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Pia Reiser

Filmflimmern

5. 4. 2016 - 10:30

Der bebrillte Adler

"Eddie the Eagle" ist ein optimistischer, zynismusfreier Wonneproppen von einem Film. Ein Sportfilm für alle, die keine Sportfilme (und keinen Sport) mögen.

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Den Begriff Adleraugen führt Eddie the Eagle ad absurdum. Unter der Skibrille trägt der britische Skispringer eine Brille, die man in Wien wahrscheinlich Aschenbecher nennen würde. Er ist kleiner und schwerer, als das bei Skispringern üblicherweise der Fall ist. Er trägt Second-Hand-Equipment, die Schuhe waren ihm zu groß. Aber er wollte springen. Und so fliegt Eddie durch die Luft und die Herzen fliegen ihm zu. Im Alleingang, ohne Sponsoren und als einziges Mitglied im britischen Skispungkader schafft er es 1988 zu den Olympischen Winterspielen in Calgary. Er springt 73,5 Meter auf der 70-Meter-Schanze und legt einen Rekord hin - für Großbritannien zumindest. Um Karl Kraus zu bemühen: Wenn die Skisprungsonne eines Landes eher tief steht, dann ist schon ein Zwergensprung ein weiter Sprung.

Die Geschichte von Eddie the Eagle ist so eine, für die es im englischen das schöne Wort bonkers gibt, und nun hat sie den Weg auf die Leinwand gefunden. Regisseur Dexter Fletcher (das ist übrigens der Koch namens Soap aus Guy Ritchies "Lock, Stock and two smoking Barrels") hat mit "Eddie the Eagle" einen Sportfilm für all jene gemacht, die keine Sportfilme mögen. Aka ich.

Taron Eggerton als Eddie the Eagle

constantin

Doch den letzten Hauch Skepsis geb ich gleich in den ersten paar Minuten ab: Wie könnte man denn dieses halsstarrige Kind, das in der Badewanne stoppt, wie lange es die Luft anhalten kann und sich dann auf den Weg zur Bushaltestelle macht, um bei den Olympischen Spielen teilzunehmen, nicht mögen? Alles an diesem Kind schreit jetzt schon Underdog, von der dicken Brille bis zur letzten Faser des gemusterten Polyesterpullovers. Die Hässlichkeit von eigentlich allem, was die 1980er Jahre an Design hervorgebracht haben, es wirkte noch nie so liebevoll wie in diesem Film.

Michael Edwards ist das Kind einer Arbeiterfamilie, der davon träumt, bei den Olympischen Spielen dabei zu sein. Die Arbeiterklasse-Vaterfiguren in britischen Filmen sind meistens dazu da, die hochtrabenden Träume ihrer Kinder zu zerschmettern. Papa Edwards rät Eddie - dass aus Nachnamen bei Buben die Spitznamen werden, die picken bleiben, ist also keine rein deutschsprachige Angelegenheit - die Träume wegzupacken und ebenfalls am Bau zu arbeiten. Zu dem Zeitpunkt ist Eddie dann kein Kind mehr und wird nun von Taron Egerton gespielt, der, der in "Kingsman" die Welt gerettet hat und aussah wie der junge Michael Caine. Das tut er hier nicht.

Die Augen zusammengekniffen, das Unterkiefer vorgeschoben, das Grinsen breit: Egerton gibt sein Bestes, Eddie Edwards zu ähneln. Viel wichtiger aber ist es, dass er es bereits mit wenigen Szenen schafft, eine Figur zu kreieren, die man nicht nicht mögen kann. Unendliche Empathie macht sich breit im Kinosaal. Im Jahr 1988 ist man mit viel zu großer Brille, Polyester-Trainingsjacken und einem zaghaften Schnauzer kein Hipster, sondern höchstens ein Nerd. Ein Außenseiter auf jeden Fall.

Taron Eggerton

constantin

Eddie will partout nicht auf den Bau, er hat aber einen Hang für den Hang und wird zum talentierten Skifahrer, der es nur knapp - im Grunde aus Standesdünkel des britischen Olympiakomittees, es gibt kaum einen britischen Film, der nicht das System der sozialen Klassen ins Narrativ einwebt, nicht ins Team schafft. Doch so schnell zerschlägt man nicht die Träume von einem jungen Mann, der mit dieser Mischung aus Optimismus, Naivität und Starrsinn ausgestattet ist, die sich bei Filmfiguren so gut macht. Eddie beschließt, Skispringer zu werden. Kann ja nicht so schwer sein. Er packt seinen Koffer wie damals nach dem Luftanhalten, nur diesmal nimmt er tatsächlich den Bus und beginnt seine Reise nach Garmisch-Patenkirchen, um Skispringen zu üben.

Taron Eggerton in "Eddie the eagle"

constantin

Es ist einem unwiderstehlich unzynischem Drehbuch, Taron Egertons Spiel und einer ganz eigenen Tonalität zu verdanken, dass dieser Film aufgeht. Dass man sich von Anfang an - auch, wenn man wie ich die wahre Geschichte von Eddie the Eagle so gut wie nicht kannte - auf diesen Geschichtenfluss einlässt. Kein naserümpfendes Fragezeichen formiert sich hier im eigenen Hirn angesichts der relativ wahnwitzigen Pläne von Eddie. (Im Gegensatz dazu scheiterte z.B. das Drama des Films "Everest" bei mir schon allein daran, dass ich mir während des ganzen Films dachte, dass man ja einfach auch nicht versuchen kann, den Everest zu besteigen und so Leid, Tod und abgefrorene Zehen vermeidet. Hier aber wird von einem Wunsch, einem Vorhaben so dringlich und eindrücklich erzählt, dass einem jede der - oft unvernünftigen - Entscheidungen von Eddie einleuchtet: Natürlich muss der Junge Skispringen lernen, er will ja zu den Olympischen Spielen!)

