihn nicht ins Kino zu bringen, sei "ein Film für Liebhaber der Filmkunst, aber weder typischer Mainstream, noch typisches Arthaus." Da sind sie also wieder, die alten Schablonen, da ist der Gegensatz zwischen E und U, Kunst und Kommerz, in etwas modernere Worte gekleidet.
Der Abgrund, der sich unter solchen Zuschreibungen auftut, das werden Programmkino-Chefs und kleinere Filmverleiher unterschreiben, korreliert aber wohl tatsächlich mit realistischen Befürchtungen. Im ungewissen Download-Zeitalter, in dem manche Kulturpessimisten vom Ende des Kinos schwafeln, gibt es wirklich Teile des Publikums, die sich auf Etikettierungen und die damit verbundenen Versprechungen stürzen. Soll heißen: Die junge Mainstream-Crowd, die stereotypisch mit riesigen Popcorn-Bechern ins Multiplex spaziert, um dort während gigantomanischer Blockbuster zwischendurch SMSe zu checken, die nimmt sich selber als Mainstream-Crowd wahr.
Umgekehrt zehren manche Programmkinos von älteren Besuchern, die auf den Arthaus-Stempel schielen und entweder künstlerisch angehauchte Wohlfühl-Filme mit Toskana-Bonus und Selbsterfahrungs-Effekt suchen, oder ihr soziales Gewissen mit engagierten Werken beruhigen wollen, die von den Krisengebieten dieser Welt berichten. Beide Klischeegruppen, die Mainstreamer und die Arthauser, könnten gröbere Schwierigkeiten mit „Under The Skin“ und „The Raid 2“ haben.
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Jenseits gängiger Erzählmuster
Denn Jonathan Glazer und Gareth Evans wandern beide auf den dritten Weg, dem abseits von „Mainstream“ und „Arthaus“ und eingehämmerten Verkaufskategorien. „Under The Skin“ flirtet zwar ganz entfernt mit Genre-Topoi, lässt mit einer jungen Außerirdischen, die im sehr irdischen Schottland auf tödlichen Männerfang geht, aus Lichtjahren Entfernung an Schocker wie „Species“ denken. Und mit Scarlett Johannsen, die noch dazu ihre ersten frontalen Nacktszenen abspult, scheint der Film auch Signale an ein breiteres Publikum zu schicken.
So wie Nicolas Winding Refn in Werken wie „Valhalla Rising“ oder „Only God Forgives“ ebenfalls Stars wie Mads Mikkelsen und Ryan Gosling als pure Lockvögel einsetzt und mit ihrer Aura subversiv arbeitet, zeigt aber auch Jonathan Glazer seine Hauptdarstellerin von einer gänzlich ungewohnten Seite. Einerseits platziert er Johannsens Alienwesen in rohen, sozialrealistischen Milieustudien, auf der anderen Seite taucht er sie/es in stilisierte Bereiche des Grauens und der Schönheit, die an Albtraumvideos von Chris Cunningham und avantgardistische Performances auf dem Donaufestival denken lassen.
Glazer verlässt dabei in „Under The Skin“ die sicheren Bereiche der narrativen Kinos, kappt vieles von dem, was zu unserer Sehausbildung gehört, was wir an dramaturgischen Wendungen erwarten, was uns von Kino und TV eingedrillt wurde. Und hier beginnt, außer einiger Ausnahmen im Auditorium, sowohl für die Mainstreamer als auch die Arthauser wirklich das Problem.
Auch Gareth Evans kümmert sich auf seine Art wenig um gängige Erzählmuster. War der Überraschungserfolg „The Raid“, der zur Gänze in einem Hochhaus voller Gangster spielte, ein extrem reduziertes Actionspektakel, dass in seiner totalen Verdichtung auch Videospiel-Freaks faszinierte, lässt er das Sequel nun ausufern und mäandern. Ganze 150 Minuten dauert das Storygeflecht aus langsamen Dialogpassagen und irrwitzigen Kampfszenen. „The Raid 2“, das ist ein genialer und größenwahnsinniger Mix aus John Woo und Takeshi Kitano, „The Wire“ und der atemberaubendsten Knochenbrecher-Action des Planeten.
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Wenn das Nervensystem tanzt
Beide Filme, die zunächst auf dem Crossing Europe ihre Österreichpremieren erlebten und dann beim slasheinhalb Festival geziegt wurden, schrammen in ihrer Verweigerung der naheliegenden und erprobten Genreansätze trotz gewaltiger Schauwerte an der Multiplex-Crowd vorbei. Nicht nur der bewusst zähflüssige Sog von „Under The Skin“, sogar „The Raid 2“ dürfte bei manchen Vorstellungen zu erhöhtem Handyleuchten im Saal führen.
Manche Programmkino-Connaisseure und mit versnobten Weinbeißern vergleichbaren Cineasten könnten sich wiederum am physischen Aspekt stoßen. An den deformierten, verschluckten, entgrenzten Körpern in Glazers Film, am drastischen Body Horror, an der bedrückenden Atmosphäre, an den bedrohlichen Tonspuren, von den Unmengen malträtierter, zerfetzter, durchstochener Leiber in „The Raid 2“ mal abgesehen.
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Dabei, um den legendären Postsurrealisten Antonin Artaud zu zitieren, sind „alle die großartigen Fabeln, die (...) in der Schöpfung auftauchen, nur in einer Atmosphäre von Gemetzel, Folterung und vergossenem Blut vorstellbar“. Der französische Schöpfer des „Theaters der Grausamkeit“, der für Körperkino-Regisseure wie David Lynch, Lars von Trier, Léos Carax oder auch Shinya Tsukamoto Pate zu stehen scheint, lässt sich auch und erst recht für Jonathan Glazer und Gareth Evans als Kronzeuge anführen.
Die Kunst, jenseits von Bildungsbürger-Zugängen, beginnt erst dort, wo Fleisch und Blut und Knochen im Mittelpunkt stehen, wo das Nervensystem tanzt. Die Kunst kommt, frei nach Antonin Artaud, vom Körper. In diesem Sinn hat der Verleiher von „Under The Skin“ wohl recht: Wir haben es nicht mit Arthouse oder Mainstream, sondern mit Filmkunst zu tun. Die aber auch auf die große Leinwand gehört.
Die klassischen narrativen Techniken, die Psychologie, die charakterlichen Reisen, all das hat längst im flirrenden Bereich der Qualitätsserien den besseren Platz. Feiern wir die rasende Bewegung und den totalen Stillstand, Licht und Dunkel, Schönheit und Schrecken in fortwährendem Austausch. „Under The Skin“ und „The Raid 2“ lassen an die Gegenwart und Zukunft des Kinos glauben.
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