Zwischen den Übungssprüngen in Garmisch-Patenkirchen und der tatsächlichen Olympia-Teilnahme in Calgary liegt die Bekanntschaft mit einem Mann (den die Drehbuchautoren gut erfunden haben): Bronson Peary ist ein ehemaliger Skispringer, früherer großer Hoffnungsträger der USA, dem Alkohol, Affären und Arroganz im Weg gestanden sind. Nun ist Peary ein grantiger Schneepflugfahrer, der Eddies Vorhaben für kompletten Schwachsinn hält. Jeder Sportfilm braucht eine Trainer-Schüler-Beziehung, die stets ein Synergie-Feuerwerk ist und meistens den Schüler zu körperlichen Bestleistungen anspornt und den Trainer zu einem besseren Menschen macht, niemand bleibt für immer ein Scrooge. Kein Geringerer als Hugh Jackman sitzt hier schlecht gelaunt am Steuer des Schneepflugs und wird - zunächst widerwillig - Eddies Trainer.

Hugh Jackman and Taron Eggerton in "Eddie the Eagle"

constantin

Er hat den Flachmann immer in Griffweite, trägt Cowboystiefel und verbreitet rauen Charme. Peary ist so einer, der sich kurz vorm Absprung von der 70-Meter-Schanze eine Zigarette anzündet. Diese Szene mit der Zigarette ist ein gutes Beispiel dafür, wie "Eddie the Eagle" sich nicht an die gewohnt getragene Tonalität des Sportfilms hält. Peary wirft auf der Schanze die Zigarette weg und die Funken fliegen fast cartoonhaft auf der Leinwand herum. Und springen über aufs Publikum. Diese Szene trägt den Schriftzug Matthew Vaughns, der hier als Produzent beteiligt war, und der mit "Kick Ass" und "Kingsman" der offenbar nicht enden wollendenden Ballade der Comicverfilmungen Strophen hinzugefügt hat, die in ihrer Tonalität und ihrem Umgang mit Gewalt einen eigenen, unverkennbaren Stil hatten.

Dieser überhöhte cooleralscool Moment mit der Zigarette auf der 70-Meter-Schanze ist auch die Art des Films, einem mitzuteilen, dass er sich selbst nicht so ernst nimmt. Was aber nicht heißt, dass wir deswegen weniger emotional involviert sind in die Geschichte des skispringenden Underdogs. Mitfiebern ist unvermeidlich. Sagt euch eine, die selbst bei WM-Elfmeterschießen unparteiisch und uninvolviert bleibt.

Der athletische Grantscherben Branson - im Grunde eine Art Wolverine light - und der untersetzte Optimist Eddie sind ein wunderbares Leinwand-Paar, das selbst die obligatorische Trainingssequenz zu Hitmusik (in dem Fall Hall and Oates) mit Bravour erledigt. Ok, scheint der Film zu seufzen, wir sind nunmal ein Sportfilm, wir brauchen so eine Sequenz, also los gehts. Und zitiert dann mit einer Hebefigur die berühmte Trainingssequenz aus "Dirty Dancing" und auch Fitzelchen von "Footlose" sind hier auszumachen. Ein Sportfilm, der Tanzfilme zitiert, die auch die kennen, die sie nie gesehen haben, der sucht die Nähe zur Popkultur und genau das fehlt üblicherweise den sportlichen, filmischen Erzählungen.

Mit popkulturellem Anstrich verkündet "Eddie the Eagle" lauthals die allseits bekannten Botschaften, dass "alles möglich" und "dabei sein alles" ist - doch ohne dabei verstaubt zu wirken oder sich zu ergriffenem Pathos aufzuschwingen - oder sich in einer ironischen Distanzhaltung zu verstecken.

Taron Eggerton und Hugh Jackman in "Eddie the Eagle"

Constantin

"Eddie the Eagle" läuft bereits in den österreichischen Kinos

"Eddie the Eagle" funktioniert auch deswegen so gut, weil er sich nicht an die Wahrheit hält. (Michael Edwards selbst meinte, dass etwa fünf Prozent des Films auf wahren Begebenheiten basieren). Statt nun diese unglaubliche Geschichte, diese Chronik des Starrsinns, detail- und wahrheitsgetreu auf die Leinwand zu bringen, wird hier gerafft, verdichtet, dazuerfunden.

Das hier ist glücklicherweise kein verfilmter Lexikon-Eintrag, keine bierernste Lektion in Sachen Sportgeschichte. Angetrieben von einem unverschämt gut gelaunten Synthie-Score und liebevoll-nostalgischem Blick auf selbst die geschmacklosen Auswüchse der Mode der 1980er Jahre entfaltet sich "Eddie the Eagle" zu einem Feel-Good-Film ohne falsche Sentimentalitäten, der dann auch noch mit der besten Verwendung von Van Halens "Jump" aufwarten kann.

Die Geschichte vom Underdog hat universellen Appeal, die Geschichte vom working class hero ist eine sehr britische Angelegenheit. Eddie the Eagle ist beides in einem und Dexter Fletcher hat ihm mit diesem Film ein Denkmal mit einem großen Herz gebaut.